Abschied bei 900 Grad
Was tun, wenn das geliebte Haustier stirbt? Eine Möglichkeit ist die Einäscherung im Tierkrematorium in Seon. Ein Besuch.
Aargauer Industriezone. Zwischen Mammut Outlet und Reifenmontage ragt ein silberner Kamin von einem Flachdachbau in den Himmel. Rauch tritt keiner aus. Und das obwohl die Öfen im Inneren schon längst auf Hochtouren laufen. Bei knapp 900 Grad werden hier Haustiere aus der ganzen Schweiz kremiert.
Lieber kremieren als öffentlich entsorgen
«Ich werfe mein Tier doch nicht in den Müll!» – laut Esther Sager, Leiterin der Kundenbetreuung im Tierkrematorium Seon, ist das der häufigste Grund, weshalb Menschen den Weg zu ihr finden. Denn wenn ein Haustier stirbt, landet es normalerweise in der öffentlichen Entsorgung. Dort werden die Körper in Proteine und Fette aufgespalten. Erstere können dann als Brennstoff in der Zementherstellung, letztere zu Biodiesel verarbeitet werden.
Wer das nicht will, hat drei andere Möglichkeiten: Bestattung auf dem eigenen Grundstück (bis zehn Kilo Haustiergewicht), Beisetzung auf einem Tierfriedhof oder eben die Kremation. «Bis zu 16 Tierhaltende kommen mit Ihrem Tier täglich selbst zu uns. Die meisten aber holen wir beim Tierarzt ab», sagt Sager. Diese sind in speziellen weissen Kremationssäcken verpackt, damit beim Transport keine Kontaminierung durch Kot oder Blut stattfindet.
«Hunde und Katzen werden am häufigsten kremiert, doch der Anteil an Zootieren wie Schildkröten, Hamstern und Bartagamen nimmt zu», sagt Sager. Auch Ziegen und Schafe wurden schon kremiert, dafür braucht es aber extra Bewilligungen vom Kanton. Klauentiere dürfen aus seuchenpolizeilichen Gründen nicht ohne Bewilligung transportiert werden. So wird verhindert, dass sich allenfalls ansteckende Krankheiten ausbreiten. Sager selbst lässt sich von diesem Extraaufwand nicht abschrecken. «Ich habe drei Schweine im Garten und weiss, dass ich sie einmal hier kremieren lassen will.»
Alles ist durchdacht
Denn bei der Kremation geht es um mehr als das Einäschern der Tiere in einem der drei Öfen. In einem der zwei kleinen Wartezimmern werden mit den Haustierhalterinnen und -haltern alle Details zur Kremation besprochen, eine Urne ausgewählt und Emotionen verarbeitet. Die geringe Grösse der Zimmer ist dabei nicht auf fehlenden Platz zurückzuführen. «In der Trauer fühlen sich viele sowieso schon verloren, dieses Gefühl soll nicht noch durch einen grossen Raum verstärkt werden», erklärt Sager. Diese Feng-Shui-Überlegungen ziehen sich durch die gesamte Gestaltung des Gebäudes und beginnen schon mit dem ersten Blick auf die Fassade. Blau gestrichenes Holz soll den Kundinnen und Kunden Sicherheit vermitteln. «Immer wieder hören wir, dass es bei uns würde- und liebevoller abläuft als beim Todesfall eines Menschen.»
Bei den Urnen kann zwischen Katzenfiguren und simplen Metallgefässen fast alles gewählt werden. Immer beliebter werden auch sogenannte Schmuckurnen, also Armbänder, in die ein kleiner Teil der Asche abgefüllt wird. «So ist das geliebte Haustier immer dabei», sagt Sager. Dieser Gedanke liegt auch dem Ton-Pfotenabdruck zugrunde, der gleich als Erstes vom Tier gemacht wird. Da die Einäscherung kaum jemals am selben Tag stattfindet, müssten die Halterinnen und Halter das Krematorium sonst mit leeren Händen verlassen.
