«WandaVision», Staffel 1: Die erste Folgenbesprechung
15.1.2021
Konservenlacher und naiver Humor. Das ist nur ein Trugbild. Eine Maskerade. Versprochen. «WandaVision», Marvels erste echte MCU-Serie, hat heute auf Disney+ Premiere gefeiert.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenbesprechung. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die ersten beiden Episoden von «WandaVision» an, bevor du weiterliest.
Ungewöhnlich, nicht so richtig vielsagend – aber irgendwie doch. Und dann das stetige Gefühl, dass irgendetwas so gar nicht stimmt. «WandaVision» beginnt genauso, wie die Trailer es versprochen haben: Anders, als du von einer Marvel-Produktion erwarten würdest.
Zum Start bringt Marvel gleich zwei Episoden. Kapitel? Bezeichnung? Nope. Episode 1 ist einfach Episode 1. Noch was, das «WandaVision» anders macht.
Das sind die besten WTF-Momente und Easter Eggs der ersten zwei Folgen.
Die 1950er – Eine Hommage
Das Bild ist schwarz-weiss. Das Bildformat 4:3 – wie früher, beim alten Röhrenbildfernseher deiner Eltern. Im nett vor sich hin dudelnden Intro ziehen eine gut gelaunte Wanda Maximoff (Elizabeth Olsen) und ein eher schüchterner Vision (Paul Bettany) in die Suburbanität der 1950er Jahre ein.
Wait, what?
Wir Fans kratzen uns den Kopf. Denn wir wissen: Vision ist in «Avengers: Infinity War» gestorben. Dürfte eigentlich gar nicht mehr am leben sein. Hier steht er aber. Will die frisch angetraute Wanda und ihr Hochzeitskleid über die Türschwelle hieven. Die Türe ist aber noch zu. Vision kommt durch. Superkräfte. Wanda nicht. Sie fällt zu Boden. Konservenlacher. Vision öffnet verlegen die Türe. Whoopsie. Aber Wanda nimmt’s mit Humor. Noch mehr Konservenlacher.
So geht das fast die ganze 30-minütige Folge durch. Inklusive des einfach gestrickten Plots, bei dem alles schief zu gehen scheint, was schief gehen muss. So Sitcom-billig die Lacher auch sind – das Tohuwabohu, das Wanda in der Küche veranstaltet, ist köstlich. Und der singende Vision. Haha. Okay. Der Humor ist genau so seichte wie unschuldig. Genau das macht die Hommage so perfekt.
Und dann noch die billigen Effekte. An Seilen hängenden Gegenstände. Deutlich sichtbare Schnitte, die kaschieren sollen, wenn plötzlich was von Punkt A nach Punkt B springt. Super.
Die Realität beginnt zu bröckeln
Etwas stimmt nicht. Das scheint uns die Episode die ganze Zeit sagen zu wollen. So ganz subtil, mit kleinen, versteckten Hinweisen. Als ob sie es nicht zu laut sagen dürfte, weil da jemand mithören könnte.
Aber immer dann, wenn Wanda oder Vision die richtigen Fragen stellen, kriegen sie keine echten Antworten. Etwa morgens, beim Blick auf den Kalender mit dem Herzchen-Eintrag.
«Was feiern wir heute? Unseren Jahrestag. Oder? Ist der wirklich heute? Sind wir tatsächlich schon so lange zusammen?»
Später Vision bei der Arbeit.
«Was macht die Firma? Berechnungen. Was für Berechnungen? Keine Ahnung. Aber seit du, Vision, da bist, sind wir um 300% effizienter als vorher.»
Dann beim Abendessen, mit Herr und Frau Chefs von Visions Firma.
«Woher kommen wir? Woher sind wir hergezogen? Wo ist hier überhaupt? Was ist unsere gemeinsame Geschichte? Haben wir vor diesem Tag überhaupt existiert?»
Ich mag, wie «WandaVision» diese Risse in einer Realität konstruiert, die überhaupt nicht sein kann.
Das Genialste kommt aber erst noch: Bis hierhin haben wir die Szenen so gesehen, wie sie in einem Studio bei einer Sitcom gedreht würden: Das Set ist eine Bühne, die Kamera mittig fix montiert. Bewegen sich die Schauspieler, schwenkt die Kamera. Perspektivenwechsel sind selten. Und wenn, dann fühlen sie sich genauso statisch an wie die Hauptkamera.
