Max Factory Davide di Michelangelo
Was? Römische Statuen waren gar nicht weiss?
Glatter Marmor. Steinhartes Sixpack. Kleiner Penis. Strahlend weiss. Diese Vorstellung haben wohl die meisten von uns, wenn wir «Antike Statue» hören. Stimmt auch fast alles. Die Abbilder griechischer und römischer Jünglinge wurden aus Marmor gehauen, waren fit und nackt – aber auch bunt.
Dass die Griechen und Römer ihre plastische Kunst bunt bemalten, ist längst bewiesen. Trotzdem hält sich der Mythos von den weissen Skulpturen bis heute in vielen Köpfen. Auch in meinem. Bis ich mich kürzlich halbherzig durch die Arte-Mediathek klickte. Nachdem ich mir gerade auf Netflix «Love is Blind» reingezogen hatte, fühlte ich mich schuldig. Schuldig, mein Gehirn nicht zu füttern, meine Zeit mit stumpfsinnigem Reality-TV zu vertrödeln. Arte sollte mir ein besseres Gefühl geben.
Und so lernte ich in vier Minuten, dass griechische Skulpturen eigentlich bunt waren. Sehr bunt. Sie hatten braune Haare, rote Lippen, gelbe Kleider mit blauen Verzierungen und goldene Ohrringe. Oder bunt karierte Hosen, die jeden Alt-Hippie vor Neid erblassen lassen. Weiss-blaues Griechenland? Nichts da.
Aufklärer wollen sich abgrenzen
Laut dem Skulpturenmuseum Liebighaus in Frankfurt ist die Renaissance schuld am heute weit verbreiteten Glauben an die farblosen antiken Statuen. Im 14. Jahrhundert grenzen sich italienische Gelehrte explizit in ihrer Wertvorstellung vom Mittelalter ab. Auf einmal war die Antike wieder cool. Eine Skulptur nach der anderen wurde in Rom ausgegraben. Und die waren wohl dank der Spuren der Zeit beinahe wieder farblos. Das kam den Aufklärern gelegen. Die weissen Statuen und ihre formschöne Zurückhaltung waren das Gegenteil der prunkvollen und farbigen Kirchenfiguren. Kein Wunder also entstanden zu der Zeit Bildhauerarbeiten wie Michelangelos David.
An dieser Vorstellung hielten die Menschen der Renaissance auch fest, als zum Beispiel 1503 die Laokoon-Gruppe (die heute im Vatikan steht) ausgegraben wurde, die deutliche Farbspuren aufwies. Es war einfacher, sich diesen Fakt auszureden oder umzudeuten, als sein ganzes Wertesystem zu überdenken.
Lange wurde der deutsche Archäologe Johann Joachim Winckelmann als Befürworter der «weissen Antike» gesehen. Vor allem auch, weil in seinem 1764 veröffentlichten Werk «Geschichte der Kunst des Alterthums» der Satz «… so wird auch ein schöner Körper desto schöner sein, je weisser er ist …» zu finden war. Dabei bewunderte er eigentlich die Farbspuren der Göttin Artemis, die 1760 in Pompeji ausgegraben wurde. Die Vulkanasche – Pompeji wurde 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs verschüttet – konservierte die Farbpigmente, sodass sie von niemandem mehr geleugnet werden konnten.
Ausser natürlich von den grossen faschistischen Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Mussolini und Hitler betrachteten die weissen Marmorfiguren mit den gestählten Oberkörpern als Beweis für die Überlegenheit der arischen Rasse. (Um krude Ideologien irgendwie zu rechtfertigen, wird sich an jeden Strohhalm geklammert.)
UV-Licht ermöglicht seit einigen Jahren Rekonstruktionen
Seit den 1980er-Jahren ist vor allem das Ehepaar Brinkmann dafür verantwortlich, dass langsam immer mehr Menschen wissen, dass die Antike nicht weiss, sondern bunt war. Die Archäologin und der Archäologe erstellen mithilfe von Untersuchungen mit UV-Licht farbige Rekonstruktionen der unterdessen farblosen Skulpturen. Die Ergebnisse sind in der Wanderausstellung «Bunte Götter – die Farbigkeit antiker Skulptur» zu sehen. Momentan gerade im Metropolitan Museum of Art in New York.
Dass sich der Mythos der weissen Skulpturen aus der Antike so lange halten konnte, hat also mit zwei Dingen zu tun. Mit einer ehrlichen Fehleinschätzung, weil die Farbe bei vielen Ausgrabungen längst verblasst war. Aber auch mit expliziter Leugnung, weil bunte Kunst nicht ins eigene Weltbild passte.
Auftaktbild: Studie zur Farbigkeit des Treu-Kopfes, Foto: Liebighaus SkulpturenmuseumMeinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.