Meinung

Windows-11-Browser-Ärger: Wie Microsoft dich dazu bringt, die eigenen Dienste zu nutzen

Martin Jud
19.8.2021

Seit langem versucht Microsoft uns Windows-Benutzer bestimmte Dinge aufzuzwingen. Bei der aktuellen Vorabversion von Windows 11 erreichen Praktiken dazu ein neues Level. Der Umstieg auf einen anderen Standard-Browser sorgt für rote Köpfe.

Microsoft Edge? Danke fürs Angebot, aber ich möchte euren Browser nicht nutzen. Und ich verabscheue es, dass die Windows-Suche selbst dann, wenn Edge nicht Standard ist, den Browser für Resultate aus dem Web verwendet.

Was bei Windows 10 passiert, wenn du den Standard-Browser wechseln willst, dürfte bekannt sein: Du drückst auf den Knopf, um endlich mit Chrome, Firefox oder Opera unterwegs zu sein, und dann folgt nicht die Umstellung sondern ein Einwand Microsofts:

Was soll die Nachricht? Edge soll ich ausprobieren, obschon ich das Gegenteil tun möchte? Warum der dezent gehaltene «Trotzdem wechseln»-Knopf?
Was soll die Nachricht? Edge soll ich ausprobieren, obschon ich das Gegenteil tun möchte? Warum der dezent gehaltene «Trotzdem wechseln»-Knopf?

Hält mich Microsoft für doof? Denken die Windows-Entwickler, mit ihrem Text können sie mich vom Umstieg abhalten? In Wahrheit verärgert oder verwirrt Microsoft beim obigen Screenshot aus Windows 10 bei jedem Browserwechsel einen Kunden. Also mich und all die anderen, die solche Praktiken stören. Wir sind mündige Erwachsene. Wir wissen, was wir wollen. Gebe ich den Befehl auf Chrome zu wechseln, so hat das ohne weiteren Stolperstein zu geschehen. Doch die Macht ist nicht mit mir.

Nun habe ich die Beta von Windows 11 vor mir. Und dort ist es noch schlimmer als in Windows 10.

Windows 11: Wunderliche Standard-App-Einstellungen

Nutzerfreundlichkeit wird gross geschrieben. Es sei denn, Microsoft will dir einen der eigenen Dienste andrehen. Von Einschränkungen möchte ich als Microsoft-Kunde eigentlich nichts wissen, denn genau aus diesem Grund bin ich kein Apple-Kunde. Wobei ironischerweise gerade der Browserwechsel bei Apple einfacher funktioniert.

Die Benachrichtigung, die dich vom Umstieg auf einen neuen Browser abhalten will, gibt es bei Windows 11 immer noch. Jedoch ist das ein Klacks im Vergleich zu den Schikanen, die neu dazu kommen. Aus einem Stolperstein wurden viele.

Klickst du unter Windows 11 zum ersten Mal auf einen Weblink, fragt dich – vorausgesetzt du hast nicht nur Edge installiert – Windows, welchen Browser du standardmässig verwenden möchtest. Das passiert allerdings nur ein einziges Mal. Dabei wählst du die gewünschte Browser-Alternative und darfst vor der Bestätigung auf keinen Fall vergessen, ein Häkchen bei «Immer diese App benutzen» zu setzen. Sonst springt Windows beim nächsten Link wieder zu Edge zurück.

Diese Abfrage gibt es unter Windows 11 nur einmal.
Diese Abfrage gibt es unter Windows 11 nur einmal.

Danach sind sämtliche Web-Datei-Arten und -Link-Arten dem neuen Browser zugewiesen. Es funktioniert also vorerst alles wie bei Windows 10.

Doch wehe, du vergisst diesen Haken zu setzen oder du willst später eine Browser-Alternative ausprobieren. Versuchst du dann den Standard-Browser zu wechseln, führt dich der Klick auf die Wechsel-Option in Firefox, Chrome und Co. nicht etwa erneut zu obiger Abfrage, sondern in die Windows-Einstellungen der Standard-Apps.

Das Einstellungsmenü der Standard-Apps besteht bei Windows 11 aus einer Ansicht mit sämtlichen Apps anstelle der gewohnten Bereiche.
Das Einstellungsmenü der Standard-Apps besteht bei Windows 11 aus einer Ansicht mit sämtlichen Apps anstelle der gewohnten Bereiche.
Wo früher eine einzelne Option zum Wechseln des Standard-Browsers bestand, sind nun zig webspezifischen Datei- und Linktypen, die alle einzeln geändert werden müssen.
Wo früher eine einzelne Option zum Wechseln des Standard-Browsers bestand, sind nun zig webspezifischen Datei- und Linktypen, die alle einzeln geändert werden müssen.

Bei Windows 10 gab es im selben Einstellungsmenü jeweils einen Eintrag zu E-Mail, Karten, Musikplayer, Bildanzeige, Videoplayer und Webbrowser. Nun sind Programme aufgeführt und anstelle eines einzelnen Webbrowser-Eintrages sind da Datei- und Linktypen, die ich dem neuen Browser einzeln zuweisen muss. Also HTML, XHTML und Gedöns. Das konntest du unter Windows 10 auch tun, allerdings nicht hier, in dem Menü, wo ich auf schnelle Art sämtliche aufs Web bezogene Link- und Dateitypen zusammengezogen mit einem Klick für einen einzelnen Browser aktivieren möchte.

Super, Microsoft, wirklich.

Drückt mir ruhig alles aufs Auge, was ich nicht will. Eure Produkte wollen nur dann Nutzerfreundlichkeit bieten, solange es zufällig in euer Geschäftsmodell passt? Nur zu, verärgert uns Kunden ruhig weiter, wie ihr es auch mit dem erschwerten Zugang zum Offline-Konto beim Aufsetzen von Windows tut.