Am Ende bleiben Knochen und Prothesen
Das Haustier liegt derweil im Kühlraum. Teilweise in seinem Lieblingskörbchen oder mit Rosen bedeckt. Eine emotionale Note im ansonsten eher technischen Kremationsbereich. Durch die starke Belüftung, ist es zusätzlich relativ laut. Nur ein Prozent der Kundinnen kriegt dies aber überhaupt mit, weil sie der Einäscherung beiwohnen. Der Rest wartet lieber zuhause. Zwischen einer und vier Stunden dauert es im knapp 900 Grad heissen Ofen, bis nur noch die Mineralstoffe, also Knochen, übrig sind. Sie ähneln Fundstücken von archäologischen Ausgrabungen und würden in keine Urne passen. Dafür werden sie zusätzlich gemahlen.
Je nach Krankheitsgeschichte des Tieres finden sich zwischen den weissen Knochenteilen auch dunkle Stücke. Prothesen. Sie müssen vor dem Mahlen raus. Und werden zehn Jahre lang aufgehoben. «Die meisten Leute wollen die künstlichen Hüftgelenke zwar nicht, aber man kann nie wissen, ob plötzlich doch noch der Wunsch aufkommt», sagt Sager. Vor allem aber sei es spannend zu sehen, wie sich die Tiermedizin weiterentwickle. Vor 22 Jahren, als die gelernte Krankenschwester hier im Krematorium begann, wurden noch kaum Prothesen eingesetzt. Heute dagegen bei etwa einem Prozent der Tiere.
Bei allen aber ist ein runder Metallchip ständiger Begleiter auf dieser letzten Reise. «Er wird gleich bei Ankunft des Tieres angebracht und versichert den Halterinnen und Haltern, dass sie am Ende wirklich die Asche ihres eigenen Tieres zu Hause haben.» Zumindest bei einer Einzelkremation. 200 Franken kostet diese momentan inklusive Urne für eine Katze. Der Ukrainekrieg wirkt sich auch hier aus. «Die Öfen laufen mit Gas, unsere Kosten sind massiv gestiegen. Das können wir gerade nicht alleine schultern und mussten darum die Preise erhöhen. Hoffentlich normalisiert sich das bald wieder», so Sager.
«Jede geweinte Träne ist eine Liebeserklärung»
Wählen die Kunden hingegen eine Sammelkremation, werden mehrere Tiere gleichzeitig und anonym kremiert. Ihre Asche kommt dann in ein Gemeinschaftsgrab hinter dem Gebäude, das jederzeit ohne Voranmeldung besucht werden kann. Die unzähligen Fotos, kleinen Grabsteine und Laternen auf der Steinmauer hinter den unterirdischen Aschetanks lassen vermuten, dass dieses Angebot rege genutzt wird. Ein Wandtattoo mit den Worten «Jede geweinte Träne ist eine Liebeserklärung» soll zusätzlich Trost spenden.
Die Aussage sei ursprünglich im Rahmen einer telefonischen Seelsorgesitzung gefallen, erzählt Sager. «Die Dame am anderen Ende der Leitung hat sich mehrmals für ihr Weinen entschuldigt. Ich habe mit dem Satz darauf reagiert.» Solche emotionalen Momente gibt es viele für die Mitarbeitenden des Tierkrematoriums. «Einmal war ein älteres Ehepaar hier. Die Gespräche haben bei ihnen Gedanken zur eigenen Sterblichkeit und zum Tod ausgelöst.» Der Mann habe seine Frau dann gefragt: «Müsli, was willsch du mal ha?» Das seien intime Momente, die auch nach Jahren noch berührten.
Die Worte des Wandtattoos finden sich auch auf Broschüren und Taschentuchpackungen. Letztere werden jedem Paket in der kleinen Spedition beigelegt. «Wir verschicken die Urnen auch. Unsere Verpackungen sollen den sensiblen Inhalt widerspiegeln.» Dafür werden Schachteln gefaltet, Seidenpapier drapiert, Kärtchen eingespannt und eben bedruckte Taschentücher beigelegt. Viel mehr als der Slogan des Tierkrematoriums verdeutlicht diese feinfühlige Arbeitsweise, dass hier alle Verständnis für die Liebe zum eigenen Tier haben. Dass auf jede einzelne Person eingegangen wird.
Und dass es in den kleinen Räumen mitten in der nüchternen Aargauer Industriezone viel Platz für Emotionen hat.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.