Polyester: «Die Schweissmenge hat nichts mit der Kunstfaser zu tun»
Sie ist eine der umstrittensten Textilfasern: Polyester. Warum der Grossteil deiner Sportgarderobe dennoch aus dem Kunstgarn besteht und ob du darin tatsächlich mehr schwitzt als in Naturfasern, erklärt dir eine Expertin.
An der Frage übers Tragen oder Nichttragen von Polyester scheiden sich die Geister. Während ich bei meinen Alltagsklamotten peinlich genau darauf achte, dass sich keine Kleidungsstücke aus Polyester in meinen Schrank verirren, achte ich beim Kauf neuer Sportmode eher weniger darauf. Kollege Michael Restin geht’s genauso. Erst kürzlich hat der Sport-Redaktor diese Frage in einem Meeting in die Runde geworfen. Da ich mir auch keinen Reim darauf machen kann, habe ich bei der Textilexpertin Andrea Hagmann, Färbermeisterin und Dozentin an der Schweizerischen Textilfachschule, nachgefragt.
Was ist Polyester und wie wird er hergestellt?
Andrea Hagmann: Polyester ist eine Chemiefaser, die auf Erdölbasis hergestellt wird. Chemisch gesehen, sprechen Experten von einem «Polyethylenterephthalat». Die Abkürzung für dieses Material ist «PET», wie man es von Trinkflaschen kennt oder «PES». Dabei handelt es sich um dasselbe Material, das in einem Schmelzspinnverfahren zu einer Faser gesponnen wird. Einfach gesagt: Plastik wird geschmolzen und daraus Fäden gezogen.
Was sind die Vor- und die Nachteile der Kunstfaser?
Je nach Herstellungsart kann der Faser ein beliebiger Querschnitt mit unterschiedlichen Eigenschaften verliehen werden. Solche mit einem Hohlraum können Wärme sehr gut speichern. Dreieckige hingegen sind hochglänzend.
Weitere Vorteile sind, dass die Fasern sehr leicht und pflegeleicht sind, eine gute bis sehr gute Färbeeigenschaft haben und entsprechend farbecht sind. Zudem ist Polyester relativ einfach zu rezyklieren.
Der Nachteil ist, dass das dafür benötigte Erdöl ein begrenzter, fossiler Rohstoff ist und «PES» nicht kompostiert werden kann.
Wird in Kleidungsstücken aus Polyester tatsächlich mehr geschwitzt? Und was hat es mit dem Gestank auf sich?
Die Schweissmenge hat nichts mit der Kunstfaser zu tun, sondern ist individuell vom Menschen abhängig. Meistens sind aus Polyester gefertigte Sport-Shirts aber eng geschnitten und lassen den Körper schlechter atmen. Dieses Gefühl wird als unangenehm empfunden. Weil die Chemiefaser nur begrenzt Feuchtigkeit aufnehmen kann, bleibt der Schweiss tendenziell an der Oberfläche haften und gefühlt stinkst du mehr.
Weshalb ist Polyester bei Sport- und Funktionsmode trotzdem beliebt?
«PES» ist leicht und kann speziell für verschiedene sportliche Tätigkeiten konstruiert werden. Bei Bereichen, die für Kompression (Muskelaktivität) aktiviert werden sollen, arbeiten Textilexperten mit einem eher dickeren, sehr eng gestrickten Material. Für ein Yoga-Shirt hingegen kommt ein leichtes Garn zum Einsatz, das luftig gestrickt werden kann.
Warum habe ich das Gefühl, das meine Alltagskleider auf keinen Fall Polyester enthalten dürfen, bei meinen Sportklamotten ist es mir aber völlig egal?
Diese Frage stelle ich mir bereits seit 20 Jahren (lacht). Ich vermute, dass uns seit Generationen eingetrichtert wird, dass «PES» stinkt. Beim Sport akzeptierst du das, weil du während eines Trainings sowieso schwitzt. Im Alltag ist das Absondern von Schweiss hingegen unerwünscht. Technisch gesehen gibt es keine Begründung für dieses Phänomen.
Welche Naturfasern eignen sich alternativ für Sportmode?
Der Favorit in diesem Bereich ist Wolle, da sie sehr fein verarbeitet werden kann. Ausserdem neutralisiert sie den Schweissgeruch und kann auch hierzulande produziert werden. Auch «Lyocell» ist eine gute Alternative. Die Faser wird in Europa aus dem Holz heimischer Bäume gewonnen. Auch diese Faser kann wie gewünscht modelliert werden und ist zudem kompostierbar.
Künftig werde ich nicht nur das Etikett von Alltagsbekleidung, sondern auch von Sportklamotten studieren. Dabei halte ich gezielt nach Stücken aus Wolle und Lyocell Ausschau. Ob ich damit beim Training zumindest gefühlt weniger schnell ins Schwitzen komme, lasse ich dich wissen, sobald ich fündig geworden bin.
Wenn ich mal nicht als Open-Water-Diver unter Wasser bin, dann tauche ich in die Welt der Fashion ein. Auf den Strassen von Paris, Mailand und New York halte ich nach den neuesten Trends Ausschau und zeige dir, wie du sie fernab vom Modezirkus alltagstauglich umsetzt.