

«Assassin’s Creed Origins»: Die Pause hat gewirkt

Nach einer dringend benötigten Pause meldet sich Ubisofts Meuchelmörder-Serie zurück. «Assassin’s Creed Origins» hat an Ballast verloren und an den richtigen Stellen zugelegt. Dafür läuft es nun Gefahr, zu sehr mit Far Cry und Watch Dogs zu verschmelzen.
Seit 2009 erschien ohne Unterbruch jedes Jahr ein neues «Assassin’s Creed». 2014 waren es mit «Rogue» und «Unity» sogar zwei Teile. Spätestens da fing die Fassade deutlich an zu bröckeln, und das bezieht sich nicht nur auf die Gesichts-Fails von «Unity». Immer neue Spielelemente wurden eingebaut, bis die Übersichtskarte aussah, als wäre ein Spieldesigner Amok gelaufen. Die grundsätzliche Spielmechanik veränderte sich hingegen nur marginal. 2016 zog Ubisoft die Notbremse und gab bekannt, mindestens ein Jahr Pause einzulegen. Nun ist die Schonfrist abgelaufen und die Fans warten sehnsüchtig auf den neusten Geschichtstrip. So viel sei schon mal verraten: Die Reise ins alte Ägypten lohnt sich.
Geschichts-Porno

Ich bin eigentlich kein besonders grosser Fan der «Assassin’s Creed»-Serie. Das immer gleiche Gameplay hat mich schon nach dem zweiten Teil genervt. Was mich trotzdem immer wieder angezogen hat, sind die aufwändig inszenierten Epochen. Italien zur Zeit der Renaissance, Amerika während des Bürgerkriegs, Frankreich während der Revolution oder England zur Zeit der Industrialisierung. Ich finde es jedes mal aufs Neue faszinierend, wie Ubisoft diese Welten erschafft. Mit dem alten Ägypten hat sich «Assassin’s Creed Origins» eine der interessantesten und geschichtsträchtigsten Epochen ausgesucht.
Ich würde gerne schreiben, dass mich die Präsentation von der ersten Minute an umgehauen hat. Leider habe ich mich mehr über rucklige Animationen gewundert, die bereits bei einer der ersten Szenen einen unschönen ersten Eindruck hinterlassen (PS4 Pro). Das nächste, worüber ich die Stirn in Falten zog, waren die Gesichtsanimationen. Sie sind hölzern und ziemlich ausdruckslos. Womöglich war hier Ubisoft nach dem Debakel in «Unity» etwas übervorsichtig. Sobald Bayek, die Hauptfigur des Spiels, aber die erste bewohnte Siedlung erreicht, kommt wieder der gewohnte «Assassin’s Creed»-woooaaaa-Moment. Zwar sieht das Spiel, wenn du dir die Details ganz genau anschaust, nicht so beeindruckend aus, aber die Gesamtpräsentation hat mich umgehauen. Hektische Städte mit imposanten Bauten, palmenbesetzte Dörfer, goldig glänzende Flüsse, malerische Dünen, über die sanft der Wind weht und am Horizont die mächtigen Pyramiden, die dich magisch anziehen. Ein Blick auf die Karte verrät dir zudem, dass es enorm viel zu sehen gibt. Auf Knopfdruck kannst du übrigens die Zeit vorspulen, falls eine Quest erst bei Dämmerung fortgesetzt wird. Dabei kannst du das Spektakel des Tag-Nacht-Wechsels mitverfolgen, was sonst meist nur den Programmierern vorbehalten ist.

Falls du übrigens HDR vermisst, musst du dich bis am 6. November gedulden. Erst dann wird die Funktion per Update nachgereicht.
Etwas neues und etwas altes
«Assassin’s Creed Origins» hat länger geköchelt als andere Teile, aber im Kern ist es das gleiche Spiel geblieben. Noch immer streiten sich die Templer mit den Assassinen. Noch immer besteht der Grossteil der Freizeitbeschäftigung damit, Leute oder Gegenstände zu finden und erstere dabei abzumurksen. Die Quests sind aber etwas abwechslungsreicher geworden. Besonders das «Tomb Raider»-mässige Gräber erkunden macht Laune. Vielleicht ist dir mehr nach Wagenrennen. Dann besuch die Happy-Hippo-Arena (eigentlich Hippodrom) und nimm wie Ben Hur an waghalsigen Rennen Teil. Die Welt lädt zum Entdecken ein und belohnt deine Neugier meist mit neuen Gegenständen oder Quests.

Frühlingsputz hat Ubisoft auch bei den Nebenbeschäftigungen betrieben. Die Spirale von immer mehr hat dazu geführt, dass die Übersichtskarte vollgepflastert mit Symbolen war. Sammle dies, sammle das, klettere hier hoch, such das. Jeder mit geringsten Anzeichen von Zwangsneurose wurde davon in den Wahnsinn getrieben. Immer noch gibt es fernab von Hauptquests viel zu tun, allerdings in gemässigteren Bahnen. Die Aufgaben wirken weniger aufgesetzt, sodass ich eher geneigt war, mich von ihnen ablenken zu lassen.
Leider konnte sich Ubisoft immer noch nicht durchringen, den ganzen modernen Quatsch zu streichen. So wirst du regelmässig aus dem Spielfluss gerissen und wachst in der heutigen Zeit auf. Dort musst du dir dann irgendwelches Gelaber anhören, während du nur darauf wartest, wieder in den Animus steigen zu können und zurück ins eigentliche Spiel zu tauchen. Glücklicherweise fallen diese Abschnitte erfreulich kurz aus.

