Hintergrund

«Weniger ist mehr» ist für ihn nicht nur eine Floskel

Eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Bad, zwei Kinderzimmer. Klingt nach einer ganz normalen Wohnung – nur, dass diese lediglich 32 Quadratmeter zählt. Johannes Gerber wohnt in einem sogenannten Tiny House und hat dort alles, was er braucht.

«Ich habe es schon immer geliebt, wenig zu besitzen, um möglichst unabhängig zu sein», sagt Johannes Gerber. Früher segelte er über den Atlantik oder radelte quer durch Südamerika. Diese Unabhängigkeit lebt er nun in seinem «Tiny House» sesshaft aus. Später kam der Nachhaltigkeitsgedanke dazu, nämlich durch seine Freundin Gianna. «Anfangs musste ich dich dauernd ermahnen, das Licht auszumachen», sagt sie zu Johannes. Zwei Jahre später lebt er beinahe CO2-neutral.

Tiny House in Eigenregie

Am Stromnetz angeschlossen ist er nicht, sein Klo ist eine Trenntoilette: Flüssiges kommt unten raus, Festes bleibt oben hängen. Sein Wasser kommt momentan noch aus der Leitung in einen 150 Liter grossen Tank. «Das reicht für eine Woche», sagt er. Ein durchschnittlicher Schweizer bezieht knapp 145 Liter pro Tag! Bald soll eine Anlage zur Regenwasseraufbereitung folgen. Ausser dem Fahrgestell hat er alles an seinem Wagen selbst gemacht. Dafür hat er so oft wie möglich auf Material mit einer guten Energiebilanz zurückgegriffen und insgesamt etwa 400 Stunden Arbeit in sein kleines Häuschen gesteckt. «Als Laie würde ich aber mit dem Doppelten rechnen», sagt Johannes. Denn als selbstständiger Zimmermann ist er vom Fach. Und er hat einen wertvollen Tipp: «Scheue die Kosten für eine Statik- und Bauphysikberatung nicht. Wenn das nicht stimmt, wird’s problematisch.»

Ich höre immer wieder von Problemen, die schon viel früher beginnen. Beim Stellplatz nämlich. «In der Schweiz ist es tatsächlich nicht einfach, eine Parzelle zu finden», gibt er zu. Aber wer mit Leuten redet, der trifft auch auf offene Ohren. Ausserdem sei der Verein «Kleinwohnformen» gerade dabei, zusammen mit verschiedenen Gemeinden nach geeigneten Grundstücken zu suchen. Diese sollen dann an Vereinsmitglieder vermittelt werden.

Multifunktionale Bauweise

Johannes’ Tiny House steht auf dem Grundstück eines Bauernhauses, in dem Gianna mit ihrer Tochter und dem gemeinsamen Sohn wohnt. Jedes zweite Wochenende sind seine zwei Kinder aus einer früheren Beziehung da. Für die gesamte Patchworkfamilie ist das Tiny House zu klein und die Situation zu schwierig. «Meine zwei grossen Kinder wohnen bei mir im Wagen, wenn sie hier sind.» Damit sie sich wohlfühlen, haben sie je ein eigenes Zimmer, in das sie sich zurückziehen können. Möglich macht das die platzoptimierten Bauweise: Die Betten gehen über die Breite beider Zimmer und liegen übereinander. Auf der Seite des jeweils anderen Zimmers sind sie mit Holz verkleidet, auf der eigenen Seite offen.

Auch der Rest des Hauses folgt diesem Prinzip. Das Wohnzimmer steht als eine Art Erker hervor. «Es lässt sich über Schienen einfahren, sollte ich den Wagen für einen Umzug bewegen müssen», erklärt Johannes. Das TV-Möbel ist gleichzeitig ein Kleiderschrank, die Sitzbank outet sich durch Hochklappen als Stauraum und die Decke der Kinderzimmer fungiert als Schlafplatz von Johannes. «Mir war es wichtig, den Platz auf Augenhöhe frei zu lassen, um ein möglichst grosses Raumgefühl zu erzeugen.» Das hat er geschafft. Ich fühle mich zu keinem Zeitpunkt eingeengt, ganz im Gegenteil. Es ist richtig gemütlich.

«Caro, denk einmal darüber nach, wo du dich zu Hause wirklich aufhältst», fordert mich Johannes auf, während er mit einer alten Mühle Kaffee mahlt. Hmm, den Gang und das Büro kann ich schon einmal streichen. Wirklich viel Zeit verbringe ich eigentlich nur im Wohnzimmer und gelegentlich in der Küche. Bad und Schlafzimmer sind Mittel zum Zweck. Die Fläche meiner Wohnung erachte ich als nötig, um meinen Krempel unterzubringen. Der nervt mich aber eigentlich sowieso nur. Immer wieder habe ich Tobsuchtsanfälle, in denen ich am liebsten alles aus dem Fenster werfen würde. Mache ich aber leider nie, weil ich dann doch das Gefühl habe, alles zu brauchen.

Er schätzt die einfachen Dinge

Johannes besitzt einen Fernseher, Laptop, Drucker und ein Smartphone. Die fünf Liter Wasser, die er zum Duschen zur Verfügung hat, muss er vorher erst aufheizen. Für die einen eine Horrorvorstellung, für Johannes ein wahrer Genuss. «Dadurch, dass ich nicht einfach einen Knopf drücken kann, habe ich die Dinge schätzen gelernt.» Das geht vom Duschen über das Kaffeetrinken bis hin zum Wäschewaschen. Denn die Waschmaschine wird durch reine Muskelkraft angetrieben. «15 Minuten Drehen reichen, bis die Wäsche sauber ist», erzählt er und erstaunt mich damit. Bei meiner strombetriebenen Maschine gibt es kein Programm unter 30 Minuten.

Dieser «Mehraufwand» ermöglicht es ihm, unabhängig vom Stromnetz zu leben. «Wind und Sonne produzieren den Strom für mich.» Auf dem Dach des Tiny Houses sind Sonnenkollektoren sowie ein Windrad montiert und im Inneren ein Wechselrichter, der den Strom auf die üblichen 230 Volt Spannung bringt. «Bis jetzt hatte ich immer genug Strom für meine elektrischen Geräte.» Geheizt wird mit einem Holzofen. Und das geht unheimlich schnell bei dem kleinen Häuschen. «Es dauert nur etwa eine Stunde, bis der Wagen von zehn auf 20 Grad Celsius hochgeheizt ist. Danach wird es tendenziell zu warm.»

Tatsächlich wird es während unseres Gesprächs immer wärmer, sodass ich etwas vom Ofen wegrücken muss. Rote Wangen bekomme ich trotzdem. Vielleicht aber nicht nur wegen der Hitze, sondern auch weil ich merke, dass ich in meiner eigenen Bequemlichkeit gefangen bin. Wer dem Planeten etwas Gutes tun will, muss auf Komfort verzichten. Das muss aber nicht per se negativ sein, sondern kann sogar Spass machen. Johannes und seine Familie wirken zumindest ziemlich glücklich.

45 Personen gefällt dieser Artikel


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Eine Reise zurück zur Tradition

    von Carolin Teufelberger

  • Hintergrund

    Was Arbeit hinter Gittern bedeutet

    von Carolin Teufelberger

  • Hintergrund

    Der einzige Bündner Schindelmacher

    von Carolin Teufelberger

Kommentare

Avatar