Trump vs. TikTok: 10 Fragen, 10 Antworten zum TikTok-Verbot
Eine Executive Order des US-Präsidenten Donald Trump soll TikTok in den USA verbieten. Die Kurzfassung: Diese kleine Aktion ist politisch schwierig, eventuell menschenrechtlich relevant und wird schnell komplex.
Die Schlagzeile klingt heftig: US-Präsident will das soziale Netzwerk TikTok in den USA verbieten. Influencer fürchten um ihren Job, Nutzer wollen ihre Unterhaltung und parasoziale Interaktion. Doch dann kommt Microsoft. Oder Byte. Und niemand kommt mehr draus. Zeit, die ganze Sache genauer anzusehen.
Was ist passiert?
Am Donnerstag, 6. August 2020, hat US-Präsident Donald Trump TikTok und WeChat offiziell zum «Nationalen Notfall» erklärt. Dies vor dem Hintergrund, dass die beiden chinesischen Apps Nutzerdaten nach China abfliessen lassen.
Mit der Unterzeichnung kommt Donald Trump der Forderung des Senators Josh Hawley, Republikaner aus Missouri, nach, der im März gefordert hat, dass TikTok nicht auf den Geräten der Regierung installiert werden soll. Hawley wollte das TikTok-Verbot nur auf Geräten von Politikern und Contractors der Regierung verbieten. Unter dem Begriff «TikTok-Verbot» will Hawley verstanden wissen, dass es nicht um die eine App geht, sondern vielmehr um die Apps des Developer Studios ByteDance mit Sitz in Beijing, China.
In der Folge der Bill S.3455 hat Donald Trump den International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) genutzt. Dieser Act erlaubt es ihm, «ökonomische Transaktionen» zwischen natürlichen und juristischen US-Personen und ausländischen natürlichen oder juristischen Personen zu verbieten.
Wie begründet Donald Trump die Sanktionen gegen TikTok?
Im juristischen Kontext ist US-Präsident Donald Trump persönlich verantwortlich für die Sanktionen gegen TikTok. In einer Executive Order, die nur vom Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gesprochen werden können.
Donald Trump schreibt:
Doch es sind nicht nur Spionage-Bedenken, die Donald Trump zu den Sanktionen veranlasst hat. Er macht sich zudem Sorgen um die Zensur der chinesischen Regierung.
Donald Trump will demnach mit den Sanktionen ein Zeichen gegen die Unterdrückung von Minderheiten in China, namentlich die der Muslime und der Uiguren, setzen. Ferner will er verhindern, dass das soziale Videoportal für Desinformationskampagnen genutzt werden könne.
Wann wird TikTok verschwinden?
Am 11. August 2020 ist noch nicht ganz klar, ob und wie das TikTok-Verbot umgesetzt wird. Ab der Unterzeichnung des IEEPA-Dokuments hat ByteDance 45 Tage Zeit, US-konform zu reagieren. Das bedeutet, dass die Sanktionen frühestens am Sonntag, 20. September 2020, in Effekt treten.
Warum reden alle nur von TikTok, nicht aber über WeChat?
TikTok ist nicht die einzige App, die vom IEEPA-Notfall Trumps betroffen ist. WeChat soll ebenfalls am 20. September in der Nutzung limitiert werden.
Die chinesische App WeChat ist vor allem in China verbreitet. Dort gilt sie aber als de facto Standard-Messenger, ähnlich WhatsApp in unseren Breitengraden. WeChat hat aber weit mehr Funktionen als WhatsApp und ersetzt in vielerlei Hinsicht die Apps anderer Hersteller.
Ausserhalb Chinas aber ist TikTok weit verbreiteter als WeChat, weswegen sich die Berichterstattung aus Relevanzgründen für das Alltagsleben auf TikTok beschränkt.
Die App League of Legends, ein Rollenspiel, ist auch betroffen.
TikTok selbst ist in China nicht erhältlich. Auf dem chinesischen Markt ist eine Schwester-App namens Douyin aktiv. Sie ist mit allen Vorschriften der chinesischen Regierungen konform und hält die Datensperre der Chinesen gegen aussen aufrecht. Douyin ist vom Konzept und der Nutzung her identisch mit TikTok.
Wie wird das TikTok-Verbot umgesetzt?
Am 11. August 2020 kann über die Umsetzung des TikTok-Verbots nur spekuliert werden. Aktuell wird aber davon ausgegangen, dass die Apps einfach aus dem Apple App Store und dem Google Play Store verschwinden werden.
Das würde bedeuten, dass existierende Installationen der Apps aus dem Hause ByteDance bestehen bleiben, aber keine Updates mehr erhalten. In diesem Szenario könnte unter Android die App via Third Party App Stores wie APKPure weiter aktuell gehalten werden.