Kampf- und Rollenspielsystem
Am meisten hat sich beim Kampf- und Rollenspielsystem getan. Kämpfe sind nun einiges dynamischer und erfordern gutes Timing. Gegner greifen mit verschiedenen Attacken an, die du teilweise mit deinem Schild blocken kannst oder denen du mit einer gut getimeten Hechtrolle ausweichen kannst. Das neue Hit-Box-System sorgt dafür, dass du auch danebenhauen kannst. Darum benutze ich gerne grosse, dafür langsamere Waffen wie Äxte. Damit kannst du gleich mehrere Gegner gleichzeitig treffen. Allerdings finde ich die Steuerung zu wenig präzise. Ich hatte oft das Gefühl, den Kampf nicht zu 100 Prozent unter Kontrolle zu haben. Eine Verbesserung gegenüber dem früheren System ist es aber allemal.
Neben einem gut geschmückten Talentbaum wird der Rollenspieltrieb genährt mit einem Crafting-System. Du kannst Waffen verbessern und sie zu Rohmaterial verarbeiten. Zusammen mit Fellen erlegter Tiere baust du Upgrades für deine Ausrüstung. Mit dem nötigen Skill kannst du Tiere sogar zähmen und für dich kämpfen lassen. Kommt dir bekannt vor? Es ist nicht die einzige Situation, die dich an «Far Cry» erinnert. Hab ich schon von Senu erzählt? Senu ist ein Jagdvogel, der für dich gegnerische Lager auskundschaftet oder Beute findet – genau wie in «Far Cry Primal», «Watch Dogs» oder «Ghost Recon Wildlands». Ubisoft Spieleportfolio wächst zusammen.

Für die Fastfood-Gesellschaft
Die meiste Zeit des Zwischenjahres scheint Ubisoft in den Komfort gesteckt zu haben. Im Gegensatz zur Steuerung, die mich anfangs fast zum Verzweifeln brachte, weil ich mir gefühlt 50 Funktionen merken musste und gewisse Tasten doppelt belegt sind. Abgesehen von diesem frühen Stolperstein sorgt Ubisoft für zahlreiche kleine, aber praktische Verbesserungen. Quests können nach Annahme mit einem langen Tastendruck verfolgt werden. Mit deinem Jagdvogel kannst du aus der Luft Schnellreisepunkte auswählen. Im Ausrüstungsmenü siehst du sofort, was du aktuell craften kannst, was du dafür brauchst und mit einem Klick kannst du notwendige Ressourcen tracken. Die Taste gedrückt halten, um schneller zu rennen, ist Geschichte. Neu bestimmst du das Tempo direkt über den linken Analog-Stick.

Am allerbesten finde ich allerdings, dass dein Reittier, welches übrigens vom Kamel bis zum Einhorn (!) reicht, einen Autopiloten besitzt. Wähle einfach auf der Karte einen beliebigen Punkt an und reite los. Mit der Taste X (PS4) folgst du automatisch der Strasse und mit einem zusätzlichen Klick auf die Dreieckstaste navigiert dein Fleischtöff selbständig das gewählte Ziel an. Zwar nimmt er meist nicht den direktesten Weg, dafür kannst du dir in der Zeit bequem einen Kaffee rauslassen.
Um die übersättigte Gamerschaft von heute bei Stange zu halten, wird zudem jede Aktion von dir mit einem akustischen und optischen Feedback quittiert. Egal, ob du ein paar Goldmünzen aufliest, eine neue Waffe findest oder eine Quest beendest. Sofort glitzert es goldig und ein befriedigender Sound erklingt. Besonders der Levelaufstieg hat sich seit «World of Warcraft» nicht mehr so gut angefühlt. Die bei Ubisoft wissen eben, wie wir ticken.
Fazit: Willkommen zurück

Die Pause hat gut getan. Ubisoft, weil sie sich mehr Zeit nehmen konnten, an ihrem neuen Teil zu arbeiten und den Spielern, weil wir uns so wieder richtig auf eine Fortsetzung freuen konnten. Was ausschlaggebender war, dass ich mit «Assassin’s Creed Origins» eine wirklich gute Zeit hatte, kann ich nicht zu 100 Prozent sagen. Zum einen schafft es Ubisoft erneut, eine geschichtsträchtige Epoche auf epische Weise nachzubilden und sie mit Leben zu füllen. Die Entschlackung hat ebenfalls gut getan und das neue Kampf- sowie Rollenspielsystem sorgt für mehr Abwechslung. Viele Abläufe wurden vereinfacht und zugänglicher gemacht. Das Bewegungssystem ist dafür immer noch nicht perfekt. So springt Bayek gerne mal ins Nirgendwo oder hält sich garantiert genau dann an einer Hauskante fest, wenn dir grad eine Kohorte Legionäre auf den Fersen ist. Zum Haareraufen. Besorgniserregend finde ich auch die Entwicklung, dass Ubisofts-Openworld-Formel gnadenlos ausgeschlachtet wird, sodass sich «Assassin’s Creed», «Far Cry», «Watch Dogs» etc. immer ähnlicher werden. Abgesehen davon ist der Sightseeing-Trip in die Welt des alten Ägyptens mit seinen majestätischen Pyramiden, Cleopatra und Caesar eine Reise, auf die sich nicht nur Fans freuen dürfen.


Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.