Hintergrund

Worauf es in der Fotografie wirklich ankommt

David Lee
4.9.2017

Eigentlich weiss es ja jeder: es ist nicht entscheidend, ob man eine gute Kamera hat, sondern ob man fotografieren kann. Aber was heisst das? Ein paar Tipps, wo du den Hebel ansetzen kannst.

Mit Kameras ist es ähnlich wie mit PCs oder Smartphones. Immer, wenn du etwas gekauft hast, kommt wenig später etwas Besseres auf den Markt, das dein Gerät alt aussehen lässt. Sich darüber aufzuregen, ist sinnlos. Nicht nur, weil es sich nicht ändern lässt, sondern auch, weil es gar nicht so schlimm ist. Wie auch bei PCs gilt auch bei Kameras: Dein Gerät ist für die allermeisten Zwecke gut genug.

Eine Handykamera reicht heute offenbar für einen Ausdruck auf einem zehn Meter hohen Plakat. Dies legt jedenfalls die aktuelle iPhone-Werbung von Apple nahe, und ich glaube das sogar. Denn ein so grosses Plakat schaust du von viel weiter entfernt an als ein 10 x 15 cm kleines Bild, die Pixeldichte darf somit wesentlich geringer sein.

Fotografiert von David L. mit dem Samsung Galaxy. Mit einer Profikamera wäre das Foto wohl nicht viel besser geworden, und der Witz wäre dann keiner mehr.

Das GAS (Gear Acquisition Syndrome)

Obwohl in vielen Fällen eine Handykamera ausreicht, gibt es gerade unter den Tech-Nerds nicht wenige, die am «Gear Acquisition Syndrome» (GAS) leiden: Dem zwanghaften Einkauf von immer neuem Equipment, obwohl man schon längst alles hat, was man braucht. «Wenn ich erst mal mit 102'800 ISO fotografieren kann, gelingt mir der totale Durchbruch!», denkt der GAS-Betroffene, oder: «Mit diesem Objektiv werde ich endlich sensationelle Makroaufnahmen machen!» Natürlich wird das nicht passieren. Also muss erneut eine bessere Ausrüstung her ...

Das Problem: Je mehr du dich mit Kameras beschäftigst, desto mehr neigst du dazu, bestimmten technischen Aspekten mehr Bedeutung beizumessen, als sie eigentlich haben. Die grosse Gefahr dabei ist, dass du dich nicht mehr mit Kameras beschäftigst, um zu fotografieren, sondern anstatt zu fotografieren.

Sich mit den richtigen Dingen beschäftigen

Wenn du mit deinen Fotos nicht zufrieden bist, dann ist die Lösung nicht, eine neue Kamera zu kaufen, sondern besser fotografieren zu lernen. Aber was heisst das schon? Wie macht man das? Es gibt natürlich unzählige YouTube-Channel und sonstige Online-Tutorials, um sich selbst weiterzubilden. Aber meiner Meinung nach gibt es den einen entscheidenden Schritt, aus dem sich alle weiteren Schritte von selbst ergeben: Verlagere dein Interesse! Beschäftige dich mit Bildern und ihrer Wirkung statt mit der Ausrüstung. Dazu einige Denkanstösse.

Überlegen, was ein gutes Foto ausmacht

Was unterscheidet ein gutes Foto von einem schlechten? Darauf gibt es viele Antworten. Der Tech-Nerd würde vielleicht sagen: Ein gutes Foto ist an der richtigen Stelle scharf, weder über- noch unterbelichtet, hat eine hohe Auflösung, satte Farben, einen neutralen Weissabgleich und kein sichtbares Bildrauschen. Das sind alles Dinge, bei denen es auf die Ausrüstung respektive deren korrekte Bedienung ankommt. Aber ein wirklich gutes Bild ist viel mehr als das.

Ein gutes Bild fasziniert, ist ein Blickfang, löst Emotionen aus oder erzählt eine Geschichte. Das sind alles Dinge, die mit der technischen oder handwerklichen Qualität nichts zu tun haben. Sondern mit der Wirkung. Auch wenn nicht jedes Bild auf jede und jeden gleich wirkt, gibt es doch Gesetzmässigkeiten. Somit kann man bis zu einem gewissen Grad lernen, wie man Fotos macht, die beeindrucken.