Ein zweites mögliches Szenario ist, dass die Regierung Trump die grossen Mobilfunk- und Internet Service Providers dazu zwingt, den Datenverkehr zwischen den Geräten ihrer Kunden und den Servern ByteDances zu blockieren. Damit wäre es allen Kunden auf dem Netz der Provider nicht möglich, TikTok zu nutzen.
Für Unsicherheit unter Nutzern und Legislatoren sorgt, dass der Begriff «Transaktion» im IEEPA recht vage gehalten ist. Ist der Datenverkehr eine Transaktion im Sinne des IEEPA? Kann sein. Sind die In-App-Einkäufe Transaktionen im Sinne der IEEPA? Kann sein. Rein wirtschaftlich und technologisch sind beides Transaktionen, aber die Frage bleibt offen: Was genau wird die Regierung Trump als «Transaktion» definieren?
Der Frage nach der Transaktion geht der Secretary of Commerce, Wilbur Ross, und sein Department nach. Er hat bis am Sonntag, 20. September 2020, Zeit, diese Begriffe im Kontext der Apps WeChat und TikTok zu definieren.
Ferner ist unklar, wie TikTok in der Nutzung nach dem 20. September 2020 aussehen wird. Sollte der Traffic eines theoretischen US-TikToks über separate Server laufen, dann würde ein drittes TikTok nebst TikTok und Douyin entstehen. Wenn das gesamte TikTok verkauft wird, bleibt es wohl bei TikTok und Douyin.
Welche Verdachtsmomente hat die Regierung Trump?
Die Regierung Trump selbst hält sich mit Erklärungen zum TikTok-Verbot bis am 11. August 2020 bedeckt. Aber die Bill S.3455 des Republikanischen Senators Josh Hawley aus Missouri ist besser erklärt.
Hawley und seine politischen Verbündeten machen sich Sorgen um eine mögliche Datensammlung. Der Verdacht: Die chinesischen Apps könnten Daten oder Metadaten von den Geräten von Regierungsbeamten abgreifen und an die chinesische Regierung übermitteln. Selbst wenn ein Beamter in den USA keine Videos teilt, so fordert die App folgende Berechtigungen ein, um funktionieren zu können.
- Mikrofon: record audio
- WLAN-Verbindungsinformationen: view Wi-Fi connections
- Kamera: take pictures and videos
- Geräte- und App-Verlauf: retrieve running apps
- Speicher: read the contents of your USB storage
- Speicher: modify or delete the contents of your USB storage
- Kontakte: read your contacts
- Fotos/Medien/Dateien: read the contents of your USB storage
- Fotos/Medien/Dateien: modify or delete the contents of your USB storage
- Identität: add or remove accounts
Damit ist die Basisfunktionalität der App gewährleistet. Doch TikTok fordert noch mehr.
- read Home settings and shortcuts
- receive data from Internet
- create accounts and set passwords
- control vibration
- expand/collapse status bar
- change your audio settings
- control flashlight
- prevent device from sleeping
- uninstall shortcuts
- use accounts on the device
- install shortcuts
- full network access
- run at startup
- view network connections
- reorder running apps
- toggle sync on and off
Einige dieser Berechtigungen sind einfach erklärbar. «Control Flashlight» wird dazu gebraucht, den Blitz der Kamera zu benutzen. Warum genau die App aber die Einstellungen deines Homescreens und deiner Shortcuts kennen will, ist unbekannt.
Ganz haltlos scheinen die Vorwürfe nicht zu sein. Am 11. August 2020 hat das Wall Street Journal enthüllt, dass TikTok einen Tracking-Mechanismus in ihrer Android App verbaut hat, der einen direkt identifizierenden Datensatz der Nutzer an TikTok übermittelt. Dabei handelt es sich um die MAC-Adresse deines Geräts, die nur dein Gerät hat.
Den Nutzern sei keine Chance gelassen worden, aus dieser Datensammlung auszusteigen. Mehr noch, die Sammlung sei hinter einer zusätzlichen Verschlüsselung versteckt.
Wie geht China mit Daten um?
In China müssen Developer von Gesetz wegen seit dem 1. August 2016 Metadaten aller App-Nutzer sammeln.
