30 Jahre Fahrrad – oder wie aus dem Velo ein Bike wurde
Vor gut 30 Jahren sass ich zum ersten Mal auf einem Mountainbike. Was damals «State of the Art» war, wäre heute eine Lachnummer. Einige persönliche Gedanken zur Entwicklung vom Velo zum Bike.
Sommer 1992: «Would you like to go for a ride?» Meine damalige Freundin war gerade von London nach Basel gezogen und hatte neben ihrer Vorliebe für Fish and Chips und Marmite auch ihr Mountainbike mit in die Schweiz gebracht. Wollen wir eine Runde drehen? Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Modell der Marke «Muddyfox», das da nun im Velokeller stand. Vielleicht schon mit einem Aluminiumrahmen, vielleicht war er noch aus Stahl. Das weiss ich nicht mehr. Was mir aber bis heute lebhaft in Erinnerung geblieben ist, ist die Faszination, die das Teil auf mich ausübte. Ein Mountainbike, kurz MTB, kannte ich bis zu jenem sonnigen Sonntagvormittag nur vom Hörensagen.
Nun stand das klobige Velo also da und ich mit grossen Augen davor. Aus heutiger Sicht muss ich fast darüber lachen. Mein günstiges Einsteiger-Gravelbike «Revolt» von Giant, Baujahr 2020, ist technisch gesehen um Welten weiterentwickelt. Ausser einem Satz Reifen, die ein bisschen breiter waren als die damals üblichen Rennvelo-Pneus, zeichnete sich das MTB meiner Freundin hauptsächlich durch die beiden Hörnchen am Lenker aus. Keine Hörnchen, kein Mountainbike.
Radelst du noch oder bikest du schon?
Wo wir damals fuhren? Auf unbefestigten Wegen durch den Wald. Die teils bösen, teils verwunderten bis interessierten Blicke der Spaziergängerinnen und Spaziergänger waren uns schon vor über 30 Jahren gewiss. Mit meinem Gravelbike bin ich heute auf anspruchsvollerem Terrain, pardon Trails, unterwegs. Meine Faszination für das Bike meiner Freundin rührte unter anderem auch daher, dass mein Vater ausschliesslich aufs Rennvelo schwor. Im Keller stand sein heissgeliebtes türkisfarbenes Peugeot mit Stahlrahmen. Dem MTB-Trend stand er mehr als skeptisch gegenüber. Er rümpfte geradezu die Nase über diese «Möchtegern-Velöler», wie er sie nannte. Ein richtiger Gümmeler fährt auf der Strasse, meinte mein Vater dazu. Punkt.
Und heute? Aus der Freundin wurde die Ehefrau, dann die Ex-Ehefrau und aus der Faszination fürs Mountainbike eine Art Gleichgültigkeit. Bis ich vor einigen Jahren nicht ganz freiwillig vom Joggen aufs Biken umsteigen musste. In den drei Jahren, in denen ich seither auf zwei Rädern statt zwei Beinen die Welt um mich herum erkunde, habe ich einige neue Erkenntnisse gewonnen. Zum Beispiel diese: Vor 30 Jahren bin ich geradelt, heute bike ich.
Ausserdem entdecke ich mit jedem Zentimeter, den ich tiefer in den Hasenbau der Bikewelt hinab pedale, etwas Neues. Und gleichzeitig wird mir bewusst, wie wenig ich übers Velo oder Fahrrad oder Bike oder wie immer du es nennst, immer noch weiss. Ein Kumpel von mir hat ebenfalls vor 30 Jahren mit dem Biken begonnen, ist aber im Gegensatz zu mir in den drei Dekaden dran geblieben. Er hat in dieser Zeit vermutlich mehr übers Velo wieder vergessen, als ich in meiner verbleibenden Lebenszeit lernen kann.
Technologische Quantensprünge
Seit Kurzem darf ich für Galaxus auch mit einem E-Mountainbike des Schweizer Herstellers Bixs die Hügel vor meiner Haustüre befahren. Mit dem «Sauvage EX» sind mir so nicht nur die bösen Blicke vieler Wandernden sicher, auch die Biobikerinnen und -biker beäugen mich argwöhnisch. Fast kann ich ihre Gedanken hören, wenn ich sie am Berg überhole: «Du Möchtegern-Velöler. Ein richtiger Mountainbiker fährt nur mit der eigenen Muskelkraft. Punkt.» Neue Technologien scheinen es anfangs schwer zu haben. Worüber die E-Biker von heute wohl in ein paar Jahren die Nase rümpfen werden?
Und so steht heute nicht mehr das «Muddyfox» der Freundin im Velokeller, sondern das «Sauvage EX» von Bixs im Garten. Und ich davor und staune einmal mehr Bauklötze. Es ist Wahnsinn, wie sich die Technologie in den letzten drei Jahrzehnten weiterentwickelt hat. Der Rahmen besteht unterdessen aus Karbon, hinten und vorne bremsen Hydraulikscheiben, der verbaute Motor kommt mit einem Drehmoment von 85 Newtonmetern, das Bike rollt mit 29-Zoll Laufrädern auf über 60 Millimeter breiten Pneus. Ich könnte die Liste fast ins Unendliche erweitern.
Muddyfox, Revolt oder Sauvage: Ein Velo ist ein Fahrrad ist ein Bike. Nur ein Gefährt mit einem Rahmen und zwei Rändern, das mich von A nach B bringt. Immer das Gleiche und doch liegen gefühlte Universen dazwischen. Die Reise in den Hasenbau hat eben erst begonnen. Ich platze beinahe vor Neugier, was mich auf meinem Weg noch alles erwartet.
Titelbild: Patrick BardelliVom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.