Bildkomposition

Zum Thema Bildgestaltung gibt es sehr, sehr viele Aspekte und Richtlinien. Fast zu viele für den Anfang. Hier nur mal ein paar Stichworte:

Goldener Schnitt und Drittelregel: Stell das Hauptmotiv nicht immer in die Mitte!

Format und Linien: Quadrat, Panorama oder Hochformat? Das Hochformat ist dynamischer, aber unruhiger, zudem problematisch auf einem 16:9-Bildschirm oder innerhalb eines Videos. Ähnlich wirken die entsprechenden Linien: Vertikalen signalisieren Nähe oder auch ein Hindernis, Horizontalen geben ein Gefühl der räumlichen Dimension und sind eher ruhig.

Perspektive: Wie sieht die Szene senkrecht von oben oder von unten aus? Will ich jemanden klein erscheinen lassen oder gross?

Wahrnehmungsprioritäten: belebt vor unbelebt, links vor rechts, hell vor dunkel, scharf vor unscharf ...

Symmetrie: Wirkt ästhetisch, ruhig, «schön», aber oft auch etwas langweilig, nicht dynamisch

Muster: Schaffen Klarheit in einem Bild, selbst wenn es kein Hauptmotiv gibt.

Farben: Warme Farben, kalte Farben, Kontraste

Das sind nur ein paar Hinweise, womit du dich in nächster Zeit beschäftigen könntest. Am Anfang reicht es völlig, sich auf ein Thema zu konzentrieren und wenigstens dieses zu beachten. Das Wichtigste ist, dass du überhaupt etwas gestalten willst. Viele Fotos werden ja einfach nur geknipst, um etwas «abzulichten», nach dem Motto: Motiv ist auf dem Bild, Mission erfüllt.

Ideen zur Bildkomposition sind in der Regel einfach umzusetzen. Oft muss man nur in die Knie gehen oder noch ein paar Schritte näher heran. Es wird nur deshalb nicht gemacht, weil man nicht daran denkt. Um das zu verdeutlichen, drei Beispiele von einem kurzen Spaziergang in der Nähe unserer Büros:

Schlecht: Das ist ein richtig schlechtes Bild. (Ich darf das sagen, weil ich es gemacht habe.) Der Vordergrund und die Verdrahtungen stören, der Bildausschnitt wirkt zufällig. Solche Bilder entstehen, wenn man etwas Auffälliges sieht, hier das Hochhaus mit der schrägen Wand, und dann findet, das müsse man festhalten - ohne weitere Überlegungen.

Besser: Das gleiche Gebäude ein paar Schritte weiter. Klare Linien, Symmetrie, klare Perspektive. Der Vordergrund zeigt passende geometrische Linien.

Schlecht: Flusslandschaften sind eigentlich immer schön. Nur hat dieses Bild kein Hauptmotiv und keinen Ruhepunkt. Es gibt nichts, woran sich das Auge festmachen könnte.

Besser: Mit der Sicht durchs Guckloch und durch den besseren Winkel zum Fluss wird das Auge besser geführt.

Mittelmässig: Bei diesem Bild ist immerhin eine Gestaltungsidee zu erkennen. Man hätte die Idee aber noch konsequenter umsetzen können.

Klarer: Zwei Schritte nach vorne und nochmal abgedrückt: Keine verzerrten Formen, kein Schatten am Boden, keine Personen auf der Brücke. Alles, was nichts mit der eigentlichen Idee (Perspektivenwirkung) zu tun hat, wird weggelassen.

Fotos sollen ja auch überraschen. Bildgestaltungsregeln dürfen zu diesem Zweck auch gebrochen werden. Aber ist ein Unterschied, ob du eine Regel einfach nicht kennst oder sie bewusst und aus einem guten Grund brichst.

Lichtverhältnisse

Abendrot wirst du nicht auf Kommando bestellen können. Lichtverhältnisse kann man kaum gestalten, ausser im Studio. Aber du kannst sie bewusster wahrnehmen und optimal nutzen.

