Warum eigentlich wird bei Sitcoms Lachen eingespielt?
Prämisse, Dramatisierung, Pointe, Gelächter. Nicht von mir vor dem Fernseher, sondern von einer Tonspur in der Serie selbst. Viele Sitcoms setzen auf eingespielte Lacher – und zwar auf dieselben wie schon 1950.
Seit ich kein lineares Fernsehen mehr nutze, habe ich auch keine Sitcoms mehr geschaut. Bis vor einer Woche. Da habe ich auf Netflix «One Day at a Time» eingeschaltet. In den knapp halbstündigen Folgen schaue ich einer kubanisch-amerikanischen Familie bei ihren Problemen und Erfolgen zu. Konzeptuell nichts Neues. Und zu diesem Konzept gehört auch ein Element, das ich beinahe vergessen hätte: Aus dem Off wird Lachen eingespielt.
Warum eigentlich?
Live-Gefühl rekreieren
Bevor es Radio und Fernsehen gab, konnten Shows ausschliesslich kollektiv verfolgt werden. Entweder im Theater, in der Oper oder später dann im Kino. Jede Person im Publikum bekam die Reaktionen der anderen im Saal mit. Dieses Gefühl sollte nicht verloren gehen, nur weil mit Aufkommen des Radios auf einmal alles daheim im Wohnzimmer verfolgt wurde. Also wurden Shows live vor Publikum aufgenommen – mit allen Verlachern, Nicht-Lachern und Zu-laut-Lachern.
Doch das war anstrengend. Bing Crosby zum Beispiel hasste es, seine Radioshow – die von der Zigarettenmarke Chesterfield gesponsert wurde – live aufzunehmen. Und das auch gleich zweimal: Einmal für die Ostküsten- und einmal für die Westküsten-Primetime. Jack Mullin, ein Elektroingenieur, bot ihm eine aus Deutschland importierte Lösung. Kurz nach der Kapitulation des Nazi-Regimes, besuchte Mullin – der in Deutschland als Teil der amerikanischen Fernmeldetruppe stationiert war – das Studio von Radio Frankfurt. Ein britischer Soldat schwärmte von den Tonbandgeräten, die dort eingesetzt wurden, um Tag und Nacht Orchesterkonzerte senden zu können.
Zwei dieser von AEG hergestellten Magnetophone brachte Mullins in die USA, wo er ab Sommer 1947 für Crosby arbeitete, der dadurch seine Show aufzeichnen konnte. Als Bob Burns, ein Hillbilly-Komiker, während einer dieser Aufzeichnungen gewagte Witze erzählte, kassierte er zwar viel Gelächter, die Witze aber mussten herausgeschnitten werden. Die Reaktion des Publikums hingegen wurde aufbehalten – und ein paar Wochen später eingesetzt, als ein Auftritt nicht die gewünschten Lacher erzielte.
Die Lachkonserve war geboren.
320 Lacher auf Knopfdruck
Auch im Fernsehen wurde diese bald eingesetzt. Sitcoms wurden (und werden teilweise heute noch) vor Live-Publikum aufgenommen. Da es aber nur eine Kamera gab, mussten die einzelnen Szenen mehrmals aus verschiedenen Winkeln aufgenommen werden. Das hatte Einfluss auf die Reaktion des Publikums. Spätestens bei der dritten Wiederholung sorgte eine Pointe höchstens noch für ein müdes Lächeln. Und auch im ersten Take gab es teilweise Lacher an falscher Stelle oder solche, die zu lange dauerten. Toningenieur Charles Douglass störte sich daran und begann, das Lachen im Schnitt zu bearbeiten.
Von den 1950er-Jahren bis in die 70er hatte Douglass ein Monopol auf die Lachkonserve im amerikanischen Fernsehen. Das, weil er eine Maschine baute, auf der 320 verschiedene Lacher aufgezeichnet waren. Wie auf einer Orgel spielte er die Knöpfe, um vermeintlich authentisches Lachen zu kreieren. Für 100 Dollar pro Folge kreuzte er mit seiner Erfindung bei allen grossen Studios auf. Die «Laff Box» prägte die Sitcom-Landschaft so stark, dass Douglass 1992 dafür gar mit einem Emmy ausgezeichnet wurde.
Erst in den 1990er-Jahren begann «HBO» auf die Lachkonserven zu verzichten. Deren Shows «Dream On» und «The Larry Sanders Show» bewiesen, dass es möglich ist, gute Comedies ohne eingespieltes Lachen zu produzieren. Andere Studios schauten sich die Praxis ab, weil sie im Schreiben mehr Freiheiten bot. Es musste nicht mehr Pointe um Pointe abgefeuert werden, damit das Konzept funktionierte.
Wie gefilmt wird, wirkt sich auch auf Lachkonserve aus
Sitcoms wie «Malcolm in the Middle», «Scrubs», «The Office» oder «Curb your Enthusiasm» nutzen alle keine Lachkonserven. Auch, weil sie anders gefilmt wurden. Sie sind sogenannte Single-Camera-Serien, die heute dominierende Drehart. Das heisst, dass stets mit einer Hauptkamera gefilmt wird (nicht aber, dass insgesamt nur eine Kamera eingesetzt wird). Das Bild wirkt dadurch cineastischer und es bieten sich mehr filmische Möglichkeiten.
Sitcoms mit Live-Publikum werden dagegen im Multi-Camera-Setup gedreht. Dabei wird gleichzeitig aus mehreren Winkeln gedreht, wobei sich die Schauspielerinnen und Schauspieler wie auf einer Theaterbühne bewegen. Serien wie «Friends», «The Big Bang Theory», «2 Broke Girls» oder «The King of Queens» wurden so gedreht – und nutzen alle Lachkonserven, um die echten Lacher zu optimieren.
Es gibt aber auch Ausnahmen. So wurde «It’s Always Sunny in Philadelphia» zwar im Multi-Camera-Stil gedreht, nutzt aber keine Lachkonserven. Umgekehrt wurde «How I Met Your Mother» nicht vor Live-Publikum produziert, setzt aber trotzdem auf Lachkonserven.
Übrigens werden noch heute oft dieselben Lacher genutzt wie in Douglass’ «Laff Box». Das, weil sie sich für das Publikum bekannt anfühlen und dadurch schneller eine Reaktion hervorgerufen wird. Wenn ich mich also gemütlich aufs Sofa werfe, «One Day at a Time» einschalte und lachen muss, dann tue ich das in vielen Fällen zusammen mit bereits Verstorbenen.
Auftaktbild: Warner BrothersMeinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.