Hintergrund

Schauspieler Topher Grace schneidet «Star Wars», und es soll grossartig sein

Luca Fontana
11.3.2019

Schauspieler Topher Grace hat Copyright-Rechte verletzt, um die gesamte Star-Wars-Prequel-Trilogie auf 85 Minuten zu kürzen und aufzuführen. Rausgekommen ist die angeblich beste Version von «Star Wars», die du nie sehen wirst.

Es ist spät. Seit Stunden starrt Schauspieler Topher Grace ins flackernde Licht seines PC-Monitors – das einzige Licht, das im schummrigen Arbeitszimmer noch leuchtet. Er ist müde. Mit letzter Kraft überfliegt Topher die ersten Zeilen des E-Mails, das er soeben geschrieben hat. Das abgestandene Wasser, an dessen Glas er mit verzogener Miene nippt, ist einige Stunden zuvor noch eiskalt gewesen. Es könnte auch ehemals heisser Kaffee gewesen sein.

Topher Grace in «Interstellar»
Topher Grace in «Interstellar»

Das E-Mail ist nur für befreundete Filmemacher, Schauspieler und Pressefreunde bestimmt. Irgendwo in Hollywood soll eine Vorführung eines Filmes stattfinden, der nicht existieren dürfte. Eine geheime Veranstaltung. Ihr Inhalt ist rechtlich gesehen ein Minenfeld.

«Ich habe einen Star-Wars-Film gemacht, und ich werde ihn nur ein einziges Mal zeigen», steht in Topher Graces E-Mail.

Topher bittet um Verschwiegenheit, und tippt die letzten Worte ab. Als sein Finger über die «Senden»-Taste schwebt, hält er inne. «Ist das den ganzen Ärger, den ich kriegen könnte, wirklich wert», fragt er sich kopfschüttelnd.

Dann drückt er «Send», und schreibt so das erste Kapitel einer Legende Hollywoods.

Die Star-Wars-Prequel-Trilogie in 85 Minuten

Etwa so könnte sich das im Februar 2012 abgespielt haben. Ganz genau weiss es niemand.
Denn was die rund 50 Anwesenden angeblich im Kino gesehen haben wollen, ist die beste Version der Star Wars Prequels, die es gibt und die du nie sehen wirst. Kurz darauf tauchen detaillierte Beschreibungen auf, wie Topher die Handlung gestrafft, gekürzt und neu arrangiert hat. Berichte, die auf ein spannendes Experiment schliessen lassen.

So soll der Film gleich mit dem Kampf zwischen Qui-Gon Jinn (Liam Neeson), Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) und Darth Maul (Ray Park) beginnen. Alles, was sonst so in «Episode 1» passiert, wird gestrichen, weil im grösseren Kontext irrelevant. Midi-Chlorianer etwa. Qui-Gons letzter Wunsch, ehe er durch die von Maul zugefügte Lichtschwertwunde stirbt, ist, dass Obi-Wan den jungen Anakin Skywalker als Schüler nehmen und ausbilden soll. Anakin, der Auserwählte, der später zu Darth Vader wird.

Der perfekte Startschuss.

Anakin selbst taucht erst als Erwachsener im Film auf, gespielt von Hayden Christensen. Jake Lloyd, der Skywalker in «Episode I» als Kind verkörpert hat, fehlt ganz. Genauso wie die Handelsföderation, Politik-Gefasel und der Droiden-Angriff auf Naboo.

Einige Jahre nach dem Kampf gegen Darth Maul werden Obi-Wan und sein Schüler Anakin zum Planeten Coruscant gerufen, um Naboo-Senatorin Padmé Amidala (Natalie Portman) vor einem drohenden Attentat zu beschützen. Das führt direkt zur Verfolgungsjagd durch Coruscants Unterwelt in «Episode II».

Kaum ist die Gefahr gebannt, wollen Anakin und Obi-Wan rausfinden, wer oder was hinter dieser Bedrohung steckt. Der Schüler wird zum Bodyguard und begleitet die Senatorin nach Naboo. Ihrer aufkeimenden Liebesbeziehung wird viel Platz eingeräumt; Topher hat gar eine Szene, in der Anakin, Amidala und ihre Familie zusammen essen, eingefügt. Die Szene wurde von George Lucas aus den Prequels geschnitten, ist aber als Bonusmaterial auf DVDs und Blu-rays zu finden.

