Apples Keynote war «shot on iPhone» – was das genau bedeutet
Hintergrund

Apples Keynote war «shot on iPhone» – was das genau bedeutet

Apple hat ein ganzes Event mit dem iPhone 15 Pro aufgenommen. Das ist zwar gutes Marketing – aber hauptsächlich eine Lektion darin, wie unwichtig die Kamera im Vergleich zu anderen Faktoren ist.

Gestern stellte Apple an seinem «Scary fast»-Event neue Macs vor. Ein kleiner Hinweis am Ende dürfte viele überrascht haben: Die ganze Keynote war laut Apple «Shot on iPhone», also mit dem iPhone gefilmt. Genauer gesagt mit einem iPhone 15 Pro Max. Nun zeigen die Kalifornier in einem Behind-the-Scenes-Video, wie das Set aussah.

Das ist zunächst mal hervorragendes Marketing. Doch was sagt es tatsächlich über die Fähigkeiten des iPhones aus? Mir fallen bei genauerer Betrachtung der Keynote sowie des Behind-the-Scenes-Videos vier Dinge auf:

1. Smartphones sind weit gekommen

Bevor alle Apple-Hater und Video-Nerds wütend in die Tasten hauen: Keine Angst, die Relativierungen kommen gleich. Doch zunächst will ich neidlos anerkennen, wie gut die Videoqualität des iPhone 15 Pro tatsächlich ist. Über 90 Prozent des Publikums dürfte während der Keynote nichts davon gemerkt haben, dass sie mit einem Smartphone gedreht wurde. Und das, obwohl Apple uns in den vergangenen Jahren an absolute High-End-Produktionen gewöhnt hat.

Ich weiss nicht, welche Kameras Apple sonst für die Keynotes verwendet. Doch es dürften professionelle Geräte wie Arri Alexa oder Sony Venice sein. Erst mit dem iPhone 15 Pro ist es möglich, den Look von grossen Kameras ansatzweise mit einem Smartphone zu reproduzieren: Im ProRes-Format mit Log-Farbprofil sind die Videos erstmals geeignet für ein ausführliches Color Grading – ohne dass sie völlig zerfallen.

Ein Log-Farbprofil bedeutet, dass eine Kamera das Video mit sehr wenig Kontrast speichert. So gehen weniger Informationen verloren. Beim Color Grading wird den Aufnahmen in Schnittprogrammen am Computer Kontrast, Sättigung und ein Farb-Look hinzugefügt. Dabei geht weniger Qualität verloren, als wenn ein bestehender Look überschrieben oder korrigiert werden muss, den die Kamera bereits ins Video gebacken hat.

Das ist wichtig, denn nur dank aufwändiger Nachbearbeitung in Schnittprogrammen sehen die Aufnahmen so gut aus. Hätte Apple die Videos im üblichen Standard-Format des iPhones gedreht und nicht bearbeitet, wären sie überschärft und übersättigt. Das weniger komprimierte ProRes-Format hebt das iPhone auch von anderen Smartphones ab. Allerdings ergibt das riesige Datenmengen und ist wirklich nur für Profis geeignet. Ohne Color Grading sind die Aufnahmen praktisch unbrauchbar.

2. Apples Keynotes sind wie Hollywoodfilme

Ob mit dem iPhone gefilmt oder nicht – Apples Produktpräsentationen sind so aufwändig und professionell produziert wie Hollywoodfilme. Jeder Schauplatz wird akribisch ausgeleuchtet. Jedes Kleidungsstück sorgfältig ausgewählt. Jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Die Kamera steht praktisch nie still. Stattdessen bewegt sie sich butterweich und subtil, wenn jemand spricht – oder rasant für dramatische Effekte.

Beim Wechsel von einem Produkt zum nächsten setzt Apple nicht einfach einen Schnitt ein, sondern Übergänge, bei dem jedem Video-Editor das Herz aufgeht. Der Farb-Look der Aufnahmen wirkt natürlich und trotzdem charakteristisch. Er ist nicht nur innerhalb einer Keynote konsistent, sondern über mehrere Events hinweg.

Geboren wurden die Filme aus der Not. Während der Corona-Zeit war an die üblichen Events vor Ort nicht zu denken. Und seit dem Ende der Pandemie lädt Apple zwar wieder Medienschaffende nach Cupertino ein. Doch auch sie bekommen weiterhin nur die im Voraus aufgezeichneten Präsentationen zu sehen. Damit eliminiert Apple nebenbei unvorhergesehene Ereignisse wie die berühmte WLAN-Überlastung, über die sich Steve Jobs 2010 nervte.

3. Die Kamera ist nicht so wichtig

Wer glaubt, im eigenen Hinterhof die Qualität der Keynote mit einem iPhone reproduzieren zu können, irrt gewaltig. Apple fährt bei der Produktion abseits der Kamera schweres Geschütz auf. Im Behind-the-Scenes Video ist Equipment zu sehen, das weit über 100’000 Franken kostet. Die Crew am Set besteht aus mehreren Dutzend Personen.

