Hintergrund
Schwarz-Weiss-Bilder – Farblos grandios!
von Denny Phan
In Myanmar habe ich zehn Tage lang nichts anderes gemacht als zu meditieren. Wie sich diese Erfahrung in meiner Fotografie bemerkbar macht und was ich dabei gelernt habe, erkläre ich dir in diesem Beitrag.
Myanmar (ehemalig Burma) stand schon lange weit, weit oben auf meiner Destinationswunschliste. Kein Wunder, denn das geschichtsträchtige Land bietet neben einem neugierigen und offenherzigen Volk einige der schönsten Fotografiemotive Südost Asiens.
Bevor ich mich auf den Weg machte, um meine abenteuerhungrige Kamera auf Land und Leute zu richteten, habe ich sie für zehn Tage in meine Tasche gepackt. Für ein komplett neues Projekt. Ein Projekt, das zur grössten Herausforderung meines bisherigen Lebens wurde. Die Herausforderung hiess Vipassana Meditation und hat mir einiges über mich selbst und meine Fotografie offenbart.
Du fragst dich spätestens an dieser Stelle, was die Meditation mit Fotografie zu tun hat? Wohl mehr als es auf den ersten Blick/Atemzug scheint. Während meiner Zeit auf dem unbequemen Meditationskissen erlaubte ich meinen grauen Zellen auch etwas über meine Fotografie nachzudenken. Dabei ist mir aufgefallen, dass einige Grundsätze der Meditation und die damit zusammenhängenden Lektionen durchaus auch in der Fotografie Anwendung finden.
In diesem Artikel möchte ich mit dir diese Gemeinsamkeiten erkunden und bestenfalls deiner Fotografie eine zusätzliche Perspektive geben. Am Ende des Artikels habe ich zudem aufgeführt, wie es sich so anfühlt, zehn Tage lang in einem Meditationszentrum seinen Geist und Gesässmuskel zu trainieren.
Vor allem als berufstätige Person kann es schnell vorkommen, dass man das Gefühl hat, es fehlt einem die Zeit zum Fotografieren. Hierzu fällt mir ein in der Meditation gebräuchliches Sprichwort ein:
Du solltest täglich für 20 Minuten meditieren. Falls du sehr beschäftigt bist und keine Zeit dazu hast, dann meditiere für eine Stunde.
Damit möchte ich ausdrücken, dass du dir fürs Fotografieren Zeit nehmen sollst. Wie die Meditation, so kann auch die Fotografie helfen, deinen Stress abzubauen. Vor meiner Weltreise nutzte ich oftmals meinen Arbeitsweg als Mittel, meine Kamera vor dem Verstauben zu schützen. Am besten du machst es dir zur festen Gewohnheit deine Kamera immer mit dir zu tragen. Keine Zeit ist keine Entschuldigung!
Du kannst jeden erfolgreichen Fotografen nach seinem Geheimrezept fragen und ich bin mir sicher, er oder sie wird dir auf eine Art und Weise Folgendes bestätigen: «Ohne Fleiss, keinen Preis!»
In der Meditation ging es grösstenteils darum, seinen eigenen Geist zu disziplinieren. Zuerst juckt es, dann ein leichtes Ziehen im Knöchel, anschliessend stechender Schmerz am ganzen Körper! Aber man ist Herr über seinen Geist und bewegt sich nicht vom Fleck.
Dein Gehirn ist erschöpft, möchte abgelenkt werden und viel lieber über das perfekte Burgerrezept nachdenken. Aber auch hierzu sagt der disziplinierte Geist «NEIN» und fokussiert sich weiterhin auf die Meditation.
Disziplin ist eines der höchsten Gebote der Meditation. Davon sollte man sich als Fotograf eine Scheibe abschneiden. Auch wenn man nur aus Spass fotografiert, ist es die Disziplin, die dich vom gelegentlichen Schnappschuss zu jenem Punkt bringt, an dem nicht nur die Gunst der Umstände über die Qualität deiner Fotos entscheidet.
Während der zehn Tage Meditation durften die Teilnehmer nicht miteinander kommunizieren. Kein Flüstern, keine Zeichensprache, kein Augenkontakt, nichts, nada, ZERO! Der langbeinige Student hinter mir hat mich zweimal aus Versehen in den Rücken getreten. Erst jedoch am Ende der zehn Tage hörte ich ein: «Hey, my name is Roy. By the way, I’m sorry for kicking you in the back... like twice..»