Dann wird’s ernst. Mr. Heart, der Chef, verschluckt sich an einer Erdbeere und droht zu ersticken. Vision muss ihn retten. Seine Hand, antimateriell, greift durch den Hals von Mr. Heart und schnappt sich das in der Luftröhre feststeckende Essen.
Und die Kamera?
Regisseur Matt Shakman bewegt sie, als ob wir wieder in einem Film wären. Sie beobachtet nicht mehr aus der Ferne. Wir sind mitten im Geschehen. Bewegen uns auf die Akteure zu, oder nehmen ihre Perspektive ein. Die Musik Christophe Becks wirkt zum ersten Mal bedrohlich und nicht mehr süffisant verspielt. Ein paar bange Sekunden lang befinden wir uns in keiner Sitcom mehr.
Ist es die Realität, die durchschimmert? Am Ende der Folge ist da ja noch das Herauszoomen aus dem Röhrenbildfernseher, auf dem diese Folge offenbar lief. Auf einmal ändert sich das Bildformat. Von 4:3 auf 21:9. Um den Röhrenbildfernseher lauter Monitore und Mischpulte. Als ob wir uns in einer Regiekabine befänden.
Und was hat dieses Zeichen auf dem Buch zu bedeuten?
Der Hinweis mit der Weinflasche
Es gibt noch einen Hinweis, dass es hier gar nicht mit rechten Dingen zu geht. Er ist nur kurz zu sehen. Genau genommen bei der 17:26-Minuten-Marke.
Achte auf das Etikett der Weinflasche: «Maison du Mépris». Zu Deutsch: «Haus der Verachtung». Verachtung. Kein zufällig gewähltes Wort. Bestimmt nicht. Verachtet da jemand die Realität?
Viel interessanter ist aber die englische Übersetzung des Etiketts: «House of Mépris». Ziemlich wahrscheinlich ein Fingerzeig in Richtung «House of M», einem Event in den Comics aus dem Jahr 2005, geschrieben von Brian Michael Bendis und illustriert von Olivier Coipel.
«House of M» erzählt im Wesentlichen die Geschichte einer vor Kummer verrückt gewordenen Wanda, die ihre ermordeten Kinder betrauert. Dank ihrer Kräfte verändert sie das gesamte Gefüge der Realität so, dass ihre Kinder wieder zum Leben erweckt werden – mit verheerenden Auswirkungen auf die Realität aller Lebewesen auf der Erde:
Das Event dezimierte die Mutanten-Population von Tausenden auf 198.
«WandaVision» könnte demnach lose auf «House of M» basieren. Statt den Verlust ihrer Kinder betrauert sie den Verlust Visions. Und um ihn wieder zurückzuholen, erschafft sie neue Realitäten, in der es kein Leid und nur Glückseligkeit gibt. Etwa so wie in einer 1950er Sitcom-Serie.
Die zweite Folge bleibt sich treu
Wir bleiben dabei, wechsel aber die Epoche: Die 1960er Jahre. Schwarzweiss. Sitcom. Konservenlacher. Marvel zieht das Sitcom-Konzept knallhart durch. Beinahe die ganzen 33 Minuten der zweiten Folge. Respekt.
Seltsame Dinge geschehen dennoch.
Zunächst der farbige Spielzeug-Helikopter im Gestrüpp des Vorgarten Wandas. Wait – farbe? Sind wir nicht in einer Schwarzweiss-Sitcom? Das muss was zu bedeuten haben. Darauf deutet auch das schon wieder auftauchende Schwertsymbol.
Der Plot der zweiten Folge: Wanda und Vision wollen sich integrieren. Wanda geht zum spiessbürgerlichen Treffen der Ehefrauen, die eine Benefiz-Talentshow vorbereiten, und Vision besucht das Treffen der Nachbarschaftswache, bestehend aus den Ehemännern. Keiner von beiden passt so recht dazu. Das ist witzig. Konservenlacher. Wie gesagt: Das Konzept wird durchgezogen.
Dann geraten die Dinge aus dem Ruder.
Die Szene: Am Pool, bei den Ehefrauen. Aus dem Radio kommt Musik. Dazwischen statisches Rauschen und eine männliche Stimme, die da nicht hingehört.
«Wanda, hören Sie mich?»
Kurz, bevor die 1960er-Sitcom-Realität zusammenbricht, geht alles wieder ins Normale über. Die Akteure erinnern sich nicht, was gerade passiert ist. Nur Wanda. Oh, ich mag es, wie die Serie zwischen der konsequenter Hommage diese kleinen, unbehaglichen Momente einbaut, die klar machen, dass nichts so ist, wie es scheint.
