Michelle Brändle
Hintergrund

Wo digitale Kunst ihre Grenzen hat: Mein Wandgemälde mit dem Grafiktablet Huion Kamvas Pro 27

Das Grafiktablett Huion Kamvas Pro 27 liefert ein XXL-Format, mit dem alles möglich scheint. Beim Versuch, ein 3-Meter-Wandplakat damit zu verwirklichen, erlebe ich die frustrierende Seite der digitalen Kunst.

Als Künstlerin träume ich von digitalen Leinwänden ohne Grenzen. Mit dem Huion Kamvas Pro 27 schien dieser Traum zum Greifen nah. Doch der Weg zu meinem ersten Wandgemälde entpuppt sich als Achterbahnfahrt der Gefühle - von Begeisterung bis Frustration. Das unerwartete grosse Problem liegt am Ende nicht beim Grafiktablett selbst.

Wo die digitale Kunst ihre Grenzen hat

Um die Schwierigkeiten und meine Entscheidungen beim Projekt zu verstehen, braucht es etwas Vorwissen. Digitale Kunst lässt sich auf zwei Arten von Leinwänden erstellen. Entweder mit Pixeln in einem vordefinierten Raster. Die Bilder sind anschliessend genau so gross, wie ich es vorab definiert habe. Möchte ich das Bild im Nachgang vergrössern, werden die einzelnen Pixel sichtbar.

So sieht es aus, wenn ich eine Pixeldatei vergrössere. Das Raster ist klar erkennbar.
So sieht es aus, wenn ich eine Pixeldatei vergrössere. Das Raster ist klar erkennbar.
Quelle: Vecteezy.com

Deshalb nutze ich für Logos und Bilder, die in diversen Grössen gebraucht werden, Vektorgrafiken. Diese basieren nicht auf einem Pixelraster, sondern auf einem Koordinatensystem. Hier wird allen Punkten und Formen eine Koordinate zugewiesen. Das Bild sieht so immer gleich aus, ob es nun einen Zentimeter gross ist oder auf fünf Meter skaliert wird. Es gibt also keine nervigen Pixel beim Vergrössern.

Vektorgrafiken lassen sich ohne Qualitätsverlust vergrössern, da sie auf Koordinaten basieren.
Vektorgrafiken lassen sich ohne Qualitätsverlust vergrössern, da sie auf Koordinaten basieren.
Quelle: Michelle Brändle

Aber auch hier gibt es eine Schwierigkeit: Vektorgrafiken sind nicht so leicht zu erstellen wie eine Skizze. Da ich jeweils die Punkte genau definieren muss, benötige ich ein spezielles Verfahren und Programm dafür. Ich nutze den «Adobe Illustrator». Das Endprodukt besteht aus klaren Formen und Flächen. Also ganz anders als bei gemalten Illustrationen. Diese bestehen aus «wackeligeren» Linien, mehr Struktur und kleinsten Details.

Die schwierige Wahl von Hard- und Software

Meine Auftragsarbeit ist diesmal ganz anders, als ich es gewohnt bin. Das Gemälde soll ein asiatisches Restaurant schmücken. Bisher durfte ich bei solchen Restaurants die Wände jeweils direkt bemalen. Das war bei so grossen Bildern am sinnvollsten. Dafür war diesmal aber die Zeit zu knapp.

Ein vektorisiertes Bild – mit den klaren Linien und der dadurch fehlenden Verspieltheit – wollte der Auftraggeber nicht. Das handwerkliche Geschick der Küche soll sich im Kunstwerk widerspiegeln. Das Motiv soll zudem spannend und keineswegs steril wirken. Deshalb ist Feinarbeit gefragt. Bei kleineren digitalen Illustrationen setze ich mich normalerweise einfach ans iPad mit dem Programm Procreate.

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    von Michelle Brändle

Hier beginnen die Probleme der digitalen Kunst. Es benötigt mehr Leistung bei einem Gerät, je grösser die Leinwand ist. Mein iPad Pro (2018) schafft höchstens Bilder von einem Meter Länge pro Seite. Zudem existiert Procreate nur für iPadOS.

