Ravensburger Guinness World Records 2025
Deutsch, Guinness World Records Ltd., 2024
Das Guinness-Buch der Rekorde ist jetzt in der 2025er-Edition erschienen. Ein guter Anlass, ein paar Hintergründe zur Erfolgsgeschichte zu beleuchten.
Nein, es ist nicht zufällig der gleiche Name. Nein, das «Guinness Book of Records» heisst tatsächlich wegen der irischen Brauerei so. Und das kam angeblich so: Versetze dich gedanklich nach Irland in den 1950er-Jahren. Nach einer Vogeljagd sitzen die Herren noch zusammen und diskutieren, warum die Schrotkugeln ihrer Gewehre das Federwild verfehlt haben. Nicht etwa ihr eigenes Unvermögen sei der Grund gewesen, sondern eher der Fakt, dass sie es mit dem schnellsten Wildvogel Europas zu tun gehabt hätten. Nur fehlt dafür der Beleg. Die Jagdgesellschaft konnte damals ja nicht einfach das Smartphone zücken und die Wahrheit bei Wikipedia suchen.
Und so kam der damalige Geschäftsführer der Guinness-Brauerei, Hugh Beaver, der ebenfalls an dieser Nach-Jagd-Diskussion beteiligt war, auf eine Idee: Er wollte ein Nachschlagewerk publizieren mit Rekorden aller Art. Der Geschäftsführer konnte das Projekt aber nicht alleine realisieren, deshalb spannte er mit den Zwillingen Ross und Norris McWhirter zusammen. Die beiden hatten zu dieser Zeit eine «Fact Finding Agency» in London. Ende August 1955 erschien die erste Ausgabe unter dem Titel «Guinness World Records». Zu Weihnachten stand es an der Spitze der britischen Bestseller-Liste.
Die ursprüngliche Idee, das Buch gratis an Gäste in Pubs zu verteilen, hatte Beaver verworfen. Der kommerzielle Erfolg durch den Verkauf des Buchs war grösser als die Werbung durch Give-aways.
Heute, fast 70 Jahre später, ist «The Guinness Book of World Records» eines der erfolgreichsten Bücher der Welt. Über 150 Millionen Exemplare wurden verkauft, es gibt das Buch in 100 Ländern und in 40 Sprachen. Damit ist das Buch erfolgreicher als «The Hobbit» (100 Millionen Verkäufe), aber liegt noch hinter den «Ausgewählten Werken» von Mao Tse-tung (252 Millionen). (Hier findest du bei Interesse eine ausführliche Rangliste.)
Geld verdient zum einen das Buch selbst. Aber aus dem Buch wurde schnell ein ganzes Konzept, quasi eine eigene Marke. Ab 1972 gab es im britischen Fernsehen eine Show rund um die Guinness-Rekorde. Die Geldmaschine richtig ins Laufen brachte aber der US-Amerikaner David A. Boehm. Er holte das in England 1955 so erfolgreich gestartete Rekordbuch schon 1956 in die USA und machte es dort über seinen Verlag Sterling Publishing populär. Für das Publikationsrecht erhielt die Guinness-Brauerei einen Prozentanteil am Umsatz durch die Verkäufe.
1961 publizierte Boehm zum ersten Mal eine Version des Buchs für die USA. In ihr waren Baseball-Rekorde enthalten, die in England niemanden interessiert hätten. In den 1970er-Jahren lag die Auflage des jährlich erscheinenden Buches bei über drei Millionen Exemplaren. Ab den 1980er-Jahren begann Boehm, Merchandise rund um das Buch zu verkaufen und Lizenzen zu vergeben. Von dem kapitalistischen Treiben hatten die Erfinder bei der Guinness-Brauerei dann aber wohl genug. In einem 18 Monate dauernden Rechtsstreit holten sie sich 1989 die Rechte zurück – für eine vergleichsweise geringe Summe von 8 Millionen US-Dollar.
Zwölf Jahre lang, von 1989 bis 2001, war das Rekordbuch wieder in der Obhut der irischen Brauerei. Dann wechselte das Buch für umgerechnet 65 Millionen US-Dollar die Besitzer, die wiederum aufgekauft wurden. Die neuen Eigentümer wurden dann wiederum selbst aufgekauft.
