Microsoft Age of Mythology: Retold
Xbox Series X, Xbox Series S
Vor 22 Jahren erweiterte «Age of Mythology» das RTS-Konzept um Helden und Monster. Das Remaster bringt Grafik und Gameplay auf den Stand der Zeit, ohne den Charme des Originals zu zerstören. Ich schwelge in Nostalgie.
Meine Kriegselefanten pflügen sich durch das Schlachtfeld zur feindlichen Burg. Die gegnerischen Fusssoldaten werden von meinen mystischen Krokodilen weggebrannt, die aus der zweiten Reihe Feuerstrahlen aus den Augen schiessen. Damit meine Elefanten im feindlichen Pfeilhagel nicht zu Boden gehen, lasse ich sie von Priestern heilen.
Doch plötzlich taucht von hinten eine Hydra auf. Sie droht, meine armen Priester zu massakrieren. Ich schütze diese mit einem Rüstungszauber und hetze von der Flanke aus einen Helden auf das Monster. Er macht kurzen Prozess mit der mythischen Kreatur, meine Armee behält die Oberhand, die Burg fällt. Sieg!
«Age of Mythology: Retold» ist die Neuauflage eines Klassikers. Das Original ist 22 Jahre alt. Es stammt aus der goldenen Ära der Echtzeitstrategie um die Jahrtausendwende – aus der Feder des «Ensemble Studios», das vor allem für «Age of Empires» bekannt war.
Im Unterschied dazu spielt «Age of Mythology» jedoch in einer antiken Sagenwelt. Neben Schwertkämpfern, Rittern und Bogenschützen gibt es dort Helden, Monster und göttliche Zauber. «Age of Empires»-Fans finden sich trotzdem sofort zurecht. Denn die Spielmechaniken sind weitgehend die gleichen: Basis aufbauen, Ressourcen sammeln, Einheiten produzieren, Schlachten dirigieren.
Die «Retold»-Version bringt die Grafik des Originals auf einen aktuellen Stand und schraubt am Balancing. Neu sind ausserdem ein zusätzliches Zeitalter und diverse Quality-of-Life-Verbesserungen. Die Kampagnen sind die gleichen wie vor 22 Jahren, wurden aber neu vertont. Insgesamt handelt es sich damit eher um ein Remaster als ein Remake.
Mir ist das egal – nein, ich finde es sogar gut. «Age of Mythology: Retold» lässt mich als Millennial in Nostalgie schwelgen. Es versetzt mich zurück ins Teenager-Alter. Da ich das Original damals weniger gespielt habe als beispielsweise «Age of Empires II», habe ich genug vergessen, damit die Neuauflage nicht langweilig ist.
Gekämpft wird mit einem von vier Völkern: Griechen, Ägypter, Wikinger und Atlanter. Bei jedem kann ich mich für einen von drei (bei den Wikingern vier) Hauptgötter entscheiden. Sie haben unterschiedliche Vorteile und Nebengötter – diese lassen sich jeweils auswählen, wenn ich ein Zeitalter voranschreite. Ausserdem erhalte ich göttliche Zauber. Sie lassen Meteore vom Himmel regnen oder einen Wirbelsturm Truppen und Gebäude verwüsten.
Nach dem ersten Mal kostet ein solcher Zauber Glauben. Dieser ist neben Nahrung, Holz und Gold die vierte Ressource. Sie wird auch für andere Dinge wie mythische Kreaturen benötigt. Jede Zivilisation sammelt Glauben anders. Auch sonst gibt es diverse Unterschiede. Die atlantischen Dorfbewohner müssen zum Beispiel Ressourcen nicht an einer Sammelstelle abliefern. Ägypter können ihre Dorfzentren dafür zu Festungen ausbauen. Und so weiter.
Da alle Völker zudem völlig andere Einheiten haben, spielen sie sich sehr verschieden. Der Unterschied fühlt sich grösser an als bei «Age of Empires», was die kleinere Auswahl an Zivilisationen ein wenig kompensiert. Nach rund 30 Stunden Spielzeit scheint mir «Age of Mythology: Retold» gut ausbalanciert. Wobei ich nicht beurteilen kann, ob das auch in Multiplayer-Games zwischen guten Spielern der Fall wäre.
Beim Schwierigkeitsgrad wähle ich die zweithöchste von fünf Stufen. So ist die Kampagne eine echte Herausforderung. Ich muss viele Maps mehrmals neu starten, bevor ich sie schaffe. Ein gutes Micromanagement der Einheiten ist auf dieser Stufe zwingend. Wer versucht, Scheren mit Papier zu bekämpfen, geht sang- und klanglos unter. Trotzdem werden die Missionen nicht unmöglich. Genau so mag ich das.
Ist dir so viel Konzentration zu anstrengend, stellst du die Schwierigkeit ein paar Stufen runter. Dann mähst du dich durch die Kampagne wie ein Skarabäus durch ein Bataillon Bogenschützen.
Die Geschichten von «Age of Mythology: Retold» sind lose an klassische Sagen wie den Trojanischen Krieg angelehnt. Sie enthalten Helden wie Ajax und Agamemnon, Monster wie Zyklopen und Mumien, Götter wie Odin und Isis. Es ist eine bunte Mischung aus griechischer, ägyptischer und nordischer Mythologie. Die Zwischensequenzen wirken manchmal etwas hölzern. Doch insgesamt gefallen mir sowohl das Setting als auch das Storytelling.