Im Bezug auf die Fotografie habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sich oftmals anfühlen kann, als wäre das eigene Umfeld ebenfalls einem Schweigegelübde unterlegt. Man bittet seine Freunde und Bekannte um Feedback und bekommt schlimmstenfalls ein Kompliment nach dem anderen aufgetischt. Diese sind natürlich grösstenteils ernst gemeint aber nicht selten fehlt es an konstruktiver Kritik.
Hierzu möchte ich dir Folgendes vorschlagen. Suche dir mindestens zwei Freunde aus. Eine/r hat bestenfalls ein Verständnis für Fotografie und die/der Zweite ist komplett ahnungslos! Deinen zwei Kritikern machst du klar, dass du deine Fähigkeiten massiv verbessern möchtest und du sie gelegentlich um ehrliches Feedback bitten wirst.
Dein Experte/in gibt dir Feedback basierend auf folgenden Kriterien: Was ist gut? Was könnte verbessert werden? Kreativ? Technische Ausführung?
Bei deinem ahnungslosen Kritiker liegt der Fokus rein auf dem ersten Eindruck. Zeige ihm/ihr deine Bilder und bitte sie/ihn darum, die ersten Gedanken laut und ungefiltert auszusprechen. Dadurch erhältst du meiner Meinung nach eine gute Repräsentation davon, wie deine Bilder auf deine Betrachter wirken.
Bereits vor ein paar Jahren habe ich etwas über die positiven Effekte der Meditation gelesen und wollte dies gerne am eigenen Geist erleben. Folglich konsumierte ich einige Videos auf YouTube und Bücher zum Thema. Diese konnten mir zwar das theoretische Wissen und ein gutes Verständnis der Materie vermitteln, jedoch fehlte mir eine interaktive, zwischenmenschliche Komponente, um die vielen Fragezeichen in meinem Kopf in Luft aufzulösen.
Erst durch diese zehntägige Lernerfahrung von einem Meditationslehrer konnte ich meine Lernkurve deutlich steigern.
Bücher und Lernvideos haben mir bis anhin einen Grossteil meines Fotografiewissens vermittelt und dank dem Internet ist es heute einfacher denn je, sich Fähigkeiten selber beizubringen. Trotzdem bin ich aber der Meinung, dass man vor allem zu Beginn deutlich grössere Fortschritte erzielen kann, wenn man von einem Meister lernt.
Während meiner Reise hatte ich die Gelegenheit mich mit so einigen Fotoneulingen zu unterhalten. Diesen habe ich bei Interesse jeweils versucht, das technisches Grundverständnis für ISO, Blende und Verschlusszeit zu vermitteln. Die meisten konnten das Wissen innert wenigen Minuten verarbeiten und anwenden. Wenn ich mich an meine Anfänge zurückerinnere, wird mir klar, dass ich hierzu im Selbststudium einiges mehr Zeit benötigte.
Es lohnt sich also, gelegentlich sein Wissen mit einem Fotografiekurs einen «Boost» zu verpassen und sich mit Gleichgesinnten über die schöne Welt der Fotografie auszutauschen.
Obwohl es äusserst schwierig ist, meine emotionale Achterbahn während dieser zehn Tage in Worte zu fassen, möchte ich euch nicht vorenthalten, wie es sich angefühlt hat. Dies am besten in einer chronologischen Abfolge.
Pünktlich um vier Uhr morgens schlägt der Gong. Zuerst weit entfernt, dann mit deutlich mehr Nachdruck direkt vor meinem Bett. Ich habe etwas Mühe, meinen vom Kamerarucksack geschundenen Rücken aus dem Bett zu hieven. Die Aufregung und Vorfreude auf das Bevorstehende überwiegen jedoch. Das hilft, um in die Gänge zu kommen. Ich setze mich auf meinen zugeteilten Meditationsplatz und versuche meinen unruhigen und aufgewühlten Geist in Meditationsstimmung zu versetzen. Es gilt, sich einzig und alleine auf seinen Atem zu konzentrieren. Mein Gehirn ist aber unter anderem schwer damit beschäftigt, meine Sitznachbarn zu studieren. Auf dem Kissen vor mir sitzt ein älterer burmesischer Herr, der wohl deutlich weniger Mühe hat im Schneidersitz zu sitzen als ich. Da sind mir meine vietnamesischen Wurzeln leider nicht sehr behilflich. Links neben mir ebenfalls ein Burmese. Dieser scheint in meinem Alter zu sein und ist bereits lautstark ins Land der Träume abgetaucht. Rechts, ein Westler mit einer vorbildlichen Körperhaltung... Streber!