Schliesslich landeten die Rechte für «The Guinness Book of World Records» im Jahr 2008 bei der Jim Pattinson Group, einem kanadischen Mischkonzern. Das Guinness-Buch hat seinen Platz in der Entertainment-Division und bei der Marke Ripley. «Ripley’s Believe it or not» lautet der Name des Franchises, das in Nordamerika sehr bekannt ist. In Comics, Museen oder Freizeitparks geht es um Kuriosa, Naturwunder und Rekorde. Einige Exponate von Ripley’s sind eher verstörend: In einem Museum in Wisconsin ist der mumifizierte Kopf des deutschen Serienmörders Peter Kürten ausgestellt, der in der Weimarerer Republik als «Vampir von Düsseldorf» gefürchtet wurde.
Das Guinness-Buch und die Website mit allen Rekorden beinhaltet zwar auch heute noch gruselige Details wie eine Übersicht der schlimmsten Massentötungen oder den Hinweis auf Elizabeth Báthory als die Frau, die vermutlich die meisten Menschen getötet hat. Aber immerhin gibt es den Hinweis, dass keine Bewerbungen angenommen werden, solche Rekorde zu brechen.
Heute konzentriert man sich eher auf Menschen, die positive Rekorde brechen. So werden in der 2025er-Ausgabe des Guinness-Buchs der Rekorde Barbie, Taylor Swift oder Extremsportlerin Preet Chandi als Ikonen gewürdigt. Adolf Hitler hat heute im Gegensatz zu früheren Ausgaben keinen Platz mehr im Rekordbuch. Zum Genozid am jüdischen Volk findet sich allerdings immer noch ein schlecht gepflegter Eintrag auf der Website des Guinness-Buchs.
Die meisten Rekorde, die heutzutage Eingang ins Buch finden, sind moralisch und ethisch unbedenklich. Häufiger mal fragwürdig, aber guter Gesprächsstoff für einen Abend im Pub. Besonders dann, wenn dem Rekord auch etwas Verruchtes oder Mysteriöses anhaftet. Wusstest du zum Beispiel, dass der grösste Vorrat an Fluch-Tafeln aus der Römerzeit in den 1970er-Jahren bei Ausgrabungen in Grossbritannien entdeckt wurden – es waren 131 Stück. Auf jeder einzelnen hatte ein Römer sich an eine Gottheit gewandt und gebeten, einem Feind Schaden zuzufügen. Vor allem wimmelt es vor skurrilen Rekorden. Du darfst raten. Die Auflösung findest du unten in der Infobox zum Aufklappen. Es ist nicht zwangsläufig richtig, was hier am meisten angeklickt wurde. Das zeigt nur, was die meisten Leserinnen und Leser vermuten.
Einige Rekorde sind für Unternehmen wertvolle PR und gutes Marketing. So landete die Rhätische Bahn in der 2024er-Ausgabe des Guiness-Buchs der Rekorde. Ihre Leistung war der längste Personenzug der Welt (hier im Video zu sehen). Exakt 1906 Meter war die Komposition lang, die sich im Oktober 2022 über die Albula-Linie schlängelte. Mit dabei eine von der Rhätischen Bahn eingeladene Jurorin. Diese hat, so erfahre ich von der Medienstelle in Chur, am Vorabend des Rekordversuchs einen Waggon ausgemessen und dann den Wert mit der Zahl der geplanten Waggons multipliziert, um die Rekordlänge zu verifizieren. Kosten für Anreise und Unterbringung musste die Rhätische Bahn übernehmen. Wie viel dafür ausgegeben wurde, wollte mir der Mediensprecher allerdings nicht verraten.
In Turkmenistan hat der bis 2022 amtierende und im Stile eines Diktators regierende Staatschef Gurbanguly Berdimuhamedow sein Land gleich mehrfach ins Guinness-Buch gebracht. Er liess dazu unter anderem das grösste Indoor-Riesenrad errichten und die höchste Dichte an Gebäuden mit Marmorfassaden erschaffen. Comedian John Oliver hat die Obsession Gurbangulys in einer Folge humoristisch aufgearbeitet (beginnend ab Minute 13).
