58 Schläge für 18 Löcher
Seit 1954 wird hier eingelocht. 18 Mal hintereinander. Zu Besuch auf der ältesten Minigolfanlage der Welt in Ascona.
Und schon daneben. Es muss heissen: zu Besuch auf der ältesten normierten Minigolfanlage der Welt. In Ascona empfängt mich der Betreiber der Anlage, Alfred Graf. Eigentlich startet die Minigolfsaison erst am Palmsonntag. Für uns macht er eine Ausnahme und befreit die 18 Bahnen mit dem Laubbläser fein säuberlich von den Überresten Petras. Das Sturmtief hat in der Nacht im Tessin seine Spuren hinterlassen.
Nebenbei erklärt Alfred Graf, was normiert konkret bedeutet: Die Bahnen der Anlage in Ascona sind alle 12 Meter lang, 1.25 Meter breit und bestehen zu 100 Prozent aus Beton. Bereits in den 1920er-Jahren wurden in Grossbritannien und den USA Anlagen mit befestigten Bahnen als kleinere Variante von Golfplätzen erstellt. Unterdessen gibt es in der Schweiz viele Minigolfanlagen. Manche mit kürzeren Bahnen, manche aus Eternit oder Filz. Aber dies ist das Original. Seit 1954.
Wer hat’s erfunden?
Erfunden hat es der Schweizer Gartenarchitekt Paul Bongni. Nach seinen Plänen wurde die Anlage am 19. März 1954 eröffnet. Seither wird hier an nationalen und internationalen Meisterschaften oder einfach nur zum Familienplausch gegolft. Alfred Graf schaut mich mit seinen beeindruckend blauen Augen an und fragt: «Wollen wir?» Wir wollen. Wie denn der Platzrekord ist, will ich von ihm wissen. «23 Schläge», antwortet er und erklärt, dass dies jedoch die Ausnahme sei, da nur eine Runde gespielt worden sei. «Auf sechs Runden liegt der Rekord im Schnitt bei etwas über 29 Schlägen pro Runde. Also etwa 1.6 Schläge pro Bahn.»
«Die Schläger», so Graf, «sind mehr oder weniger bei allen Profi-Spielern identisch. Ausser in der Länge gibt es keine grossen Unterschiede.» Und die Bälle? Die seien nicht einfach nur schön bunt, sondern würden sich vor allem in der Sprunghöhe unterscheiden. Je nach Temperatur, offensiver oder defensiver Spielweise kämen härtere oder weichere Modelle zum Einsatz. Das gäbe zwar mehr taktische Möglichkeiten, mache das Spiel aber auch komplexer. Ein Spieler müsse wissen, welcher Ball sich unter welchen Bedingungen wie verhalte.
Theorie und Praxis
Alfred Graf zeigt mir die Grundtechnik des Minigolfs. Schultern nach vorne, den Schwung sauber auf einer Linie durchziehen. Und ganz wichtig: Dem Ball nicht zu früh nachschauen. Wenn die Technik stimmt, findet der seinen Weg ins Ziel alleine.
Kaum haben wir einige Bahnen gespielt, steht eine vierköpfige Familie im Eingang. Ob offen sei, will die Mutter wissen. «Warum seid ihr denn nicht beim Skifahren», kommt Alfreds Gegenfrage. Das Wetter sei schuld. Man ist schlagfertig auf dem Minigolfplatz. Und grosszügig. Denn obwohl eigentlich geschlossen wäre, lässt Alfred Graf die Familie auf die Anlage. Kostenlos. Ab jetzt schwingen vier strahlende Gesichter ihre Schläger einige Bahnen hinter uns.
Apropos einlochen. Das gelingt mir zu Beginn recht gut. Die ersten vier Bahnen schaffe ich in neun Schlägen. Alfred Graf braucht dafür zwölf. Er sei ein wenig eingerostet und ausser Übung. Sagt’s und macht den Rückstand auf den nächsten vier Bahnen wett. Nach dem achten Loch sind wir gleich auf. Schultern nach vorne, sauber durchziehen und nicht dem Ball nachschauen. Scheint zu funktionieren.