Heil Hydra in der Werbung
Wie schon bei der ersten Folge wird die Episode in der Mitte von 1960er-Werbung unterbrochen, die vor allem die niedere Stellung der Frau zementiert. Das ultrakonservative Frauenbild. In der ersten Folge war’s noch ein Toaster aus dem Hause Stark Industries, das Werbung für den perfekten Toast von Ehefrau für Ehemann machte. Dieses Mal geht’s um eine schicke Uhr – mit einem unverkennbaren Logo.
Hydra.
Dazu noch der Schriftzug: Strücker, Swiss Made.
Strücker. Wenn das keine Anspielung an Baron von Strucker ist vor seinem Tod Anführer der Nazi-Organisation Hydra gewesen und Federführend bei den Menschenexperimenten, die Wanda und Pietro Maximoff hervorgebracht haben. Zur Erklärung: In den Comics sind sie die Kinder des mächtigen Mutanten Magneto, daher ihre Kräfte. Weil Marvel zum Zeitpunkt der Einführung Wandas und Pietros in «Avengers: Age of Ultron» die Rechte an den «X-Men» nicht besass, erklärten die Drehbuchautoren die Herkunft ihrer Kräfte mit Experimenten, die Kräfte des Mind Stones auf Menschen zu übertragen.
Ob diese eingeschobenen Werbungen tatsächlich was zu bedeuten haben?
Das Ende: S.W.O.R.D., Schwangerschaften und Farbe
Das Ende mit Happy End. Wanda und Vision sind wieder in ihrem geliebten Heim und lassen den verrückten Tag Revue passieren. Dann geschieht was Komisches: Wanda ist auf einmal schwanger. Mit Bauch. So richtig fortgeschritten. Und es scheint weder Wanda noch Vision gross zu überraschen.
Ein Knall.
Von aussen. Vor dem Haus. Beide gehen nachschauen. Da, aus der Kanalisation. Ein Mann im Bienenschutzkostüm kommt raus, samit Bienen, die ihn umschwirren. Ein Imker? Oder eine Imkerin? Keine Ahnung. Aber da ist wieder das Schwert-Symbol. Was hat das zu bedeuten?
Werfen wir ein Blick ins Marvel-Wiki. Das Logo gehört zu S.W.O.R.D.. Die Abkürzung steht für Sentient World Observation and Response Department. In den Comics ist S.W.O.R.D. eine Unterabteilung von S.H.I.E.L.D., die weitestgehend autonom agiert und sich mit ausserirdischen Bedrohungen befasst.
Ausserirdische? Läuft’s darauf hinaus?
Wanda blickt den S.W.O.R.D.-Imker entsetzt an. Sie sagt ein Wort. Nur ein einziges: «Nein.»
Die Szene spult zurück. Wir sind wieder im Haus. Wanda und Vision betrachten das Bäuchlein. Sind glücklich. Die Szenerie gewinnt plötzlich an Farbe – wortwörtlich. Wir wechseln die Zeitepoche. Weg von den 1960ern. Hin zu den 1970ern.
Beide sind glücklich. Happy End. Und während der Abspann der WandaVision-Show innerhalb von «WandaVision» läuft, hören wir wieder statisches Rauschen und die gleiche Männerstimme wie zuvor.
«Wanda, hören Sie mich? Wer tut Ihnen das an?»
Fazit
Okay, das war mal was anderes. Vor allem aber Stückwerk. Anders als etwa «The Mandalorian», das sich nur lose einem roten Faden folgend von Episode zu Episode gehangelt hat – keine Kritik, ich mochte die Show so –, scheint «WandaVision» eher ein Grosses Ganzes aufzubauen, von dem wir bisher nur ein ganz kleines Stück gesehen haben.
Wie gut das ist, kann ich noch nicht sagen. Mein Interesse hat die Serie geweckt. Gerade dank ihrer Andersartigkeit. Und dem Mut, sich Zeit zu nehmen. Zumindest hoffe ich, dass sich die Serie tatsächlich einfach nur die benötigte Zeit nimmt, hier was aufzubauen, dass später enthüllt werden kann.
Wie hat euch die Folge gefallen? Gibt’s noch Easter Eggs, die mir entgangen sind? Schreibt’s in die Kommentare. Nächsten Freitag machen wir mit der Folgenbesprechung weiter.
Luca Fontana
Senior Editor
Luca.Fontana@digitecgalaxus.chAbenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»