Weshalb ich gerne an Beerdigungen gehe
Hintergrund

Weshalb ich gerne an Beerdigungen gehe

Martin Rupf
16.9.2022

Ich gehe in der Regel gerne an Beerdigungen, obwohl der Anlass eigentlich immer ein trauriger ist. Darf ich das? Ich frage eine Ritualleiterin, die durch Beerdigungen und Abdankungen führt.

Am Montag schaute die ganze Welt nach London auf die Beerdigung von Queen Elizabeth II. Ganz ehrlich: Ich wäre sehr gerne mit von der Partie gewesen. Denn Beerdigungen haben auf mich seit jeher eine Faszination ausgeübt. Eigentlich sind sie ja eine traurige Sache. Eigentlich. Doch fast jedes Mal, wenn ich an einer Beerdigung war, habe ich mich dabei ertappt, wie ich den Moment als «schön» empfand. Gut, ich hatte bis jetzt das Glück, noch nicht an sehr viele Beerdigungen gehen zu müssen, und mit ganz wenigen Ausnahmen handelte es sich bei den Verstorbenen um Menschen, die «ihr Leben gelebt» hatten. Und doch schämte ich mich jeweils fast ein bisschen dafür, mich auf eine Beerdigung zu freuen und diese dann auch als etwas Positives wahrzunehmen.

Immer wenn diese Gefühle auftauchten, erinnerte ich mich an die Romanfigur Harold Chasen aus dem Roman «Harold und Maude» des australischen Schriftsteller Collin Higgins. 1971 wurde die schwarze Komödie verfilmt. Sie handelt von einem jungen Mann, der in einem grosszügigen Landhaus aufwächst. Eigentlich könnte Harold ein unbeschwertes Luxusleben geniessen. Stattdessen versucht er seine Mutter mit theatralischen Selbstmordinszenierungen aus der Fassung bringen. Sie wiederum versucht, für ihren Sohnemann eine Frau zu finden, was Harold aber gekonnt zu verhindern weiss. Freude bereitet ihm eigentlich nur der Besuch von Beerdigungen, für die er sich jeweils einen pechschwarzen Leichenwagen zulegt.

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Bei einer Beisetzung lernt Harold die 79-jährige Maude kennen. Die Seniorin beeindruckt ihn mit humorvoller Dreistigkeit und einer unverbrüchlichen Lebensfreude, die zahlreiche Schicksalsschläge schadlos überstanden hat.

Harold besucht mit Vorliebe Beerdigungen und lernt bei einer solchen Maude kennen.
Harold besucht mit Vorliebe Beerdigungen und lernt bei einer solchen Maude kennen.
Quelle: Keystone

Vor einigen Jahren stellte ich mir vor, wie ich als Rentner aus einer Mischung aus Langeweile und Faszination Todesanzeigen durchstöbern werde, um mir dann spannend klingende Beerdigungen aus- und diese dann zu besuchen.

Eigentlich sind es folgende Gründe, weshalb ich gerne an Beerdigungen gehe. Erstens: Aus dem menschlichen Bedürfnis heraus, Abschied zu nehmen und dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Zweitens: Um den Hinterbliebenen zu zeigen, wie viel die verstorbene Person auch mir bedeutet hat. Und oft, gerade wenn ein entferntes Familienmitglied gestorben ist, trifft man Menschen an, die man noch nie oder seit Ewigkeiten nicht mehr getroffen hat. Drittens: Es tut mir immer wieder gut, mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert zu werden, die wir in unserer hochtourigen Gesellschaft nur allzu gerne verdrängen. Und viertens: Um sich beim anschliessenden Leichenmahl, bei dem es nicht selten ausgelassen und fröhlich zu und her geht, sich des Lebens, das man im Gegensatz zur verstorbenen Person noch hat, zu erfreuen.