Also brauche ich ein Gerät mit mehr Leistung – oder besser gesagt, eine Kombination aus Notebook oder PC und Grafiktablett. Da das Huion Kamvas Pro 27 mit Windows, Linux, MacOS oder Android läuft, kann ich problemlos mein Macbook Air verwenden. Ansonsten steckt Huion alles mit in den Lieferumfang, was ich benötige: vom Netzteil über eine Shortcut-Tastatur bis hin zu zwei Stiften mit Ersatzspitzen.

Beim Huion Kamvas Pro 27 fehlt es nicht an Zubehör. Sogar zwei Stifte sind mit dabei.
Beim Huion Kamvas Pro 27 fehlt es nicht an Zubehör. Sogar zwei Stifte sind mit dabei.
Quelle: Michelle Brändle

Da ich bereits das kleinere Pendant des Tablets getestet habe, gehe ich hier nicht zu stark auf die Details ein. Eine ausführliche Bewertung von Hardware, Zubehör und Arbeit mit dieser Modellreihe von Huion findest du in meinem Review des Huion Kamvas Pro 19.

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Dann fehlt noch das Malprogramm. Als Alternative zu Procreate nutze ich «Clip Studio Paint». Mit diesem Programm teste ich immer Grafiktabletts. Es bietet eine enorme Auswahl an Pinseln, Leinwänden und sonstigen Möglichkeiten. Und das Wichtigste: Ich kann mit ihm eine drei Meter grosse Pixelleinwand bemalen.

Meine Procreate-Alternative Clip Studio Paint scheint die perfekte Lösung für mein Grossprojekt zu sein.
Meine Procreate-Alternative Clip Studio Paint scheint die perfekte Lösung für mein Grossprojekt zu sein.
Quelle: Michelle Brändle

4K-27-Zoll-Display: den absoluten Überblick und Detailreichtum

Ein so grosser Bildschirm wie jener des Huion Kamvas Pro 27 bietet mir für das Projekt einige Vorteile. Auf dem 27 Zoll grossen Bildschirm mit einer Auflösung von 3840 × 2160 Pixeln behalte ich selbst bei kleinsten Details den Überblick. Zudem versieht der Hersteller das Display mit einem Anti-Reflexionsglas. Damit spiegelt es bei Lichteinfall nicht und ich habe einen guten Blick auf mein Kunstwerk. Das mattierte Glas ist zudem angenehm fürs Zeichnen, da der Stift gut darauf gleitet.

Das Display stellt Farben insgesamt knallig dar, was bei mattierten Oberflächen nicht zwingend der Fall ist. Auch bei der Farbraumabdeckung liefert Huion top Werte: Bei sRGB sind es 99 % und bei Adobe RGB 97 %.

Die Touchfunktion des Kamvas Pro 27 funktioniert allerdings nur mit einem Windows-PC. Bei meinem Macbook bringt mir das deshalb nichts. Zur Navigation nutze ich deshalb die mitgelieferte Shortcut-Tastatur.

Das Projekt braucht viel Platz und Geduld

Um auf dem Tablet zeichnen zu können, brauche ich vor allem Platz, denn das Gerät misst 65 × 40 × 23 Zentimeter. Zusätzlich kommt mein Notebook auf den Tisch. Dieses verbinde ich per USB-C mit dem Kamvas Pro 27. Für den Strom schliesse ich zusätzlich das mitgelieferte Netzteil an. Anschliessend suche ich mir von der Webseite des Herstellers den passenden Treiber für macOS. Nur so kann ich Einstellungen für die Bildschirmanzeige, den Stift und die Shortcut-Tastatur vornehmen.

Das riesige Tablet benötigt nahezu meinen ganzen Arbeitsbereich.
Das riesige Tablet benötigt nahezu meinen ganzen Arbeitsbereich.
Quelle: Michelle Brändle

Anschliessend richte ich mich in der Software ein. Für «Clip Studio Paint» musste ich mir noch eine Handvoll Pinsel herunterladen, um ähnliche Maleffekte wie bei Procreate hinzubekommen. Dazu bieten die Entwickler auf ihrer Webseite einiges an gratis Dateien an, aber natürlich auch solche für ein wenig Kleingeld.