So stellt sich bald das vertraute Suchtgefühlt ein: «Okay, nur eine Mission noch», gelobe ich einige Male – bevor ich drei Stunden und sechs Maps später viel zu spät ins Bett gehe. 50 Missionen umfassen die drei Kampagnen insgesamt. Die Spielzeit beträgt mit einigen Neustarts zwischen 30 und 40 Stunden.
Damit bin ich mehr als zufrieden, zumal mir dabei fast nie langweilig wird. Der gute Flow liegt vor allem am abwechslungsreichen Missionsdesign. Auf linearen Rollenspiel-Maps steuere ich meine Helden und treibe die Story voran. In anderen Missionen habe ich klassische Ziele wie «Zerstöre das gegnerische Dorfzentrum» oder «Erobere die Überreste von Osiris und eskortiere sie ihn deine Stadt».
Schwachpunkte? Die Wegfindung (Pathfinding) könnte besser sein. Ab und zu verheddern sich Einheiten hinter einer Mauer, obwohl es einen klaren Weg zum gewünschten Ziel gäbe. Das kommt gefühlt öfter vor als in «Age of Empires II» – welches sogar älter ist.
Ebenfalls keinen Preis gewinnt die KI der Computergegner. Nach ein paar Angriffen mit richtigen Truppen schicken sie manchmal einen Strom einzelner Einheiten ins offensichtliche Verderben. Und Truppenansammlungen lassen sich mit Fernkampfeinheiten geteilt anlocken und so leichter besiegen. Wer will, kann solche Mechaniken ausnutzen und sich zum Teil durch die Kampagne «cheesen».
Überraschend ist das nicht für das Remaster eines 22 Jahre alten Spiels. Revolutionäre Ideen und komplett neue Spielmechaniken darfst du hier nicht erwarten. «Age of Mythology: Retold» bleibt dem klassischen RTS-Konzept treu. Frische Inhalte gibt es auch keine.
Der offensichtlichste Unterschied zum ursprünglichen Spiel ist die komplett überarbeitete Grafik. «Age of Mythology: Retold» sieht sehr hübsch aus. Die Figuren wirken lebendig, die Landschaften strotzen vor Details. Göttliche Zauber lassen die Erde beben oder Blitze regnen und fühlen sich mächtig an.
Einige Hardcore-Nostalgiker haben den Stil im Vorfeld als zu Comic-mässig kritisiert. Mich stört das nicht. Das Setting mit Helden und Monstern verträgt etwas Farbe.
Vom Soundtrack bin ich ähnlich begeistert wie von der Grafik. Er ist eine Mischung aus alten und neuen Elementen. Die Musik dudelt meist unaufdringlich und trotzdem passend vor sich hin. Beginne ich eine grössere Schlacht, schwillt sie zu einem epischen Konzert an.
Dezente Soundeffekte weisen mich auf verschiedene Dinge hin – etwa, dass ich angegriffen werde. Der Ton unterscheidet sich dabei je nachdem, ob der Gegner eine Militäreinheit oder eine Dorfbewohnerin attackiert. Wenn ich ein Männchen anklicke und ihm Befehle erteile, erhalte ich ebenfalls Feedback. Dabei klingen die Griechen schön griechisch, die Wikinger manchmal eher schottisch.
Einziger audiovisueller Wermutstropfen ist die Synchronisation der Zwischensequenzen. Ich habe die Kampagne in Englisch gespielt, deshalb gilt die folgende Beurteilung nur dafür: Die Qualität der Dialoge ist okay, sie wirken aber weniger authentisch als im Originalspiel. Dort strotzen sie vor Emotionen, das Remaster klingt irgendwie gekünstelt. Hier hätten die Entwickler besser die alten Aufnahmen recycelt.
«Age of Mythology: Retold» erscheint am 4. September für PC und Xbox Series X/S. Der Early Access für die «Premium Edition» startet am 27. August. Eine Vorabversion des Spiels für PC wurde mir zu Testzwecken von Microsoft zur Verfügung gestellt.
Neuauflagen von alten Games sind ein Balanceakt: Sie müssen sich anfühlen wie früher und gleichzeitig den heutigen Anforderungen gerecht werden. «Age of Mythology: Retold» schafft diese Gratwanderung. In der mythischen Welt der Sagen fühle ich mich, als wäre ich wieder 14 Jahre alt. Und mein 36-jähriges Ich schätzt das aufpolierte Gameplay des Remasters.
Die Kampagne mit der Originalstory holt den Nostalgiker in mir ab. Weil ich sie das letzte Mal vor 22 Jahren gespielt habe, ist sie trotzdem wieder spannend – und dank abwechslungsreichem Leveldesign kurzweilig. Die vier Zivilisationen spielen sich unterschiedlich und der Schwierigkeitsgrad ist auf der zweitobersten Stufe genau richtig. Weil ich viele Schlachten nur knapp gewinne oder verliere, stellt sich das vertraute Suchtgefühl ein.
Dabei sieht «Age of Mythology: Retold» richtig gut aus. Detaillierte Landschaften, schön animierte Einheiten und dramatische Effekte bringen den Klassiker in die Neuzeit. Der Soundtrack nervt nie und setzt an den richtigen Stellen Akzente. Nur die Synchronsprecher können mich nicht so richtig überzeugen.
Neben den hölzernen Dialogen trübt nur das manchmal problematische Pathfinding den Spielspass. Und nach frischen Inhalten suchst du vergebens. Das Balancing der Völker für den Multiplayer-Modus kann ich zudem nicht beurteilen. Doch alleine die Kampagne ist mit ihrer langen Spielzeit von 30 bis 40 Stunden den moderaten Preis wert. Fans von klassischer Echtzeit-Strategie sollten unbedingt zugreifen.
Pro
Contra
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.