Viel Lärm um Fett: Warum Vaseline besser ist als ihr Ruf
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Viel Lärm um Fett: Warum Vaseline besser ist als ihr Ruf

Vaseline ist sparsam und lässt sich anwenden auf Haut, Hundepfoten, Leder, Metall und vielem mehr. Allerdingst steht die Fettsalbe oft in der Kritik: Was ist dran an der Gefahr?

Vaseline ist wahrlich ein Multitalent: Vielleicht hast du auch ein Döschen von der ergiebigen Fettsalbe daheim. In der Industrie schmiert man damit Maschinen und schützt sie vor Korrosion, bei der Käseherstellung dient sie als Austrockungsschutz in der Käserinde. Zuhause kannst du damit Schuhe einfetten, um das Leder geschmeidig zu machen oder Hundepfoten, um sie im Winter vor Streusalz zu schützen. Und nicht zuletzt pflegt und schützt Vaseline deine Haut. Velo-Fahrerinnen und -Fahrer verwenden Vaseline gern vor langen Touren als Hautschutz am Hintern.

Das Mittel kann übrigens noch mehr, wie Ende 2022 ein vermeintlich findiger Tourist aus Deutschland bewies: Er klebte seine Autobahnvignette mit Vaseline an die Autoscheibe, bevor er in die Schweiz einreiste. (Zuvor hatte die Vignette an seinem anderen Auto geklebt.) Tja, der Betrug flog auf und kam den Autofahrer teuer zu stehen.

Legendär auch der Satz des Ex-Nati-Trainers Vladimir Petkovic während der EM 2020: Er will sich sein Haar mit Vaseline eingestrichen haben, um die ständige Kritik an sich abperlen zu lassen ... Sein Witz hat einen wahren Hintergrund, schließlich ist Vaseline wasserabweisend. Aber woraus genau besteht Vaseline überhaupt?

Was ist Vaseline?

Aus chemischer Sicht ist Vaseline, auch Petrolatum genannt, ein Gemisch aus mindestens zwei verschiedenen Mineralölkomponenten. Davon mindestens ein Öl und mindestens ein Wachs. Die festen und flüssigen Kohlenwasserstoffe werden aus Paraffinen bei der Erdölförderung gewonnen. Vor der Verwendung in der Kosmetik, zum Beispiel als Salbengrundlage, werden die chemischen Verbindungen hochgradig gereinigt. Man tupft sich also nicht schwarzes Rohöl, sondern weißliches (Vaselinum album) oder gelbliches Fett (Vaselinum flavum) auf die Haut.

Seit mehr als 150 Jahren existiert die Fettsalbe auf dem Markt: 1872 brachte der US-amerikanische Chemiker Robert Augustus Chesebrough das «petroleum jelly» unter dem heute weltweit bekannten Markennamen Vaseline auf den Markt. Der Historie nach hatte Chesebrough die Ölbohrarbeiter in Pennsylvania dabei beobachtet, wie sie sich auf Kratzer und Wunden eine Mischung aus Erdöl und Wachs schmierten. Die offensichtlich hautreparierenden Eigenschaften des Abfallstoffs aus der Erdölproduktion waren es, die den jungen Chemiker elektrisierten. Er nahm Proben mit in sein Labor in Brooklyn, reinigte und verbesserte das mineralölhaltige Produkt und nannte es Vaseline.

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Wie wirkt Vaseline auf der Haut?

In der Wundheilung hat der Paraffin-Mix eine jahrzehntelange Tradition als Fettgaze, zum Beispiel in der chirurgischen Nachversorgung bei Hauttransplanten, sagt der zertifizierte Wundmanager Gerhard Kammerlander. Er hat sich seit mehr als 40 Jahren auf Haut- und Wundmanagement spezialisiert und berät und schult als Experte in der Schweiz, in Österreich und Deutschland. «Die klinischen Studien belegen eindeutig: Vaselinum, das Gemisch aus Paraffinen, stellt die hypoallergenste Salbengrundlage dar.»

Gerade bei sehr trockener, schuppiger Haut, bei der die Hautbarriere verletzt ist, hilft Vaseline: «Wie ein Schutzfilm legt sich Vaseline auf die Hornschicht – die äußerste Schicht der Epidermis – und schützt so vor dem sogenannten Transepidermalen Wasserverlust (TEWL). Die ohnehin schon trockene Haut wird davor bewahrt, durch zu rasche Verdunstung noch mehr an Feuchtigkeit zu verlieren.» Somit wird Vaseline auch als Teil des NMF (Natural Mosturizing Factor) bezeichnet.