«Shot on iPhone» – mithilfe von ganz viel teurem anderen Equipment.
«Shot on iPhone» – mithilfe von ganz viel teurem anderen Equipment.
Quelle: Screenshot YouTube / Apple

Das kleine iPhone ist eingespannt in ein gigantisches Rig an einem Schwenkarm, der für die butterweichen Kamerafahrten sorgt – oder es hängt an einer Drohne. Die Qualität der Aufnahmen wird auf grossen externen Monitoren kontrolliert. Professionelle Mikrofone nehmen den Ton auf.

Und erst das Licht: Video-Spezialist Jon Carr spricht im Video von einem «herausfordernden Low-Light-Szenario». Damit meint er das düstere Halloween-Thema der Keynote. Doch riesige LED-Panels leuchten Tim Cook aus, wenn er in der Intro-Szene aus dem Rauch tritt. Sie sind perfekt ausbalanciert mit der ohnehin aussergewöhnlich guten Beleuchtung des Apple Campus im Hintergrund.

Das Set sieht aus wie bei einem Hollywood-Film. Eine ganze Crew sorgt für optimale Bedingungen für das iPhone.
Das Set sieht aus wie bei einem Hollywood-Film. Eine ganze Crew sorgt für optimale Bedingungen für das iPhone.
Quelle: Screenshot YouTube / Apple

In so einem Szenario ist die Kamera gar nicht mehr so wichtig. Dank der homogenen Helligkeit fällt der kleine Dynamikumfang des winzigen Smartphone-Sensors kaum auf. Auch etwas weniger Schärfe oder mehr Bildrauschen spielt keine Rolle. Umso mehr, weil die Videos ohnehin stark komprimiert werden für das Streaming über YouTube oder auf Apples eigener Webseite.

4. Auf den zweiten Blick zeigen sich Schwächen

Trotz der beachtlichen Videoqualität des iPhone 15 Pro und all der teuren Hilfsmittel: Bei genauem Hinschauen lassen sich Unterschiede zu den Keynotes erkennen, die mit grossen Kameras gefilmt wurden. Die Verläufe von hellen zu dunklen Tonwerten sind nicht ganz so weich. In dunklen Bereichen sind weniger Strukturen erkennbar, wahrscheinlich weil Filter das Bildrauschen unterdrücken müssen. Auch die Hauttöne sind etwas weniger natürlich – Tim Cooks Nase ist zum Beispiel manchmal ziemlich rot.

Die Hauttöne wirken nicht ganz so harmonisch wie sonst und das Bild ist von vorne bis hinten scharf. In den dunklen Bereichen wie den Büschen rechts oben gibt es keine Strukturen mehr, was in dieser Szene allerdings niemanden stören dürfte.
Die Hauttöne wirken nicht ganz so harmonisch wie sonst und das Bild ist von vorne bis hinten scharf. In den dunklen Bereichen wie den Büschen rechts oben gibt es keine Strukturen mehr, was in dieser Szene allerdings niemanden stören dürfte.
Quelle: Screenshot YouTube / Apple

Die grösste Schwäche des iPhones ist aber die fixe Tiefenschärfe. Bei den Aufnahmen aus der Hauptkamera hebt sich die Person im Fokus überhaupt nicht vom Hintergrund ab – es ist alles scharf, von vorne bis hinten. Auch in Einstellungen mit längeren Brennweiten gibt es so gut wie keine Separierung. Das ginge mit dem iPhone nur digital mittels Cine-Modus. Der ist im ProRes-Format aber nicht verfügbar und funktioniert auch sonst eher mittelmässig. Wohl auch deshalb hat Apple ihn gar nicht eingesetzt.

In anderen Keynotes (hier von der WWDC im Juni) setzte Apple die Tiefenschärfe gezielt ein, um die Person vom Hintergrund zu trennen. Das geht aber nur mit grossen Kameras.
In anderen Keynotes (hier von der WWDC im Juni) setzte Apple die Tiefenschärfe gezielt ein, um die Person vom Hintergrund zu trennen. Das geht aber nur mit grossen Kameras.
Quelle: Screenshot YouTube / Apple

In früheren Keynotes setzte Apple zwar auch mit den grossen Kameras nie auf übertrieben starke Bokeh-Effekte. Doch die Hintergründe waren meist leicht unscharf. Das sieht schöner aus und leitet den Blick des Publikums besser. Als Fan von hoher Produktionsqualität hoffe ich deshalb, dass der iPhone-Gag eine einmalige Aktion bleibt. Umso mehr, weil die Schlagzeile bei der Kundschaft für falsche Erwartungen sorgen kann.

Titelbild: Screenshot YouTube / Apple

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann wahrscheinlich an meinen Fingerspitzen mitten in einer Felswand.


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