Eine Leinwand mit meiner gewünschten Grösse von drei mal drei Metern kann ich zwar erstellen. Die Probleme folgen bald darauf. Das Bearbeiten der Leinwand benötigt nämlich unglaublich viel Rechenleistung und da reicht mein Macbook Air mit dem M1-Chip und acht Gigabyte RAM nicht aus. Das zeigt sich darin, dass ich beim Malen eine extreme Verzögerung habe. Jeder Strich, jede ausgefüllte Form braucht einige Sekunden Ladezeit.

Das verhindert einen fliessenden, angenehmen Zeichenprozess. Dennoch versuche ich, damit klarzukommen. Die Skizze erstelle ich deshalb vorab bei Procreate und nutze sie als Grundlage. So komme ich nur langsam und gemächlich voran und verzweifle nahezu. Die Pinselstriche hinken dauernd hinterher. Beim Ausmalen grösserer Flächen warte ich teils minutenlang. Insgesamt benötige ich so knapp zehn Stunden für das Bild. Normalerweise wären es etwa zwei. Ich tröste mich damit, dass ich von Hand auf eine drei Meter Leinwand immer noch doppelt so lange brauchen würde. Hier würde ein leistungsstärkerer Computer auf jeden Fall Abhilfe schaffen.

Das grösste Problem stellt das Abspeichern meines Werks dar. Als Clipstudio-Projekt lässt sich das Bild problemlos sichern. Wenn ich die Illustration als JPG-Datei exportieren möchte, streikt das Programm jedoch. Die Datei sei zu gross: «Bilder in einem Format von über 30000 Pixeln in der Breite oder Höhe können nicht gespeichert werden». War also alles für die Katz? Meine zehn Stunden Arbeit will ich nicht einfach so aufgeben.

Mein Bild ist zu gross für den Export. Mist!
Mein Bild ist zu gross für den Export. Mist!
Quelle: Michelle Brändle

Also teile ich mein Bild in vier Viertel auf, um nicht über die 30000-Pixel-Grenze zu kommen. Dazu kopiere ich die ganze Leinwand und füge sie in eine neue Datei mit 1,5 Meter langen Seiten ein. Das Abspeichern dieser geviertelten Datei benötigt anschliessend eine satte Viertelstunde. Solche Speicherzeiten kenne ich sonst nur von Videos. Damit habe ich mein Macbook nun wirklich an seine Grenzen gebracht.

Ich speichere das Bild wie ein Puzzle in vier Teilen ab.
Ich speichere das Bild wie ein Puzzle in vier Teilen ab.
Quelle: Michelle Brändle

Ich liebe die 27 Zoll

Dass ich bei diesem Projekt so lange durchgehalten habe, ist am Ende dem Huion Kamvas 27 Pro geschuldet. Es bringt mir viel Spass, auf dem Riesen-Tablet zu malen. Die Grösse möchte ich nicht mehr missen und das mattierte Glas fühlt sich beim Zeichnen super an.

Das Bild ist trotz allen Schwierigkeiten fertig geworden. Ich bin happy.
Das Bild ist trotz allen Schwierigkeiten fertig geworden. Ich bin happy.
Quelle: Michelle Brändle

Einzig der integrierte Standfuss mit einem Neigewinkel von 20 Grad war mir beim 19-Zoll-Tablet schon zu niedrig. Gerade bei längeren Projekten und grösseren Sujets würde ich den Winkel gerne höher einstellen. Display, Verarbeitung und die neue Stifttechnologie (4.0) sind dennoch insgesamt hochwertig.

Bei meinem Grossprojekt war am Ende die zusätzliche Hardware das Problem. Für ein drei Meter grosses Gemälde bringt mein Macbook Air mit dem M1-Chip zu wenig Leistung. Tatsächlich hat es zwar funktioniert, aber nur mit absurd viel Zeit und Geduld. Für mein nächstes Projekt auf dem Tablet werde ich auf jeden Fall wieder zu einer Leinwand mit höchstens einem Meter Kantenlänge wechseln.

Das Huion Kamvas Pro 27 wurde mir vom Hersteller zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und ist offiziell in ihrem Webshop erhältlich. Bei uns im Shop führen wir zurzeit lediglich eine leicht kleinere Version mit 24 Zoll und nur einem Stift im Lieferumfang. Das ist immer noch sehr gross und kostet nur die Hälfte.

Titelbild: Michelle Brändle

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