Hingegen wirkt bei stark aufgeweichter Haut Vaseline so: Sie verhindert, dass überschüssige Feuchtigkeit wie Schweiß oder Urin von außen in die ohnehin schon aufgequollene, feuchte Haut eintreten kann. Bei Zumischung von Zincum oxydatum und Wasser entsteht eine drei-phasige Zinkcreme, die zusätzlich das Verdunsten aus der Haut ermöglicht.

Auch bei stark verhornter Haut werden Paraffine eingesetzt. «In der Dermatologie verwenden wir zum Beispiel bei dicker Hornhaut an den Fußsohlen seit Jahrzehnten fünfprozentige Salicylvaseline, die zwei bis drei Millimeter dick aufgetragen und dann mit einem Verband abgedeckt wird. In Verbindung mit täglichen Fußbädern lässt sich so mit speziellen abrasiven Schwämmen oder speziellen PU-Schaumstoffen die Hornschicht sanft entfernen. Nach fünf bis sieben Tagen ist auf ganz milde Art die Hornschicht weg.»

Bei allen Anwendungen, sagt Kammerlander, gilt: «Vaseline muss immer indikations- und phasengerecht eingesetzt werden. Es wird zeitlich begrenzt und in der Regel – es gibt natürlich Ausnahmen in der Dermatologie – nur als dünne Schicht und nicht vollflächig angewandt.» Und: Bei therapeutischen Anwendungen wie Lotionen und Cremen verwendet man in der Regel keine pure Vaseline, sondern ein Gemisch mit hochwertigen Pflanzenölen und anderen Zutaten wie Zink oder Panthenol. Kammerlander betont: «Wie schon Paracelsus sagte: Die Dosis macht das Gift.»

Was sind die unerwünschten Wirkungen von Vaseline?

Für gewisse Hautzustände ist Vaseline also ein Allrounder, bestätigt der Haut- und Wundexperte. Wird sie aber unsachgemäß eingesetzt, kann Vaseline der Haut auch schaden – und das liegt an ihrer wasserabweisenden Wirkung: «Streicht man die Haut zu dicht mit Paraffinen ein, dann behindert diese Schicht den Wärme- und Feuchtigkeitstransfer der Haut. Es kann zu Wärme- und Feuchtigkeitsstaus kommen, die Entzündungen, Pickel und Juckreiz triggern. Das ist natürlich kontraproduktiv.»

Deshalb rät der Experte auch vom Kosmetik-Trend «Slugging» ab, der auf TikTok und Instagram die Runde macht: Dabei schmieren sich Menschen ihr Gesicht mit einer dicken Schicht Vaseline ein, um die Hautcreme darunter quasi zu versiegeln und somit besser wirken zu lassen.

«Slugging würde ich nicht allgemein gutheißen. Gerade bei sensitiver Haut kann es im Gesicht zur kompletten Abdichtung kommen und unter Umständen den Schweiß- und Talgtransport unterbinden. Was man als Laie machen kann: Falls die Pflegecreme für den Körper, die Arme oder Beine zu wenig rückfettend ist, mischen Sie fünf- oder zehnprozentiges Vaselinum dazu.» Das Vermengen funktioniert allerdings nicht bei allen Cremes – im Bedarfsfall am besten beim Hersteller nachfragen, ob das Produkt sich mit Vaseline mischen lässt.

Hautärztin Dr. Bettina Rümmelein von der Zürcher Hautarztpraxis Hautwerk rät ebenfalls vom Slugging ab: «Vaseline vollflächig im Gesicht braucht kein Mensch. Wir nutzen es zum Beispiel kurzfristig, wenige Tage lang, für eine besondere Art der Hautkrebs-Therapie. Dabei wird Vaseline ganz dünn eingestrichen und verbessert die Wasserspeicher-Kapazität der Haut, ohne sie komplett abzudichten und schmierig zu machen.»

MOAH und MOSH in Vaseline: Gefährlich oder nicht?