Dann wird Anakin von Visionen seiner sterbenden Mutter geplagt. Er kehrt nach Tatooine zurück, wo er seine zu Tode gefolterte Mutter findet. Die Szene in «Episode II», in der er die Tusken-Räuber abschlachtet, die dafür verantwortlich sind, fehlt.

Derweil sucht Obi-Wan nach Antworten. Seine Ermittlungen sind in Tophers Version stark gekürzt: Obi-Wan entdeckt keine geheime Klon-Armee auf Kamino. Jango Fetts Rolle ist auf ein Minimum reduziert. Und dessen Sohn, Boba Fett, ist ganz gestrichen worden. Stattdessen läuft der Jedi-Meister direkt dem bösen Count Dooku (Christopher Lee) auf dem Planeten Geonosis über den Weg. Drin geblieben ist die Szene, in der Obi-Wan eine Nachricht absetzt, die Schüler Anakin und Senatorin Amidala zu sich führt. Es kommt zur Arena-Szene mit den Jedi, allerdings stark gekürzt.

Damit ist «Episode II» abgehakt. Die Schnitt-Beschreibungen Topher Graces Version sind sich dahingehend einig, dass das Wort «Klon» nur ein einziges Mal im gesamten Film vorkommt. Ob die Klon-Armee selbst aber fehlt – besonders am Ende der obigen Arena-Szene auf Geonosis –, ist nicht eindeutig überliefert.

Weiter geht’s mit den «Episode III»-Szenen. General Grievous kommt nicht mehr vor. Ansonsten bleibt die ursprüngliche Storyline mehr oder weniger intakt, und der Film springt einige Monate vor. Padmé Amidala offenbart dem mittlerweile zum Jedi-Ritter geschlagenen Anakin, dass sie von ihm schwanger sei. Auch hier sind Padmé und Anakin insgeheim getraut worden. Und auch hier wird Anakin von neuen Todes-Visionen geplagt – dieses Mal von seiner Frau.

Der Jedi-Rat beauftragt Anakin, Republik-Kanzler Palpatine (Ian McDiarmid) zu überwachen, weil sie nicht sicher sind, ob sie dem Kanzler trauen können. Allerdings verwehren sie Anakin den Rang eines Jedi-Meisters. Das macht ihn sauer. Was dann der Schnittschere zum Opfer fällt, ist nicht genau beschrieben. Es klingt aber so, als ob Topher recht direkt zu jener Szene kommt, in der sich Palpatine Anakin gegenüber als böser Sith-Lord Darth Sidious zu erkennen gibt. Sidious versucht Anakin zu ködern, indem er ihm verspricht, dass nur die dunkle Seite der Macht im Stande sei, Padmé vor Anakins Todes-Visionen zu bewahren.

Dann warnt Anakin den Jedi-Rat vor Palpatine. Die Mitglieder des Rats stellen den Sith-Lord. Der Kampf im Büro des Kanzlers ist drin. Anakin greift ein und wechselt zur dunklen Seite der Macht. Der Jedi-Rat stirbt. Sidious gibt den Befehl zur Order 66, und fast alle restlichen Jedi in der Galaxis werden getötet.

Obi-Wan kehrt zusammen mit Jedi-Meister Yoda (Frank Oz) nach Coruscant zurück. Er erzählt Amidala, was Anakin getan hat. Sie glaubt ihm nicht, und reist zum Lavaplaneten Mustafar, wo sich der nunmehr böse Anakin befinden soll. Obi-Wan schleicht sich auf ihr Schiff und stellt Anakin. Sein ehemaliger Schüler, der denkt, dass Padmé das absichtlich so eingefädelt hat, erwürgt sie beinahe zu Tode.

Es kommt zum Kampf. Anakin gegen Obi-Wan. Auf Coruscant stellt Yoda den mittlerweile zum Imperator ernannten Darth Sidious. Am Schluss wird Anakin von Obi-Wan besiegt, und Yoda von Darth Sidious. Obi-Wan lässt den verstümmelten Anakin auf Mustafar zurück und nimmt Padmé Amidala zu einer geheimen Basis mit, wo sie Luke und Leia gebärt. Dann stirbt auch sie. Die Zwillinge werden ihren Zieheltern übergeben, versteckt von den Augen des Imperators. Obi-Wan bleibt bei Luke, um auf ihn aufzupassen. Yoda geht nach Dagobah ins Exil – eine Szene, die in George Lucas Version geschnitten worden ist.

