Hintergrund
Das erste Mixtape seit 30 Jahren
von David Lee
An die Kassette habe ich wunderbare Kindheitserinnerungen. Diese möchte ich auffrischen. Für eine Woche boykottiere ich deshalb meine Streaming-Plattformen und schnappe mir einen alten Walkman.
Musik begleitet mich mein Leben lang – täglich und durch jede Gefühlslage. In meiner Kindheit hatte ich eine Zeit lang einen Walkman, um mir meine Lieblingsbands anzuhören. Die Erinnerungen daran sind schwach und die Technik hat sich seither stark verändert.
Inzwischen bin ich beim Musik-Streamen angekommen. Aber ist das wirklich besser? Ich möchte mich noch einmal zurückversetzen und wissen, ob ich die Musikkassette nicht doch grundlos aus meinem Regal verbannt habe.
Eine Woche Kassetten hören. Leichter gesagt als getan. Meinen Walkman, eine Eigenmarke von Sony, habe ich damals meinem Bruder vererbt. Der hat sich damit so lange Mixtapes angehört, die ich für ihn erstellt habe, bis das gute Stück den Geist aufgab. Und Retro ist in: Auf Ricardo finde ich viele überteuerte (dafür immerhin revidierte) Stücke. Die bezahlbaren Modelle sind meist kaputt.
Ich frage deshalb erstmal im Freundeskreis nach. Und siehe da, auf meine Leute ist Verlass: Der Freund einer Freundin hat noch einen alten, originalen Sony Walkman daheim und stellt ihn mir zur Verfügung. Er ist super erhalten und funktioniert.
Als Tech-Journalistin schaue ich mir die Funktionen natürlich genauer an.
Und meine absolute Lieblingsfunktion: Musikhören über den Lautsprecher des Recorders. Für zuhause top – für unterwegs schnappe ich mir kabelgebundene Kopfhörer. Die Sennheiser HD 25 sind normalerweise bei mir im Bandraum zum Abmischen oder E-Schlagzeugspielen in Gebrauch. Der Klang ist top. Meine Walkman-Woche kann starten.
Für den Walkman benötige ich auch Kassetten. Hier habe ich doppelt Glück: Mein Kollege und Retro-Freund David bietet mir an, ein Mixtape für mich zu erstellen. Ich bin gespannt.
Glücklicherweise hat mein Vater seine alte Sammlung noch und leiht mir ein paar gute Bänder aus. Da wir denselben Musikgeschmack haben, schnappe ich mir Kassetten von Dire Straits, Queen, den Beatles und Bonnie Tyler.
Dass ich mein relativ grosses Smartphone nicht in jede Hosentasche stecken kann, bin ich gewohnt. Ein Kassettenrecorder ist nochmal ein ganz anderes Kaliber. Ich muss überlegen, wie ich ihn am besten mit mir herumschleppe. Nun verstehe ich die Vorteile der Jeansjacke. Mein Recorder passt exakt hinein. Und sogar vom digitec-Hoodie mache ich Gebrauch: Der Pulli hat nicht nur eine praktische Fronttasche, sondern darin auch ein Loch, um das Kopfhörerkabel durchzufädeln.
Optimistisch und voller Zuversicht lege ich Davids Mixtape ein. Trotz etwas älterer Technik klingt die Musik gut. Die Kopfhörer sind bequem und der Recorder ist wie ein Kängurubaby in der Pulli-Fronttasche verstaut. So mache ich mich entspannt auf den Weg zum Bahnhof Richtung Büro. Davids Sound ist auf gute Laune ausgelegt. Nach «Jump» von Van Halen dröhnt bereits der nächste Klassiker «I Love Rock’n’Roll» in meine Ohren. Kaum in den Zug eingestiegen, darf ich die Kassette bereits wenden und freue mich über die Haptik meines Tonträgers – es hat etwas Spielerisches mit den verschiedenen Knöpfen am Gerät.
Nach eineinhalb Stunden Arbeitsweg ist die Kassette durchgehört. So was bin ich mir nicht mehr gewohnt. Das ist eine ganz andere Dimension, als meine Tidal-Playlist mit knapp 1000 Songs.
Diese Woche verzichte ich aufs Überspringen von Titeln, auch wenn ich mit etwas Geduld ein Lied weiterspulen könnte. Wiederholen kann ich die Lieder oft genug bei den höchstens 90 Minuten Laufzeit. Schlimmer als bei Radiosendern, die dreimal am Tag denselben Song spielen …
Auch der Tragekomfort der Kopfhörer überzeugt mich nach längerem Tragen nicht mehr. Ich bin On-Ears nicht gewohnt und sie drücken mit der Zeit. Auch im ellenlangen Kabel verfange ich mich dauernd und muss es um den Recorder wickeln.
Zu Fuss einkaufen ist ebenfalls schwieriger. Ich habe wegen den Taschen keine Hand mehr frei. Als die Kassette zu Ende ist, muss ich eine kurze Pause einlegen, um sie zu wenden und wieder Musik zu hören. Und von Songs auf weniger gut erhaltenen Bändern verstehe ich vor lauter Rauschen den Text nicht.
Wie habe ich das früher gemacht? Wahrscheinlich ging es, weil ich damals nichts anderes gewohnt war. Na gut, eine Woche ist absehbar.
Ich vermisse das Musikhören über mein Smartphone und die durchdachten Playlists auf Tidal. Die Vorteile sind klar. Zuhause blicke ich zudem sehnsüchtig auf meine Plattensammlung. Der Klang ist auf den Scheiben viel besser. Ich überlege mir, weshalb ich Platten sonst noch lieber habe als Kassetten.
Bei Schallplatten muss ich auch mühsam Seiten wechseln. Mobil lassen sie sich schwer nutzen und es gibt nicht mal die Möglichkeit für Mixplates!
Bei Platten liebe ich das Knistern beim Aufsetzen der Nadel, wenn ich mich vor die Anlage setze und bewusst den psychedelischen Klängen von Pink Floyd lausche. Die lebendige Art der Tonwiedergabe zieht mich regelrecht in ihren Bann.
Ich habe die Woche fast geschafft. Weil es mich zwischendurch nervt, höre ich tatsächlich weniger Musik als sonst. Dafür bewusster. Ich entscheide mich morgens, welche Kassetten ich mitnehme. Und denke immer wieder an meine Kindheit zurück, wo mein Walkman neben der Musik auch den Schellen-Ursli, Globi und andere Geschichten für mich zum Einschlafen gespielt hat.
Es war damals ein Spielzeug und die Kindheitserinnerung hat mir wohl eine rosa Brille aufgesetzt. Die Haptik, das Physische der Musik ist es, was mir diese Woche besonders Spass gemacht hat. Und persönliche Mixtapes zu erhalten, ist echt cool. Aber das Gepäck und die Einschränkungen nerven. Mir wird der Luxus meiner Onlinedatenbank von Musik einmal mehr bewusst.
Zufrieden höre ich mir am Sonntagabend die letzte Kassette an und lausche dem Song «Fox On The Run», der mich an den Film «Guardians Of The Galaxy» erinnert. Morgen stelle ich mir meinen eigenen Awesome-Mix zusammen. Aber auf Tidal.
Titelbild: Dominik KirnbauerSeit ich einen Stift halten kann, kritzel ich die Welt bunt. Dank iPad kommt auch die digitale Kunst nicht zu kurz. Daher teste ich am liebsten Tablets – für die Grafik und normale. Will ich meine Kreativität mit leichtem Gepäck ausleben, schnappe ich mir die neuesten Smartphones und knippse drauf los.