Unser Gehirn ist darauf trainiert, Lichtverhältnisse zu ignorieren. Wir müssen schliesslich ein Gesicht auch dann erkennen können, wenn ein Teil davon im Schatten liegt und ein anderer Teil im harten Sonnenlicht. Unser Hirn filtert den Schatten einfach weg, wir merken das nicht einmal. Auch fällt uns im Alltag kaum auf, dass die Häuser in der Abendsonne einen gelblichen Farbton haben. Denn für uns ist wichtiger, dass wir den Heimweg finden. Fürs Fotografieren müssen wir sehen lernen wie eine Kamera – oder wie ein Baby, das nur Formen und Farben erkennt, ohne es Objekten zuzuordnen.
Das ist Übungssache. Zum Anfang gibt es einige simple, aber hilfreiche Regeln: Meide hartes Licht, bevorzuge Dämmerung. Schau immer, woher das Licht kommt, und meide Gegenlicht. Achte auf Schatten und Reflexionen.

Vorbereitung, Arrangement

Zur Vorbereitung gehören ganz simple aber unerlässliche Dinge wie:

  • Ist der Akku voll geladen?
  • Ist genug Platz auf der Speicherkarte?
  • Ist die Kamera für das bevorstehende Shooting richtig eingestellt, so dass ich gleich loslegen kann?
  • Für aufwendige Shootings: Ersatzakku, Ersatzkarte und ev. sogar Zweitkamera

Zur Vorbereitung gehört im weiteren Sinn auch das Arrangement der Szene. Das kann aufwendig werden, doch auch hier kannst du klein anfangen. Vielleicht einfach mal den Tisch aufräumen und abwischen, bevor du ein Objekt fotografierst? Erstaunlicherweise halten das viele für unnötig. Als weiterer Schritt kommen dann wieder die Gesetze der Bildkomposition zur Anwendung.

Emotionen

Emotionen zu visualisieren, ist wohl der schwierigste Teil des Fotografierens. Es hängt ja nicht nur vom Bild, sondern auch vom jeweiligen Betrachter ab, ob etwas emotional berührt oder nicht. Als Fotograf will man von möglichst vielen verstanden werden – gleichzeitig aber will man nicht Kitsch produzieren. Daher gilt es, abgelutschte, plumpe und plakative Symbolik zu vermeiden.

Emotionen kannst du auch «indirekt» darstellen, also ohne Menschen zu zeigen. Gezeigt wird die Folge einer Emotion. Zum Beispiel lassen weggeworfene oder zerstörte Dinge auf Wut, Trauer oder Verzweiflung schliessen.

Wenn Gefühle direkt vom Gesicht oder der Körperhaltung ablesbar sein (und sich auf den Betrachter übertragen) sollen, muss der Fotograf eine entsprechende Stimmung einfangen. Die darf durch seine Anwesenheit nicht zerstört werden, im Gegenteil sollte sie der Fotograf sogar fördern. Eine gängige Meinung ist, dass Fotos nicht gestellt sein dürfen, damit sie natürlich wirken. Doch wer mal die Gelegenheit hatte, einem erfahrenen Profi bei der Arbeit zuzuschauen, weiss: da wird nichts dem Zufall überlassen. Aber das sieht man dem Bild nicht an. Der Fotograf weiss genau, welche Mimik und Körperhaltung er haben will. Bei erfahrenen Models kann er einfach entsprechende Anweisungen geben. Ansonsten beschreibt er der Person vor der Kamera noch mal die Situation, die gezeigt werden soll. Dadurch kann sich diese vor der Kamera in die Szene hineinfühlen und nimmt die passende Mimik und Körperhaltung im Idealfall von selbst ein.

Lernen, wie man eine Idee handwerklich umsetzt

Ich hatte diesen Punkt zuerst am Anfang des Artikels, denn ein gewisses Grundverständnis für die Kamera ist natürlich Voraussetzung für alles Weitere. Zudem, falls du am GAS leidest: solange du die Möglichkeiten deiner Kamera nicht genau kennst, kannst du gar nicht wissen, ob du eine neue brauchst.

Warum ich das trotzdem erst jetzt bringe: Der Ausgangspunkt darf nicht die Kamera sein, sondern deine Vorstellung vom Ergebnis. Du musst zuerst wissen, welches Bild du machen willst. Wenn du das weisst, dann findest du auch heraus, wie du das kameratechnisch hinkriegst. Das ist der einfachste Teil, im Prinzip kann man das im Benutzerhandbuch nachlesen.

