Projekt Halbmarathon: Erklär das mal einem Kind
Hintergrund

Projekt Halbmarathon: Erklär das mal einem Kind

Das erste Drittel der Vorbereitung auf den Halbmarathon ist bereits überstanden. Aktuell kämpfe ich vor allem mit meinen Gedanken und Fragen eines Kindes.

Vor ziemlich genau 75 Tagen fiel der offizielle Startschuss zu meinem (und Olivers) persönlichen Halbmarathon-Projekt. Will heissen, ein Drittel der Zeit bis zum Greifenseelauf ist bereits verstrichen. Und nun sitze ich vor meinem Laptop und habe mit einem mittelgrossen Gefühlschaos zu kämpfen. Einerseits bin ich wirklich stolz darauf, dass ich bis jetzt durchgezogen habe, andererseits nerve ich mich über all die Dinge, die noch nicht so laufen, wie ich mir das wünsche. Aber erst mal zu den positiven Aspekten der letzten Wochen.

Laufen läuft

Ich muss sagen, Laufen macht mir immer noch wirklich grossen Spass. Auch wenn ich es noch nicht schaffe, den Kilometer dauerhaft unter 7 Minuten zu absolvieren, ziehe ich viel Motivation und mentale Erholung aus meinen Joggingrunden. In Ansätzen hat sich bei mir sogar eine Art «Fear of missing out», dir vielleicht auch als FOMO bekannt, eingestellt. Ich bin zwar noch weit davon entfernt, meine ganze Woche rund um die Trainings herum zu planen und möchte aber ehrlich gesagt auch nicht an diesen Punkt kommen. Aber wenns mal nicht klappt, wie gedacht, stört mich das und die Laufrunde fehlt mir.

Und auch wenn mich das Training im Alltag ausgeglichener macht und ein Blick auf die Resultate der Einheiten für Glücksgefühle sorgt, schaffte es ein Kleinkind doch, mit ein paar einfachen Fragen mal rasch alles zu relativieren.

Aber warum?

Es ist noch nicht lange her, ich war schon mit einem Fuss zur Tür raus, um meinen Lauf zu starten, da verwickelte mich der 3.5-Jährige in folgende Diskussion:

Er: «Papi, wohii gosch?»

Ich: «Du, i gang go springa.»

Er: «Oh nai, nid schu wieder?!»

Ich: «Momol, aber i bin bald wieder do.»

Er: «Jo wohi springsch denn?»

Ich: «Jo, also, i macha eigentlich an grossa Kreis.»

Er: «Aber wohi denn?»

Ich, nach einer gefühlten Ewigkeit: «Jo, waisch, i laufa döt dura, wo miar amigs au dia Küah gsehn und denn wieder zrugg.»

Er: «Aber wieso muasch du das macha?»

Ich: «Waisch, i üaba für an Lauf, woni das mit ganz viela Lüüt zäma macha.»

Er: «Aber wieso machen denn alli dia Lüüt das?»

Ich merke, dass Beweggründe wie persönliche Herausforderung, Fitness, Grenzerfahrung, Midlife-Crisis oder ähnliches wohl kaum beim Kleinen ankommen werden und antworte: «Du, do gits glaub ganz viel verschiedani Gründ.»

Er: «Okay... Gömmer nochher in Spar? I wett as Poopaschool-Quärkli!»

Das Gespräch an der Türschwelle dauerte keine Minute, liess mich aber den ersten Teil der Strecke nur an eines denken: Wie sinnlos muss das für ein Kind klingen, dass Erwachsene sich über Wochen oder Monate darauf vorbereiten, mit anderen wildfremden Menschen einfach irgendwo im Kreis zu laufen? Ein Glück, stellte sich bei mir nach zirka zehn Minuten laufen eh der Überlebensmodus ein, in dem ich mich nur noch aufs Atmen und den Puls konzentrieren konnte.

Wieder zuhause angekommen, lag der Themenfokus beim ersehnten Quärkli, was mir allfällige weitere Fragen über Sinn und Unsinn eines Halbmarathons ersparte.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Ein Highlight der letzten vier Wochen war für mich auf jeden Fall der gemeinsame Lauf mit Kollege Oliver, den wir während einer Mittagspause absolvierten. Zwar setzte gleich zu Beginn ein kleiner Regenschauer ein, dies tat unserer Motivation aber keinen Abbruch. So machten wir uns auf, um vom Zürcher Office aus in Richtung Werdinsel zu laufen. Eine wirklich angenehme Route der Limmat entlang. Ich hatte anfangs noch Respekt vor dieser Einheit, da ich weiss, dass Oliver erstens viel fitter ist als ich und mich dieses Training im Direktvergleich nicht nur körperlich, sondern auch mental fordern könnte. Denn wenn ich eins nicht möchte, dann, dass jemand wegen mir nicht in seiner gewohnten Geschwindigkeit trainieren kann.