Aus dem pharmazeutischen Alltag ist Vaseline also nicht wegzudenken. Dennoch wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig kritische Stimmen laut. Der Grund liegt in seiner Herkunft. Du erinnerst dich: Vaseline wird aus Erdöl, also Mineralöl, hergestellt. Das klingt für manche Ohren weder besonders sympathisch noch ökologisch. Aber es geht ja nicht um Sympathie, sondern um Fakten.

Und die sehen so aus: Vaseline als komplexes Gemisch aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen besteht aus gesättigten Kohlenwasserstoffen, genannt MOSH (mineral oil saturated hydrocarbons), und aromatischen Kohlenwasserstoffen, kurz MOAH (mineral oil aromatic hydrocarbons).

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie viel davon in Vaseline steckt: Laut Stiftung Warentest enthielten von ihnen getestete Produkte bis zu neun Prozent MOAH. Bei den MOSH lagen die Werte je nach Rezeptur zwischen 10 und 94 Prozent.

Die chemischen Verbindungen, insbesondere MOAH, stehen im Verdacht, erbgutverändernd und krebserzeugend zu wirken. Allerdings fehle es dafür an eindeutigen wissenschaftlichen Beweisen, schreibt das deutsche Bundesamt für Risikobewertung (BfR) in seinen Fragen und Antworten zu Mineralöl in kosmetischen Mitteln: «Bislang gibt es für viele dieser Einzelsubstanzen keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu, wie sie oder ihre Abbauprodukte im Körper wirken.»

Hingegen stünden demgegenüber mehr als 100 Jahre Erfahrung mit Mineralölen in kosmetischen Produkten, so das BfR weiter: «Gesundheitliche Effekte von kosmetischen Produkten sind bisher, trotz ihres weitverbreiteten Gebrauchs, dennoch nicht aufgetreten. Es gibt hierfür derzeit weder klinische noch epidemiologische Befunde.»

Man könnte also sagen: Juristisch würde dies nach derzeitigem Beweismittelstand bedeuten «Im Zweifel für den Angeklagten».

Laut EU-Kosmetikverordnung sind Mineralöle in kosmetischen Mitteln ohnehin nur zulässig, wenn sie hochgradig gereinigt sind. «Also», betont das BfR, «wenn der Raffinationsprozess vollständig bekannt und der Ausgangstoff frei von kanzerogenen Substanzen ist oder das Destillat nach bestimmten Methoden auf kanzerogene Eigenschaften geprüft wurde.» Bei Vaseline, die in der EU hergestellt wurde, ist das der Fall.

Vaseline: Entwarnung hinsichtlich MOAH und MOSH

Und so gibt das BfR in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2018 Entwarnung:

«Nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand sind aus Sicht des BfR gesundheitliche Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher bei Anwendung kosmetischer Mittel auf der Haut nicht zu erwarten.»

Die MOAH-Gehalte in den Mineralölen würden durch die technologische Aufreinigung reduziert. Und «MOSH werden durch die Haut kaum aufgenommen und gelangen daher bei dermaler Anwendung mineralölhaltiger kosmetischer Mittel nicht in den Körper.»

Vaseline: Vom Ruf und Nutzen und Ökologie

«Der Ruf des Produkts ist viel schlechter als sein Nutzen», fasst Hautärztin Dr. Rümmelein die Debatte um die vermeintliche Gefahr von Vaseline zusammen. Auch sie betont die jahrhundertelange Erfahrung in der Pharmazie mit dem Produkt: «Wäre Vaseline hochgradig krebserregend, dann gäbe es dafür mittlerweile eine wissenschaftliche Evidenz.»

Und die Ärztin hat noch andere Pro-Argumente: «Ich wüsste nicht, wodurch man Vaseline ersetzen sollte. Aus meiner Sicht ist Vaseline – auch wenn es aus Erdöl hergestellt wird – ein besonders ökologisches Produkt: Es ist unglaublich sparsam, es ist somit ein Anti-Konsum-Produkt. Hinzu kommt: In einer medizinischen Studie ist eine Wundheilsalbe, die Vaseline enthält, gegen alle möglichen anti-biotischen Salben angetreten. Die mehr als 125 Jahr alte Rezeptur mit Vaseline hat am besten abgeschnitten. Bei all den vielen Antibiotika-Resistenzen, die wir mittlerweile haben: Da ist es doch genial, wenn ein nicht-antibiotischer Allrounder gewinnt.»

Titelfoto: shutterstock

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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