«Print My Sleep:» Im Schlaf gestaltete Objekte
Wie dein Schlaf zu Design werden kann, zeigt die Arbeit von Rafael Gil Cordeiro. Der Designer trackt seinen Schlaf und nutzt die Daten, um daraus 3D-gedruckte Objekte zu machen. Eine Visualisierung vom Moment, in dem wir die Kontrolle aufgeben.
Rafael Gil Cordeiro gehört zu den einzigen mir bekannten Studierenden, die für ihr Diplom schlafen konnten. Und das nicht einmal nur in der Nacht, sondern auch am Tag. Für sein Abschlussprojekt des Bachelor-Studiengangs «Trends und Identity» an der Zürcher Hochschule der Künste hat Rafael via Tracking seine Schlafdaten in Designobjekte verwandelt. Warum er diese dysfunktional nennt und keine Angst vor schlaflosen Nächten mehr hat, erklärt er mir bei einem Kaffee.
Was steckt hinter deiner Bachelorarbeit?
Rafael Cordeiro: «Print My Sleep» visualisiert meinen Schlaf, den ich mittels Sleep Tracker aufgezeichnet habe. Die Daten werden mit einem 3D-Drucker in Keramikobjekte umgewandelt. Jede Skulptur aus der Reihe repräsentiert eine Schlafphase und erhält ihre Form durch die aufgezeichneten Daten wie Puls, die Sauerstoffsättigung oder Bewegung. Sie sind dysfunktional, weil sie im Unterschied zu den meisten Schlafprodukten auf dem Markt nicht dazu da sind, Schlaf zu optimieren.
Woher kommt dein Interesse am Schlafen?
Im letzten Herbstsemester habe ich am Austauschprogramm «Transcultural Collaboration» der ZHdK teilgenommen und vier Monate in Hongkong und Schanghai verbracht. Mir ist zum ersten Mal bewusst geworden, dass wir nicht alle gleich schlafen. Dort habe ich beobachtet, wie sich Leute überall ihre Schlafstätten einrichten und zu jeder Zeit öffentlich geschlafen wird – besonders in der U-Bahn. Die Pendelzeit wird genutzt, um sich zu beschäftigen, zu essen oder auch um zu schlafen. Das hat mich fasziniert. Tagsüber zu schlafen wird hierzulande oft als vergeudete Zeit gesehen. Wir tun ja nicht einfach nichts in unserem Schlaf. Die Erholungsphase ist wichtig, um uns auf den Wachzustand vorzubereiten. Ich wollte herausfinden, was in mir währenddessen arbeitet.
Wie bist du vorgegangen, um ins Thema einzutauchen?
Dem Konzept von «Print My Sleep» ist eine theoretische Arbeit vorausgegangen, in der ich die Ökonomisierung des Schlafes kritisch hinterfrage. In der holistischen Optimierungsgesellschaft pflegen wir nicht nur zunehmend unser Äusseres, sondern rücken auch die Ruhe und Entspannung in den Fokus. Das zeigt sich auch am Wellness-Markt. Die Wirtschaft hat heute Interesse daran, dass ich gut schlafe, und sieht in der Lancierung von Produkten wie Lichtweckern oder Schlafhilfen Potenzial auch gesunde Schlafende anzusprechen. Doch beim Versuch, sich zu optimieren, können auch neue Probleme entstehen. Ich fokussiere dabei immer auch etwas, das mich erst darauf hinweist, dass etwas «nicht richtig» ist.
Hast du ein Beispiel dafür?
Beim Aufzeichnen meines Schlafes für die praktische Arbeit hat mir der Schlaftracker zum Beispiel morgens gesagt, dass ich mich zu viel bewegt habe und keine erholsame Nacht hatte. Gefühlt habe ich mich aber gut. Der Schlaftracker bewertet aufgrund von normierten Parametern. In unserer Gesellschaft versuchen wir oft, Dinge einzuordnen, die eigentlich unkontrollierbar und sehr individuell sind. Der subjektive Teil und wie ich glaube, geschlafen zu haben wird oftmals unterschätzt. In der Schlafforschung sagt man: So wie du aufstehst und dich fühlst, ist auch die Qualität deines Schlafes. Auch wenn dir die Werte der App das Gegenteil sagen.
Für meine theoretische Arbeit habe ich mit der Expertin Daniela Janssen vom Zentrum für Schlafmedizin der Hirslanden Klinik gesprochen. Sie meinte, dass durch den Tracking-Trend auch oft Leute zu ihr kommen, die bei sich aufgrund der Daten eine Schlafkrankheit vermuten. Natürlich kann man sagen, dass das nicht nur schlecht ist. Schlaftracker können vielleicht dabei helfen herauszufinden, ob etwas nicht stimmt. Ich möchte sie nicht deshalb kritisieren, sondern sie für mich nutzen.
Die Türen der ZHdK waren wegen der Corona-Krise geschlossen. Hatte das Einfluss auf deine Arbeit?
Auf jeden Fall. Ich spreche heute bewusst von Schlafphasen und nicht Nächten. Ich glaube, wenn ich einen geregelteren Alltag gehabt hätte, wäre der Schlaf anders ausgefallen. Dadurch, dass ich wie so viele andere im Homeoffice von zuhause aus gearbeitet habe, bin ich immer mehr weg von den üblichen sieben bis acht Stunden Schlaf in der Nacht gekommen. Ich konnte individueller entscheiden, wann und wie ich mich erhole. Eines der Objekte repräsentiert zum Beispiel eine Siesta.