Auch ein Offline-Konto bei Ersteinrichtung von Windows zu erstellen, wird durch Microsoft erschwert.
Auch ein Offline-Konto bei Ersteinrichtung von Windows zu erstellen, wird durch Microsoft erschwert.

Für alle, die das nicht kennen: Willst du einen Offline-Account bei der Aufsetzung von Windows erstellen, geht das nur, wenn du darauf achtest, dass kein Netzwerkkabel eingesteckt ist. Ausserdem darfst du nicht darauf eingehen, wenn dich Windows um die Verbindung mit einem WLAN bittet. Du musst dann einen kleinen Text «Ich habe kein Internet» unten links am Bildschirmrand anklicken. Daraufhin startet sich der PC neu und Windows fragt erneut nach deinem Wi-Fi und du musst erneut auf «Ich habe kein Internet» klicken. Erst einige Sekunden danach wird es möglich, ohne Microsoft-Account Windows fertig zu konfigurieren. Wobei du vorerst nochmal auf einen Dialog unten links klicken musst, der «Weiter mit eingeschränktem Setup» lautet. Alles andere führt zu einem Zwang.

Erst nach dem Klick auf den Dialog, geht es definitiv mit einem Offline-Konto weiter.
Erst nach dem Klick auf den Dialog, geht es definitiv mit einem Offline-Konto weiter.

Und dieser Zwang oder dieses manipulative Spiel weckt nicht nur Widerstand in der Community. Bei der bereits bei Windows 10 bestehenden Edge-Browser-Zwangstaktik der Windows-Suche, wie auch beim neuen App-Standard-Wirrwarr, erheben sich auch immer wieder Entwickler alternativer Browser, um mal auf den Tisch zu klopfen. So haben gegenüber The Verge zum jüngsten Browser-Zwangs-Aufreger gleich vier Konkurrenten Stellung bezogen – Firefox, Vivaldi, Opera und Brave.

Selena Deckelmann, Senior Vice President von Firefox, gegenüber The Verge:
«Wir haben uns zunehmend Sorgen über den Trend unter Windows gemacht. Seit Windows 10 müssen Nutzer zusätzliche und unnötige Schritte unternehmen, um ihre Standard-Browsereinstellungen festzulegen und beizubehalten. Diese Hürden sind bestenfalls verwirrend und scheinen darauf ausgelegt zu sein, die Entscheidung der Nutzer für einen Nicht-Microsoft-Browser zu untergraben.»

Vivaldi-Sprecher gegenüber The Verge:
«Microsoft hat eine lange Tradition in diesem Bereich und es scheint, dass es immer schlimmer wird. Mit jeder neuen Version von Windows wird es schwieriger [die Standardeinstellungen zu ändern]. Sie wissen, dass sie die Leute nur dazu bringen können, ihre Browser zu benutzen, wenn sie sie einschränken.»

Krystian Kolondra, Leiter der Browserabteilung von Opera, gegenüber The Verge:
«Es ist sehr bedauerlich, wenn ein Plattformanbieter einen allgemeinen Anwendungsfall verdunkelt, um das Ansehen seines eigenen Produkts zu verbessern. Wir möchten alle Anbieter von Plattformen dazu ermutigen, die Wahlmöglichkeiten der Nutzer zu respektieren und den Wettbewerb auf ihren Plattformen zuzulassen. Den Nutzern die Wahlmöglichkeit zu nehmen, ist ein Rückschritt.»

Ein Sprecher des Brave-Browsers regt sich gegenüber The Verge im Speziellen auch über Widgets auf, die an Edge gebunden sind:
«Es scheint, dass die Widgets in Windows 11 den Standardbrowser des Nutzers ignorieren und stattdessen Microsoft Edge für den Inhalt öffnen. Für Brave stehen die Nutzer an erster Stelle und wir verurteilen diesen Ansatz von Windows 11, weil die Wahl eines Standardbrowsers viele Auswirkungen auf den Einzelnen und seine Privatsphäre hat. Die Nutzer sollten die freie Wahl haben.»

Und was sagt Microsoft dazu?

Mit Windows 11 setzen wir das Kundenfeedback um, um die Standardeinstellungen auf einer detaillierteren Ebene anzupassen und zu kontrollieren, indem wir App-Kategorien abschaffen und alle Apps in den Vordergrund der Standardeinstellungen stellen. Wie diese Änderung zeigt, hören wir ständig zu und lernen, und wir begrüßen das Feedback unserer Kunden, das uns hilft, Windows zu gestalten. Windows 11 wird sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln; wenn wir aus den Erfahrungen der Nutzer lernen, dass es Möglichkeiten zur Verbesserung gibt, werden wir das tun.
Microsoft-Sprecher gegenüber The Verge

Gut, dann hört nun bitte besser zu, denn eure bisherige Browser-Zwang-Marschrichtung kommt bei der Basis nicht an.

Abschliessend möchte ich daran erinnern, dass ähnliches Gebaren in Vergangenheit auch schon juristisch zum einen oder anderen blauen Auge geführt hat. Was war damals noch mal mit dieser 561-Millionen-Euro-Strafe im Jahr 2013, die wegen unfairer Geschäftspraktiken mit dem Internet Explorer durch die EU verhängt wurde?

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Der tägliche Kuss der Muse lässt meine Kreativität spriessen. Werde ich mal nicht geküsst, so versuche ich mich mittels Träumen neu zu inspirieren. Denn wer träumt, verschläft nie sein Leben.

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