Wie ich beim Hochbett-Basketball den Familienfrieden verzockte
Mein Sohn ist abends meist fitter als ich. Er will alles, nur nicht ins Bett. Vom Leben gelernt, Folge 1378: Ein Basketball-Duell ist kein geeignetes Einschlaf-Ritual.
Vielleicht hätte ich die Produktbeschreibung lesen und ernst nehmen sollen. «Mit einer abbrechbaren Felge, einem klaren, bruchsicheren Rückenbrett und einem Schaumstoff-Miniball wird das Ego Ihres Gegners nur beschädigt», heisst es zum SKLZ Pro Mini Hoop Micro, einem kleinen Basketballkorb, der seit ein paar Monaten am Hochbett meines siebenjährigen Sohnes hängt. Das hätte Warnung genug sein müssen.
Nun ist mein Sohn in der Regel kein Gegner, sondern mein liebster Mitspieler. Der Gegner ist die Zeit. Es ist schon wieder gleich halb neun, die Uhr tickt erbarmungslos der Bettruhe entgegen. Er will natürlich weiterspielen und muss noch gar nicht gross betteln, weil er weiss, dass ich auch will. Uns gelingen ein paar Zauberkörbe über Bande und die Stimmung ist so gut, dass er mein «jetzt geh mal Zähneputzen» mit einem Lächeln quittiert.
«Los Papa, Freiwürfe!», ködert er mich und setzt zum Sprungwurf an. Also gut, denke ich, dann werde ich dir mal eine Lektion erteilen: «Jeder fünf Würfe. Gewinne ich, gehst du ins Bett.» Er willigt ein und ich bin entschlossen, meine Reichweitenvorteile auszuspielen. Der Korb hängt ungefähr auf Höhe meiner Nase. Wenn ich den Arm ganz ausstrecke, kann ich den Ball in einem sanften Bogen sicher versenken. Hoffe ich zumindest.
Crunchtime im Kinderzimmer
Mir fällt leider zu spät auf, dass ich gerade beschlossen habe, meinen Sohn mit einer Enttäuschung ins Bett zu schicken. Genial. Niederlagen verdaut er ungefähr so gut wie ein Kilo Trockenpflaumen. Ich rechne also mit dem Schlimmsten. Mit Geschrei und Tränen in den nächsten fünf Minuten. Aber nicht damit, dass er mich ein ums andere Mal abzockt, während er längst im Bett sein müsste. Wann immer es eng wird, versage ich und gerate, wenn ich den gereizten Tonfall meiner Frau richtig deute, langsam selbst in Schwierigkeiten. Zum Glück habe ich den Nachwuchs endlich am Rande einer Niederlage, als Mami ins Zimmer guckt. Entweder tickt irgendwo eine Shot Clock, oder sie hat ordentlich Puls.
Was sie ausserdem hat, ist recht. Natürlich. Es ist viel zu spät und immer ein Fehler, vor der Schlafenszeit nochmal so richtig aufzudrehen. Aber der Junge hat eben noch einen Wurf. Ehrensache. Ihr Blick verheisst nichts Gutes. Für keinen von uns. «Jetzt hast du richtig Druck», flüstere ich ihm zu, um seine Wurfhand zum Wackeln zu bringen. «Wenn du nicht triffst, ist es aus.» Er guckt. Wanzt sich mit winzig kleinen Trippelschritten noch etwas näher als erlaubt an den Korb heran. Wirft. Swish. Nothing but net. «Der war besser als deiner», triumphiert er. «Deiner hat den Ring berührt.» Mami schüttelt den Kopf, verdreht die Augen und verschwindet wieder. Na warte, Bürschchen. Jetzt ist Showtime.
Ich Michael, du Muggsy
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als in die Psycho-Kiste zu greifen. «Du siehst müde aus, das wird nichts», raune ich ihm bei nächster Gelegenheit zu. Er revanchiert sich mit spitzen Schreien, wann immer ich zum Wurf ansetze. Trash Talk mit einem Siebenjährigen. Kann ich. Die Sache wird sowieso eskalieren und muss irgendwie zu Ende gebracht werden. Möglichst schnell, denn langsam bin auch ich mit den Nerven am Ende. Jetzt nur keine Schwäche zeigen. Zumindest keine weitere, abgesehen von meiner offensichtlichen Wurfschwäche mit diesem dämlichen Mini-Ball.
Wir reden und spielen uns in diesen gefährlichen Zustand zwischen Spass und Ernst, bekannt aus Schule, Sport und seichten Hollywood-Komödien. Wenn Gewinnen irgendwann die einzig akzeptable Option zu sein scheint, gibt es nur Verlierer, die sich ganz am Ende reumütig versöhnen. Allerdings erst, wenn das halbe Quartier in Schutt und Asche liegt. Ganz so weit sind wir noch nicht, aber im Kinderzimmer herrscht bereits ein ordentliches Chaos und es ist kurz vor Kondenswasser an den Fensterscheiben. Ich kämpfe mit der penetranten Wuseligkeit meines Sohnes und muss an Muggsy Bogues denken, der mit seinen 1,60 Metern in den 1990ern die NBA aufmischte. Und an Michael Jordan, der ihn angeblich mal mit dem Spruch «shoot it, you midget» aus der Fassung brachte. Wirf, du Zwerg.
Ego beschädigt, ich auf der Felge
Mein Zwerg wirft, ich werfe. Es gibt keinen anderen Ausweg. Und irgendwann freue ich mich etwas zu sehr über diesen einen armseligen Treffer mehr, der dem immer unwürdiger werdenden Schauspiel ein Ende bereitet. Woraufhin der entthronte Seriensieger mir den gönnerhaft angebotenen Handschlag verweigert, bevor er schreiend zum Nerf-Amoklauf ansetzt und unablässig auf seinen Trompetenkoffer feuert. Auch ein Statement.
Und eine gezielte Provokation, denn die schaumstoffschiessende Plastikknarre ist gegen Mamis Willen im Haus. Ich bin ebenfalls kein Fan davon, habe mich aber irgendwann dazu überreden lassen und mir zur Selbstverteidigung direkt auch eine gekauft. Kam nicht so gut an. Heute mache ich davon nicht mehr Gebrauch. Ich weiss, dass ich verloren habe, weil mir der Abend längst völlig entglitten ist. Kapitulation. Strategischer Rückzug. Wenn ich jetzt noch das Gespräch suche, bekomme ich sowieso einen Korb.
Die Bilanz eines denkwürdigen Abends: Ein Ego beschädigt. Eine Ehefrau, die mir wahrscheinlich am liebsten das klare, bruchsichere Rückenbrett des Basketballkorbs über den Schädel ziehen würde. Und ich bin völlig auf der Felge, als mein Sohn viel zu spät und immer noch unglücklich einschläft. Immerhin gelingt mir kurz zuvor noch so etwas wie eine Versöhnung. Schlaf gut, Muggsy. Es wird dann ein ruhiger Restabend, an dem ich über meine Fehler nachdenken kann. Das hätte ich besser lösen können, muss ich selbstkritisch sagen. Meine Trefferquote war unterirdisch.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.