Marketing wie von Turkmenistans Herrscher gewünscht dürfte dagegen der Blog-Eintrag des Reiseanbieters Saiga Tours sein, der ausdrücklich die Guinness-Rekorde im Land als Grund für eine Reise dorthin aufführt.
Die Verbreitung des Internets – und damit des Wissens der Welt – hat in den vergangenen 20 Jahren die Verkäufe des Buches einbrechen lassen. Deshalb hat sich auch das Geschäftsmodell des Verlags geändert. Neu sind es vor allem die Menschen, die Rekorde aufstellen, die den Umsatz bringen. Gemäss Regularien auf der Guinness-Buch-Website kann zwar jeder und jede einen Rekordversuch anmelden, muss aber mit langen Wartezeiten rechnen. Und es kostet pro Meldung fünf US-Dollar, «no refund» bei Ablehnung natürlich. Diese fünf Dollar zahlen gemäss einem Bericht um die 50’000 Personen pro Jahr.
Mehr Geld spült es in die Guinness-Kassen aber, wenn Möchtegern-Rekordhalter die Wartezeit von mindestens 12 Wochen verkürzen wollen; dafür werden dann mindestens 800 Dollar extra fällig. Noch teurer wird es, wenn du deinen Rekordversuch von einem offiziellen Guinness-Buch-Schiedsrichter beaufsichtigen lassen willst. Anreise, Flug natürlich in der Business Class, und Unterbringung gehen auf deine Kosten. Du kannst aber den Rekordversuch auch selbst dokumentieren. Es gibt dafür eine lange Liste mit Regeln. Es ist übrigens nicht so, dass du, falls du einen Rekord aufgestellt hast, dafür auch nur einen Cent sehen würdest. Es gibt keine Preisgelder oder Prämien für Rekordhalter. Es ist also nur der Verlag, der Geld mit dem verdient, was du besonders kannst.
Unternehmen können sich an weltweit fünf Büros der Organisation wenden, wenn sie einen Rekordversuch zu einem Marketing-Event aufblasen möchten. Auf der Website agiert die entsprechende Abteilung des Verlags wie eine Marketing-Agentur, inklusive Best-Practise-Beispielen. So hat sich Whiskas den Eintrag für das lauteste Schnurren einer Katze gesichert. Autohersteller Chevrolet ist offiziell für die grösste jemals von einem Auto gezogene Flagge verantwortlich. Und auch, als der Österreicher Felix Baumgartner 2012 von Red Bull beflügelt aus dem All in Richtung Erde sprang, waren offizielle Rekordrichter anwesend.
Zu welchen anderen Absurditäten es im Reich der Guinness-Rekorde kommen kann, zeigte TV-Satiriker Jan Böhmermann im März 2023 in seiner Sendung im ZDF.
Nicht alle spielen bei Rekorden nach den Regeln des Guinness-Buchs. Dem Österreicher Andreas Dick genügt es, wenn er in sein persönliches Rekordbuch schreiben kann, was er geschafft hat. Er fährt jeweils die U-Bahn-Netze in Städten ab, und zwar so, dass er alle Stationen in möglichst kurzer Zeit besucht. In Hamburg hat er die 109 Stationen beispielsweise in knapp unter fünf Stunden geschafft. In einem Interview mit der «Zeit» erklärt Dick, dass ihm das Einfliegen eines offiziellen Schiedsrichters in der Businessklasse zu teuer sei.
Noch mehr Rekorde, die bisher nicht Guinness-Buch-würdig sind, findet man bei Reddit. Etliche Foren beschäftigen sich mit der Frage, ob bestimmte Errungenschaften eine Chance hätten. Man findet Screenshots von iPhones, deren Stoppuhr seit Zehntausenden Stunden läuft. Wobei ich die Zahl der ungelesenen Mails auf diesem Bild fast noch beeindruckender finde. Ob es das wohl ins Guinness-Buch schafft?
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.