Ohjeee... zum Glück nur noch 9 TAGE!!! (hysterisches Lachen...)
F%*K... das Ganze ist einiges schwerer als ich dachte. Wir sind noch immer damit beschäftigt, uns auf den Atem zu konzentrieren. Ich kann es kaum glauben, aber spätestens nach fünf Sekunden sind meine grauen Zellen damit beschäftigt, peinliche Kindheitserinnerungen aufzufrischen. Auch die Geräuschkulisse in der Meditationshalle bietet reichlich Ablenkungspotenzial. Lautstarke Rülpser (aus dem weiblichen Sektor), erdbebenähnliche Nieser und ein Schnarchkonzert, für das man normalerweise Eintritt zahlen müsste. Aber immerhin ist die Meditationshalle mit einer guten Ventilation und Klimaanlage ausgestattet. Dachte ich mir zehn Minuten, bevor es zu einem Stromausfall kommt. Brühende Hitze für die nächsten fünf Stunden.
«Ich bin ein Fotograf, holt mich hier raus!» Leider interessiert das hier keinen. Ausserdem ist der Einzige, der mich davon abhält aus der Meditationshalle zu laufen, ich selbst.
Das lange Sitzen macht sich deutlich bemerkbar und das asiatische Allheilmittel «Tigerbalsam» ist mein ständiger Begleiter. Leider ist es nach dem Auftragen nur schwer von den Händen abzuwaschen und aus eigener Erfahrung kann ich nun sagen, dass man beim auf Toilette gehen deutlich vorsichtiger sein sollte. Naja, immerhin half mir die anschliessende eiskalte Notfalldusche wach zu werden.
Hypothetische Frage: «Würdest du einer lautstarken Vogelfamilie erlauben, ihr Nest direkt an deiner Meditationshalle anzubringen?» Nein? Habe ich mir schon gedacht. Naja, das sehen die Burmesen wohl etwas anders. Ich habe noch nie so starke Emotionen einem Vogel gegenüber verspürt!
Leichte Programmänderung, ab jetzt dürfen wir einen Teil der Meditationszeit in einer 1.5 x 1.5 Meter Zelle verbringen und der Fokus liegt nun nicht mehr rein auf dem Atem, sondern auf der Wahrnehmung von Sinneseindrücken am ganzen Körper.
Dies war mein persönlicher Dramatag. Meine Emotionen machten Sprünge vom einen zum anderen Extremen. Immerhin sind das lange Sitzen und meine Lieblingsvogelfamilie kein Problem mehr.
Es ist soweit der letzte richtige Meditationstag. Meine Gedanken sind deutlich klarer, die Zeiten des Schmerzes sind vorbei und mein Drang schreiend aus der Meditationshalle zu stürmen ist unter Kontrolle.
Nach einer Morgensession und dem Frühstück wird das Schweigegelübde aufgehoben und es folgt ein reger Austausch mit meinen Mitmeditierenden. Dies war besonders interessant. Ich hatte mir schliesslich über die vergangenen Tage bereits ein Bild über meine Mitstudenten gemacht. Rein basierend auf Körpersprache und Kleidung.
Nach meiner kleinen Zusammenfassung kannst du dir wohl vorstellen, dass es zeitweise äussert intensiv war und die Frustration gross. Im Nachhinein bin ich aber sehr froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Selten fühlten sich meine Gedanken so klar und aufgeräumt an wie nach der Meditation. Auch die Freude, nach zehn langen Tagen meine Kamera wieder verwenden zu dürfen, war riesig. Vor allem in Kombination mit den neu erlangten Erkenntnissen.
Ich hoffe, dieser etwas andere Artikel zum Thema Fotografie hat dir gefallen. Hast du selber schon Mal eine Meditationserfahrung gemacht? Oder hast du ein Beispiel, in dem dir deine Fotografie in anderen Lebensbereichen ausgeholfen hat? Schreib es mir in den Kommentaren.
Und nicht vergessen:
Du solltest täglich für mindestens 20 Minuten fotografieren. Falls du sehr beschäftigt bist und keine Zeit dazu hast, dann fotografiere für eine Stunde. 😀
Mehr zu mir gibts unter www.35waves.com/
In der einen Hand meine Kamera und in der anderen ein Flugticket. So sieht mein persönlicher Idealzustand aus.
Mehr zu mir und meiner Fotografie findest du auf <a href="https://www.instagram.com/35waves/" target="_blank">Instagram</a> oder meiner <a href="https://www.35waves.com/" target="_blank">Website</a>