Ritualleiterin: «Oft lernt man die verstorbene Person an der Beerdigung nochmals neu kennen»

Ist mein Faible für Beerdigungen noch normal? Ich kontaktiere Michaela Tobler. Sie ist Ritualleiterin und leitet als solche Abdankungen und Beerdigungen. «Natürlich ist der Anlass einer Beerdigung oder Abdankung grundsätzlich ein trauriger, nämlich der Tod eines geliebten Menschen», sagt Michaela Tobler, die seit eineinhalb Jahren Abdankungsfeiern begleitet. Letztlich gehe es darum, danke zu sagen und die verstorbene Person zu würdigen. Bei einer Person, bei der man sagen könne, «sie hat ihr Leben gelebt», überwiege in der Regel das Gefühl der Dankbarkeit. «Anders sieht es natürlich aus, wenn Kinder oder Jugendliche zu Grabe getragen werden müssen oder die Person selber aus dem Leben geschieden ist, weil der Tod dann einfach zu früh gekommen ist oder die Umstände besonders tragisch waren.»

Ritualleiterin Michaela Tobler sagt: «Hinterbliebene werden von der Anteilnahme der Gemeinschaft getragen.»
Ritualleiterin Michaela Tobler sagt: «Hinterbliebene werden von der Anteilnahme der Gemeinschaft getragen.»

Abschiedszeremonien und Abdankungen seien für die Hinterblieben auch deshalb wichtig, weil sie durch die anwesenden Trauergäste ein Gefühl dafür bekommen, wie viel die verstorbene Person ganz vielen Menschen bedeutet hat. «Und durch diese Teilnahme werden die Hinterbliebenen in ihrer Trauer von dieser Gemeinschaft getragen», so Tobler.

In der Regel sei eine Beerdigung das letzte Fest, «das genau in dieser Zusammensetzung stattfindet.» Zudem würden sich bei Beerdigungen oft Menschen treffen, die sich seit Ewigkeiten oder noch gar nie getroffen haben. «Auch ist es oft so, dass man eine verstorbene Person bei deren Beerdigung nochmals neu kennenlernt. Nicht selten werden beim Leichenmahl noch Fotos oder Dias gezeigt und man schwelgt gemeinsam in schönen Erinnerungen», sagt Tobler.

Der Wunsch der Hinterbliebenen ist ebenfalls wichtig

Auch wenn viele Menschen sich immer weniger einer Religion oder Kirche zugehörig fühlen, bleibe der Wunsch nach einem Abschiedsritual. «In der Schweiz sind wir in der glücklichen Lage, dass eigentlich alle Bestattungsformen vor allem auch in der Natur erlaubt sind», betont Tobler. Und gerade, weil sie nicht an Vorgaben der Kirche gebunden sei, sei sie in der Gestaltung der Zeremonien frei. Ein verstorbener Heavy-Metal-Fan habe sich für seine Abdankung den Song «Highway to Hell» gewünscht, weil er sich auf ein Wiedersehen mit seinen vor ihm verstorbenen Freunden gefreut hat.

Eine Botschaft ist Michaela Tobler wichtig: «Wenn ein geliebter Mensch stirbt, vergisst man oft, dass man sich Zeit lassen darf und nicht pressieren sollte.» Sie habe schon mehrmals die Erfahrung gemacht, dass es sich lohne, sich Zeit zu nehmen, wenn es darum geht, wie ein geliebter Mensch verabschiedet werden soll. «Natürlich hilft es, wenn man den Wunsch des Verstorbenen kennt. Wichtig ist aber auch, sich klar zu werden, was einem als Hinterbliebener wichtig ist.»

Dass Beerdigungen nicht nur traurig zu sein brauchen, bewies 1994 auch der Kinofilm «four weddings and a funeral» mit Hugh Grant und Andie MacDowell in den Hauptrollen.

Doch wie soll denn meine eigene Abdankung in hoffentlich fernen Tagen mal aussehen? Natürlich habe ich meiner Frau und meinen Kindern schon die eine oder andere Abdankungs-Anweisung gegeben. «Diesen Song müsst ihr spielen oder dort will ich meine Asche verstreut haben.» Und natürlich hoffe ich, dass sich ganz viele Menschen an meiner Abdankung die Ehre geben und zusammen in hoffentlich schönen Erinnerungen schwelgen – so wie ich es jeweils auch zu tun pflege.

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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