Vom Metzger zum Minigolfer
Alfred Graf, der gelernte Metzger, stammt aus Zürich. Und wie kommt er nun zu einer Minigolfanlage im Tessin? Er schmunzelt. «Ich verbrachte in jungen Jahren einige Zeit beruflich in Davos. Dort lernte ich meine heutige Frau Adriana, eine Tessinerin, kennen. Ihr Vater hatte die Anlage hier in Ascona kurz nach der Eröffnung von Paul Bongni übernommen und bis 1979 betrieben. Damals führten wir in Weesen am Walensee eine Metzgerei. Meine Frau hatte jedoch Heimweh nach dem Tessin und so sagten wir uns, lass es uns mit Minigolf in Ascona versuchen.» Rund 15 000 Besucher haben seither Jahr für Jahr unter kanadischen Eichen, unter Palmen und Platanen die kleinen farbigen Bälle über den Beton geschoben. Manche mit herausragendem Erfolg. Grafs Tochter Miranda wurde 1991 gar erste offizielle Weltmeisterin in diesem Sport.
Der Vater der Weltmeisterin hat mich unterdessen auf der Scorecard gnadenlos abgehängt. In der Regel braucht er nicht mehr als zwei Schläge. Dafür gelingt mir ein Zwass. Ein was? So nennt man in Minigolferkreisen ein Ass mit dem zweiten Versuch. Also quasi ein Hole-in-One im zweiten Anlauf. Das gibt ein wenig Mumm für den Schluss.
Dritte Generation übernimmt
Vor dem 18. und letzten Loch frage ich Alfred Graf nach der Zukunft. Immerhin geht er langsam auf die 80 zu. «Die Nachfolge ist schon geregelt und in naher Zukunft plant eines meiner Kinder nach Ascona zu kommen, um mich hier abzulösen.» Nach 65 Jahren geht die Minigolftradition in Ascona also weiter.
Auf der letzten Bahn sind schon grosse Champions gescheitert und haben den sicher geglaubten Sieg aus der Hand gegeben. Daher sind wir ein bisschen angespannt und plaudern noch ein wenig. Zum Beispiel über ehemalige Skigrössen wie Peter Lüscher oder Franz Heinzer, die hier schon gespielt haben. Oder die Bahn Nummer sieben, mit dem Abschlag wie beim «grossen» Golf. Hier muss der Ball durch die Luft auf das «Green» gespielt werden. Da sind schon Eckzähne von Golfbällen aus Mündern geschossen worden. Und zu guter letzt erzählt Alfred Graf ein wenig stolz auch noch von der jungen Dame, die mit ihm, von seinen blauen Augen hingerissen, wild geflirtet hatte.
Vielleicht liegt es an den vielen Erinnerungen, aber auf der Bahn 18 scheint Alfred abgelenkt zu sein. Auf jeden Fall braucht er das Maximum, sieben Schläge, um den Ball endlich zu versenken. «Mit einem Ass holst du mich jetzt vielleicht noch ein», kommentiert er seine Leistung. Na dann. Mit einem Ass am letzten Loch beende ich die Runde auf der Minigolfanlage in Ascona. Zum Sieg reicht’s trotzdem nicht. Alfred gewinnt mit fünf Schlägen. Ich betrachte das als ehrenvolle Niederlage.
«Wie sieht es mit dem Hunger aus», fragt Alfred Graf unseren Fotografen Thomas und mich. Ein Blick auf die Uhr, Mittagszeit. Ja, was zu Essen wäre nicht schlecht. Also stellt sich der gelernte Metzger kurzerhand an den Grill und brutzelt uns drei herrliche Kalbsbratwürste. Die vierköpfige Familie hat die Runde unterdessen auch beendet und verabschiedet sich. Um mich herum sehe ich lauter glückliche Gesichter.
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.