Erst jetzt zeigt Topher Grace, wie Darth Sidious den bemitleidenswerten Anakin auf Mustafar findet. Der Imperator bringt seinen neuen Schüler nach Coruscant. Dort wird Anakin zu Darth Vader umoperiert. Sein «Noooooo»-Schrei fehlt in dieser Version. Die letzte Szene ist nämlich die, in der Vaders ikonischer Helm auf Anakins Gesicht gesetzt wird, und der tiefe grollende Ton seines Atems einsetzt.

Die Galaxie ist am Ende. Keiner hat gewonnen. Zeit für «Eine neue Hoffnung».

Der Cut – die Geschichten – die Legende

Topher Graces Freunde sind sich einig: Sein Fan-Schnitt zeigt, dass irgendwo zwischen den storytechnisch aufgeblähten Prequels ein verdammt guter Film steckt. Aber Topher macht allen klar, dass er keine Lust auf einen Rechtsstreit mit Lucasfilms hätte, und dass er den Film nie wieder irgendwo aufführen und schon gar nicht online stellen würde.

Nur schreiben dürfen die Freunde darüber, wenn sie wollen.

Genau das passiert. Die, die Topher Graces Version in den Himmel loben, machen den Fan-Schnitt zum Mythos. Tatsächlich gesehen haben ihn nur eine Handvoll Menschen. Angeblich jedenfalls. Niemand kann beweisen, dass es Tophers Fan-Schnitt überhaupt gibt, trotz dem obigen Beschrieb.

Ausser Topher selbst. Die Legende entsteht.

«Star Wars: Always» – das Vermächtnis

Topher Grace denkt bis heute nicht daran, mit dem Schneiden von berühmten Filmen aufzuhören. Dabei hat er keinerlei Ausbildung oder Ansprüche auf eine Karriere als professioneller Cutter.

Jüngst hat er in «BlacKkKlansman» mitgespielt. In der wahren Geschichte über einen afroamerikanischen Polizisten, der sich am Telefon als weisser rassistischer Mann ausgibt, um den Ku-Klux-Klan zu infiltrieren, gibt Grace den David Duke – den bekanntesten Neonazi der US-amerikanischen Geschichte.

Topher hat Duke monatelang recherchiert. Er hat sogar die Autobiografie des freundlichen Mannes gelesen, dessen Fähigkeit, Rassismus salonfähig zu machen, die beängstigendste ist. Die Rolle soll Topher Grace so sehr deprimiert haben, dass er kurzerhand Peter Jacksons «Hobbit»-Trilogie zu einem zweistündigen Film zusammengeschnitten hätte. Einfach, um David Duke aus dem Kopf zu kriegen.

Das wahre Vermächtnis seiner Arbeit von anno 2012 ist aber «Star Wars: Always». Zusammen mit einem Freund – ihre Frauen sollen angeblich gemeinsam übers Wochenende fortgegangen sein – hat er einen Star-Wars-Trailer mit Szenen aus allen zehn Filmen geschnitten, die seit 1977 ins Kino gekommen sind. Das klingt einfacher, als es ist. Im Wesentlichen musste er 22 Stunden und 30 Minuten Filmmaterial auf fünf Minuten kondensieren.

Das kleine Meisterwerk hat er auf seinem privaten Youtube-Kanal online gestellt. Ohne Ankündigung. Es ist sowieso das einzige Video, das dort zu finden ist: Topher Grace ist kein Youtube-Star. Trotzdem ist das Video in den ersten 48 Stunden mehr als eine Million Mal aufgerufen worden.

Ich weiss nicht, was andere so machen. Angeln gehen? Für mich ist das Filmeschneiden die ultimative meditative Entspannung.
Topher Grace, IndieWire, Juli 2018

Topher Grace, 40-jährig, wird wohl nie professioneller Cutter werden. Will er auch nicht. Soll er auch nicht. Der Filmnerd, der beruflich Hollywood-Schauspieler ist und privat am Schnittpult Dampf ablässt, ist so am besten.

Apropos: Ich habe Topher via offiziellen Twitter-Account gefragt, ob ich seine Version mal sehen dürfte. Die Antwort steht noch aus. Falls du Wege und Möglichkeiten kennst, an den Schnitt ranzukommen: Der Name ist «Star Wars: Episode 3.5 – The Editor strikes back». Gib mir Bescheid.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 

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