Welchen Schlaftracker hast du verwendet?
Tracker wie Fitbit werden vor allem im Zusammenhang mit Sport empfohlen. Deshalb habe ich mich für den Tracker Sleepon entschieden, der in Kalifornien nur für das Aufzeichnen von Schlaf entwickelt wurde. Er gleicht einem Fingerhut und die aufgezeichneten Daten sowie Tipps werden über die App auf dem Smartphone angezeigt.
Was hast du mit den Daten im Anschluss gemacht?
Um besser verstehen zu können, was der Tracker misst und wie sich Daten innerhalb einer Schlafphase verändern, wollte ich die technischen Daten ins Dreidimensionale übersetzen. Also habe ich erst einmal eine Woche schlafen müssen (lacht). Dann habe ich mit Kevin Hinz zusammengearbeitet, der Architekt ist und sich mit Visualisierungen sowie Interaction Design auskennt.
Wir haben das Programm Rhino 3D mit dem Zusatzprogramm Grasshopper 3D verwendet, um die gemessenen Schlafdaten in eine benutzerdefinierte Formsprache umzuwandeln, aus der ein generatives Design entstehen kann. Mit Rhino 3D zeichnet man die 3D-Renderings. Mit Grasshopper lassen sich Daten einspeisen und zu einer Art Baumdiagramm erstellen. In der Architektur verwendet man dieses Programm oft, um komplexe Formen und Strukturen zu generieren.
Woraus bestehen die Parameter?
Die Schlafdauer gleicht der Objekthöhe und die Ausbuchtung der Schlafphase. In der Traumforschung sieht man bei Albträumen, dass die Herzfrequenz hoch geht und es Ausschläge gibt. Bei meinen Objekten sind das die Beulen, deren Durchmesser die Herzfrequenz in dieser Phase zeigen.
Wurden die Objekte gedruckt, währenddem du geschlafen hast?
Nein, erst im Nachhinein. Meine Utopie war aber tatsächlich, dass währenddessen gedruckt wird und, dass ich das Ergebnis beim Aufstehen sehe. Doch auch ein 3D-Druckprozess muss überwacht werden, da jedes kleine Korn und jede Luftblase den Prozess stören können. In einem Ausstellungskontext wäre die Live-Übersetzung sicher möglich gewesen.
Warum hast du dich für Keramik entschieden?
Keramik gibt den Takt an. Ab dem Moment, wo man die Modelliermasse in der Hand hat, knetet und brennt, weiss man nicht, ob das Objekt im Verlauf springt, die Glasur verwischt oder, ob der Trocknungsprozess funktioniert. Man kann den Prozess vom flüssigen Material bis hin zum trockenen Gebrauchsgegenstand, der später im Regal steht, nicht zu 100 Prozent kontrollieren. Das ist für mich die Eins zu eins Übersetzung zum Schlaf. Mich begeistert auch wie sich das Material statt klassisch mit der Drehscheibe und von Hand, heute mit dem 3D-Drucker verarbeiten lässt.
Für wen ist Print My Sleep?
Das Konzept richtet sich an alle, die sich näher mit ihrem Schlaf auseinandersetzen oder überrascht werden möchten. Mit Hintergrundinfos können die Designobjekte den Diskurs eröffnen und ohne, verwirren sie mit ihrer Ästhetik, die du aus dem Alltag nicht kennst. Ich glaube, dass das Konzept noch Potenzial hat und ich andere Schlafdaten wie zum Beispiel deine verwenden möchte, damit du etwas Neues über dich erfährst. Du fragst dich vielleicht, wie dein Hund oder Goldfisch schläft. Obwohl Print My Sleep auf technischen Daten basiert, hat es eine persönliche und poetische Note.
Was hast du bis jetzt über deinen Schlaf herausgefunden?
Dass ich eine Eule bin. In der Schlafforschung verwendet man die Analogie zu Tieren, um einzuordnen, ob du eher ein Morgen- oder Abendmensch bist. Abendmenschen sind Eulen, weil sie morgens müder sind. Lerchen sind die Frühaufsteher, die umgekehrt gerne früh ins Bett gehen.
Wie stehst du dazu, dass Sleepon nun deine Schlafdaten besitzt?
Das habe ich mir noch nicht überlegt. Mit der Datennutzung geht für mich eine Faszination einher. Auch wenn ich manchmal nicht weiss, warum und was die Motivation dahinter ist, akzeptiere ich die Folgen der Digitalisierung und nutze sie aktiv für meine Arbeit.
Wie geht es mit Print My Sleep weiter?
Im Design-Kontext gäbe es vielleicht die Möglichkeit, das Konzept von Print My Sleep weiterzuentwickeln, um es als Dienstleistung anzubieten. Zuerst überprüfe ich aber zum Beispiel mit der Interview-Partnerin Daniela Janssen im wissenschaftlichen Kontext, ob diese Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Design für die Schlafforschung wertvoll sein kann. Ich glaube, dass Materialität auch in einer digitalisierten Gesellschaft das Potenzial hat, Sachverhalte fühlbarer zu machen und so besser zu vermitteln.
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.