- Die App muss ihre User authentisieren, indem sie eine verifizierte Telefonnummer oder andere direkt identifizierende Daten an ein Online-Profil knüpfen. Also dein anonymes Twitter-Profil wird mit deinem Account-Namen vorname.nachname@gmail.com verknüpft
- Activity Logs, also Aufzeichnungen deiner Aktivitäten, müssen 60 Tage lang gespeichert werden
- Die App muss Regularien einhalten und Lizenzen beziehen, die App-spezifisch sind. Dies ist nicht genauer umrissen
- App Provider müssen sicherstellen können, dass ihre Apps keine Posts zulassen, die in irgendeiner Form gegen das chinesische Gesetz verstossen
- App Provider müssen diese Rechtsverstösse softwareseitig aufspüren können
- App Provider müssen diese Rechtsverstösse ausnahmslos melden
- App Provider müssen sich einer oder mehrer Inspektionen der lokalen Autoritäten unterwerfen
Was die Regierung mit den Daten macht, ist unbekannt. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Daten dazu verwendet werden könnten, Regierungskritiker und andere Unerwünschte entweder ausfindig zu machen oder weitere Beweise im Verfahren gegen sie zu liefern.
Wie geht ByteDance, Hersteller TikToks, mit Nutzerdaten um?
TikTok-Hersteller Bytedance gibt an, welche Daten bei der Nutzung der App gesammelt werden und wie der Hersteller damit umgeht:
Damit nicht genug:
Damit nicht genug:
Welche politischen Fragen wirft das TikTok-Verbot auf?
Die technologische Umsetzung des TikTok-Verbots ist die eine Frage. Eine weitere Frage ist die nach der politischen und menschenrechtlichen Legitimität des Verbots. Es ist möglich, dass die Nutzung der App im juristischen Sinne unter die Redefreiheit fällt.
Die Redefreiheit in den USA ist im First Amendment der United States Constitution festgehalten und verbietet es der Regierung, Sanktionen zu erlassen, die die Redefreiheit einschränken.
In diese Kerbe schlägt Hina Shamsi, National Security Head der American Civil Liberties Union.
Sollte die TikTok-Sperre tatsächlich laut Juristen und Gerichtshöfen als Einschränkung der Redefreiheit gewertet werden, dann wäre sie unzulässig. Trotz allen IEEPA-Notfällen könnte Donald Trump die App und deren Nutzung nicht verbieten.
Wie könnte TikTok gerettet werden? Was hat Microsoft damit zu tun?
Der aktuell sicherste Weg, damit in den USA TikTok weiter existieren kann, ist der Umzug. Wenn ByteDance TikTok verkauft, dann ist der Service keine App ByteDances mehr. Damit würde Hawleys Bill nicht mehr greifen. Trumps IEEPA spricht im Lauftext nur von TikTok, wird aber in den Sanktionen genereller:
Die Lösung scheint also einfach: Wenn ByteDance TikTok verkauft, dann ist die App gerettet. Die App darf aber nicht an eine Tochter oder Schwester ByteDances verkauft werden. Das heisst, dass ByteDance Zürich – sofern dieses Büro existiert – nicht die Herrschaft über TikTok erhalten darf.
Die Rettung TikToks ist eine wirtschaftliche Entscheidung. ByteDance muss rechnen. Womit verdient das App Studio aus Beijing mehr?
- Betrieb der App ohne den US-amerikanischen Markt
- Verkauf der App
Was nicht in diese Rechnung einfliesst: Die Bedürfnisse der User nach Unterhaltung in Form von kleinen Videos. Denn wenn du gratis einen Dienst nutzen kannst, dann bist du nicht der Kunde. Du bist das Produkt, das verkauft wird. So plakativ das auch klingt, so wichtig ist die Erkenntnis im Kontext der TikTok-Affäre.
Es halten sich die Gerüchte, dass Microsoft alle Rechte auf allen Märkten an TikTok – sprich die ganze App – kaufen will. Gesät wurden sie am Donnerstag, 6. August 2020, von der Financial Times. Der Konzern hat dies bis Redaktionsschluss am 12. August 2020 weder verneint noch bestätigt. Trotzdem hat sich der Gründer Microsofts, Bill Gates, zur Situation geäussert und Social Media einen «vergifteten Kelch» genannt. Was aber bestätigt ist, ist dass Microsoft die US-amerikanischen Teile TikToks kaufen will.
Den Gerüchten, dass TikTok komplett zu Microsoft gehen soll, hält das Magazin Business Insider entgegen. Dort gibt eine anonyme Quelle am 6. August 2020 an, dass der Bericht der Financial Times völlig falsch sei.
Ob jetzt Microsoft oder eine andere Firma TikTok rettet, oder Donald Trump seine Executive Order zurückziehen muss, die User der Videosharing App können nur eines tun: Warten. Denn als Produkt hat die Userbase keine Chance, mitzureden, mitzuentscheiden oder Einfluss auf das Prozedere zu nehmen. In diesem Sinne: Wir wissen spätestens am 20. September 2020 mehr.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.