Doch der Lauf war schlicht und einfach toll. Oliver und ich konnten über Gott und die Welt plaudern (okay, es wurde viel über den Lauf und unsere bisherigen Erfahrungen im Training gesprochen) und er gab mir nie das Gefühl, dass wir zu langsam unterwegs waren, auch wenn wir definitiv unter seiner gewohnten Zeit liefen. Falls du das hier liest Olla (und ich weiss, du tust das): Lass uns das wiederholen!

Ergebnis eines gemütlichen Mittagslaufs in Zürich.
Ergebnis eines gemütlichen Mittagslaufs in Zürich.
Quelle: Claudio Candinas

Iron (Wo)men

Zeitsprung zum vergangenen Sonntag: Das Wetter war so – naja. Die Kinder mussten trotzdem raus, weil ihnen nach zu viel Zeit in den heimischen vier Wänden schlichtweg die Decke auf den Kopf fällt. Und so gings ab nach Rapperswil-Jona, um dort ein wenig beim See spazieren zu gehen, wo Kinder sich schön austoben können. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass dort genau an dem Sonntag der «Ironman 70.3 Switzerland» stattfand. Dementsprechend voll waren die Stadt und auch die sonst eher mässig frequentierten Plätze rund um den See.

Unsere Ruhe fanden wir trotzdem, aber ich konnte es mir nicht nehmen lassen, doch noch entlang der Route stehen zu bleiben und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei der Tortur zuzuschauen. Zum Glück, denn was sich mir da bot, stimmte mich zuversichtlich. Das Feld bestand aus durchtrainierten Läuferinnen, semi-sportlich aussehenden Mitdreissigern und auch dem einen oder anderen Teilnehmer, dem man rein optisch niemals eine solche Herausforderung zutrauen würde.

Ja, nenn mich jetzt oberflächlich, aber ich als Besitzer eines ausgewachsenen Dad-Bods erlaube mir, das einfach mal so zu sagen. Ich meine das auch keinesfalls herablassend, sondern bin beeindruckt und abermals motiviert, denn das zeigt mir: Egal, über welche körperliche Voraussetzung du verfügst, dein grösster Gegner ist immer noch dein Kopf. Deshalb gilt mein grösster Respekt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von sportlichen Herausforderungen jeglicher Art.

Adriano Engelhardt als bester Schweizer beim Ironman 70.3 in Rapperswil-Jona.
Adriano Engelhardt als bester Schweizer beim Ironman 70.3 in Rapperswil-Jona.
Quelle: Swisstriathlon.ch

Die 90-Tage-Challenge

Wieder im trauten Heim und im Alltag angekommen, ebbte die Euphorie dann relativ rasch wieder ab und ich darf mich jetzt wieder meiner eigenen Realität stellen. Ich bin immer noch weit davon entfernt, den Greifenseelauf in wirklich guter Manier über die Bühne zu bringen, aber ich werde mich weiterhin bemühen, mein Ding in meinem Tempo durchzuziehen. Ich habe jetzt noch etwas über drei Monate Zeit und wie es der Zufall (oder besser gesagt ein smarter Algorithmus) so will, wird mir just jetzt eine 90-Tages-Challenge in meinen Social-Feed gespielt, in der ein super durchtrainierter Herr mir völlig kostenlos – also wirklich völlig kostenlos, hat er mehrfach gesagt – hilft, bis September eine Körpertransformation sondergleichen zu vollziehen.

Natürlich sei alles wissenschaftlich belegt. Und habe ich schon erwähnt, dass das ganze völlig kostenlos ist? Naja, wir alle wissen, dass das absoluter Bullshit ist und man solche Videos gleich wegklicken kann. Mache ich natürlich auch, nach zirka 20 Minuten… Mann, ist der Typ überzeugend. Ich kann mich aber beherrschen und stütze mich weiter auf die Ergebnisse unserer «professionellen und realistischen Fitnesschecks».

So, jetzt muss ich los, weil der Alltag ruft und vor der nächsten Trainingseinheit noch Haushalt und andere Verpflichtungen anstehen. Ich nehme aus den letzten vier Wochen folgende Learnings mit:

  • Ein Lauftraining zu zweit macht alles ein wenig einfacher
  • Versuche gar nicht erst, einem 3-Jährigen Sinn und Unsinn deines Vorhabens zu erklären
  • Am Ende des Tages ist das alles wirklich auch eine Kopfsache

Hast du in letzter Zeit an einem Laufevent teilgenommen? Lass mich in den Kommentaren wissen, wie es gelaufen ist und geize nicht mit Tipps für mich.

Willst du Oliver und mich auf dem Weg zum Halbmarathon begleiten? Hier gibt’s Einblicke in unsere (Fort-)Schritte.

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Titelbild: Shutterstock

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