Weisheit oder Wahnsinn? Das steckt hinter der Co-Schwangerschaft von Vätern
Auf werdende und frischgebackene Eltern prasseln unzählige Baby-Weisheiten ein. In welchen steckt eine Portion Wahrheit? Welche sind nichts als Humbug? Höchste Zeit, diese Mythen auf den Prüfstand zu stellen – im ersten Teil: die Co-Schwangerschaft.
«Wir sind schwanger», sagen werdende Väter gerne mal, um ihrer Solidarität mit ihrer Partnerin Ausdruck zu verleihen. Oder «Ich bin mit-schwanger», wenn sie sich über ihren Bauchumfang lustig machen, der zeitgleich mit dem der werdenden Mutter zulegt. Das ist schnell einmal dahingesagt, grosse Bedeutung wird diesen Sprüchen kaum beigemessen. Die werdenden Papis futtern sich während der Schwangerschaftszeit halt einfach ein paar Extrakilos an.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Einige Männer entwickeln nämlich weit mehr Symptome, die eigentlich für schwangere Frauen typisch sind. Und zwar körperliche wie emotionale: Stimmungsschwankungen zum Beispiel, Übelkeit, sogar Erbrechen. Was absurd scheint, ist also durchaus real. Väter können tatsächlich co-schwanger sein – oder zumindest so etwas wie schein-schwanger. Und das Phänomen hat auch einen Namen: Couvade-Syndrom.
Vom traditionellen Brauch zum Tabuthema
Der Begriff ist vom französischen Verb «couver» abgeleitet, was auf Deutsch «ausbrüten» heisst, und er stammt aus der Ethnologie: «Couvade» geht auf traditionelle Rituale bei bestimmten Völkern zurück, mit denen sich Väter auf die Geburt ihres Kindes einstimmen. Sie legen sich während des Gebärens ins Bett und ahmen ihre Frau nach, um böse Geister fernzuhalten.
Die Wissenschaft umschreibt mit «Couvade» seit Ende des 19. Jahrhunderts das Phänomen einer Parallel-Schwangerschaft. Verschiedene Studien haben seither das Syndrom bestätigt. Im Unterschied zu den kulturellen Bräuchen werden hier die Schwangerschaftsbeschwerden aber nicht vorsätzlich nachgeahmt. Oft werden sie nicht einmal bewusst wahrgenommen. Oder sie werden erst im Nachhinein klar, wie der deutsche Väter-Coach und Buchautor Klaus Althoff im Interview mit «Men’s Health» festhält. «Viele verschweigen ihre Co-Schwangerschaft auch, da sie ihnen unangenehm ist.»
Entsprechend undurchsichtig sei, wie viele Männer von Couvade betroffen seien: Internationale Studien würden von einer Bandbreite zwischen 11 und 97 Prozent sprechen. Der Psychologe Harald Werneck von der Universität Wien, der sich seit fast 20 Jahren mit der Väterforschung befasst, geht im Gespräch mit «Zeit Online» davon aus, dass ein Anteil zwischen 10 und 30 Prozent plausibel sei. Sprich: Ungefähr jeder fünfte Vater zeigt Couvade-Symptome.
Übelkeit, Wehen und Wochenbett-Depression
Und diese Symptome können vielfältig sein. Im Rahmen einer Studie der Universität London aus dem Jahr 2007 berichteten Männer von körperlichen Beschwerden wie Magenkrämpfen, Rückenschmerzen, Morgenübelkeit, Erbrechen, Heisshungerattacken und Müdigkeit. Einigen wuchs gar ein «Babybauch». Und ein Vater spürte während der Geburt ähnliche Schmerzen wie die Wehen seiner Frau. Als psychosomatische Symptome gaben die Männer Dünnhäutigkeit und Stimmungsschwankungen an.
Ähnliches brachte eine indische Studie von 2014 zutage: Die werdenden Väter klagten über Verdauungsstörungen, Heisshunger, Appetitveränderungen, Kopfschmerzen und Müdigkeit. In beiden Studien traten die Symptome besonders in den ersten und letzten drei Monaten der Schwangerschaft der Partnerin auf.
Hormone oder Psyche, das ist hier die Frage
Wodurch eine Co-Schwangerschaft aufgelöst wird, ist unklar. Während Psychologen die Ursache in Verhaltensmustern suchen, machen Biologen den Hormonhaushalt dafür verantwortlich. Für hormonelle Ursachen spricht, dass der Testosteronspiegel bei den werdenden Vätern sinkt. Auf der anderen Seite steigt die Produktion des Bindungshormons Oxytocin an sowie die des Milchbindungshormons Prolaktin, genau wie bei der werdenden Mutter.
Der Wiener Psychologieprofessor Harald Werneck vermutet ein Wechselspiel zwischen psychischen Prozessen und den Hormonen. Er geht davon aus, dass besonders empathische Männer sich so sehr in ihre schwangere Partnerin einfühlen, dass sie deren Symptome unbewusst imitieren. Gemäss Recherchen von «Zeit Online» tritt eine Co-Schwangerschaft besonders häufig in gleichgeschlechtlichen Beziehungen auf, wie aus Elternforen im Netz hervorgeht.
Solidarität auf dem Teller
Die Solidarität schlägt sich dann auch auf dem Teller nieder. Die Bremer Diplompsychologin und Geburtsvorbereiterin Ulrike Hauffe stellte bei einer Untersuchung mit 150 Männern eine durchschnittliche Gewichtszunahme von vier Kilogramm fest. Eine Online-Umfrage eines britischen Marktforschungsunternehmens mit 5000 Vätern ergab gar eine Gewichtszunahme von mehr als sechs Kilo. Die Erklärungen der Männer: Sie seien mit ihrer Lebensgefährtin öfter essen gegangen, hätten sich vermehrt mit Süssem verköstigt und ihre Partnerinnen hätten grössere Portionen als üblich gekocht.
Die solidarische Gewichtszunahme ist das häufigste Symptom einer Parallel-Schwangerschaft. Und gleichzeitig das langwierigste. Denn während die restlichen Symptome nach dem Wochenbett bald wieder verschwinden, bleiben die Extra-Kilos vorerst auf der Waage. Schwacher Trost: Es gibt inzwischen auch Rückbildungskurse für Väter.
Welche spannenden Baby-Weisheiten gehören auf den Prüfstand? Von welchem skurrilen Schwangerschafts-Mythos hast du schon gehört? Schreib es mir in das Kommentarfeld unten oder via E-Mail.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.