Beispiel: Du willst eine Strasse bei Nacht fotografieren. Und zwar so, dass das Licht der Strassenlampen in Form von funkelnden Strahlen sichtbar wird. Dafür musst du wissen, dass das nur klappt, wenn die Blende geschlossen ist. Für Nachtaufnahmen bei geschlossener Blende brauchst du ein Stativ. Nun flüstert dir sogleich dein GAS ins Ohr: «Nein, wenn ich diese neue Kamera kaufe, die bis 102'800 ISO geht, dann brauche ich kein Stativ!» Liebes GAS, halt die Klappe. Eine neue Kamera zu kaufen, nur um kein Stativ aufstellen zu müssen, ist Verhältnisblödsinn. Und was ist, wenn Leute vorbeispazieren, die nicht erkennbar sein sollen? Dann muss ich trotzdem lange belichten und brauche trotzdem ein Stativ.

Viele Kameras, Spiegelreflexkameras etwa, sind hochkomplex. Bei meiner ersten habe ich Jahre gebraucht, bis ich von jeder Taste wusste, wofür sie eigentlich da ist.

Ich kann dir im Rahmen dieses Beitrags nicht deine Kamera erklären, nur ein paar Tipps geben, was du herausfinden solltest:

  • Die Bedeutung der vier Kameramodi P, A, S und M (bei Canon heissen sie P, Av, Tv und M).
  • Wie man den Autofokus an die Situation anpasst, insbesondere die Messfelder.
  • Wie man die Belichtung anpasst, insbesondere den Unterschied zwischen Spotmessung und Matrixmessung.

Diese Dinge sind auf zahlreichen Webseiten und in vielen Videos erklärt, aber sie stehen auch im Benutzerhandbuch deiner Kamera, das aus rätselhaften Gründen nie jemand liest.

Es ist völlig in Ordnung, mit Automatik zu fotografieren. Moderne Automatiken sind zuverlässig und treffen in den meisten Situationen eine gute Entscheidung. Aber du solltest auch die anderen Möglichkeiten kennen, damit du weisst, wann welcher Modus angebracht ist. Der grosse Vorteil der Automatik ist, dass man sich aufs Motiv konzentriert und nicht auf die Kamera.

Von den Profis lernen?

Wenn es auf die Kamera angeblich nicht ankommt, wieso haben Profis dann so teures und umfangreiches Equipment? Karl Taylor, der in diesem Video ordentlich über «Gear-Nerds» wettert, hat eine gute Antwort darauf. Für Profis geht es um Effizienz, sie haben Deadlines, müssen innert kurzer Zeit liefern. Mit einer Profi-Ausrüstung arbeitet man effizienter; es ist also mehr eine Frage der Quantität als der Qualität. Dagegen bringt man auch mit alten Filmkameras super Fotos hin (wenn man weiss, wie), aber man braucht viel länger.

Bei dem ganzen Aufwand eines professionellen Fotoshootings (Models, Stylistinnen, Anreise, Miete einer Location, Einholen von Bewilligungen, etc.) ist die Kamera ein relativ kleiner Teil der Kosten. Und bei einem solchen Aufwand darf es auf gar keinen Fall passieren, dass deine Kamera im entscheidenden Moment hopps geht. Du brauchst ein robustes und zuverlässiges Arbeitsgerät. Oder besser zwei.

Mein Eindruck ist, dass sich die meisten Profifotografen über die Technik gar nicht so viele Gedanken machen; die Technik hat einfach gefälligst zu funktionieren; und zwar sofort.

Videotipp: In der Serie Pro Photographer, Cheap Camera
wird einem Profi einer Billigkamera in die Hand gedrückt, und er oder sie muss damit etwas Sinnvolles anfangen. Man sieht in diesen Videos schön, dass ein grosser Teil ihrer Arbeit nichts direkt mit dem Fotoapparat zu tun hat. Dabei haben manche von ihnen wirklich keine leichte Aufgabe, mit «Kameras» wie diesen hier:

Chase Jarvis hatte die dankbare Aufgabe, mit einer Lego-Kamera zu fotografieren
Lara Jade will lieber gar nicht wissen, was auf sie zukommt.

Ach, übrigens:

Während der Arbeit an diesem Artikel habe ich mir ... äh ... eine neue Kamera gekauft. Ein gutes Foto gemacht habe ich damit zwar noch nicht. Aber es beruhigt mich total, dass ich mit 8 Bildern pro Sekunde und 51'200 ISO fotografieren könnte, wenn ich es denn mal bräuchte. Nun brauche ich nur noch ein Objektiv für solche Sportaufnahmen, und dann, ja dann ...

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 

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