Ausprobiert: Schaffe ich es, eine Woche nichts aufzuschieben?
Hintergrund

Ausprobiert: Schaffe ich es, eine Woche nichts aufzuschieben?

Anna Sandner
19.9.2023

Ich bin im Grunde ein gewissenhafter Mensch. Trotzdem schiebe ich Dinge oft vor mir her. Das soll sich nun ändern. Ich will eine Woche kleine Aufgaben sofort erledigen. Werde ich ohne Prokrastination entspannter und vielleicht sogar ordentlicher?

Im Aufschieben bin ich, wie viele andere, ganz groß. Um mich nicht zu verzetteln, habe ich mir in meinem bisweilen chaotischen Alltag einen Tunnelblick angewöhnt. Damit blende ich herumliegende Klamotten, Geschirr oder Kinderspielzeug einfach aus. Ich kann stundenlang darüber grübeln, was ich alles tun müsste. Am Ende dieser Gedankentortur türmt sich dann ein riesen großer Aufgabenberg vor meinem inneren Auge. Die Folge: Ich kapituliere schon vor dem Anfangen. Ein klassischer Fehler, ich weiß – und doch tappe ich immer wieder in dieselbe Falle.

Doch das soll sich diese Woche ändern: Ich starte in eine neue Ausprobiert-Woche, diesmal zum Thema Prokrastinieren. Sieben Tage lang will ich kleine Aufgaben sofort erledigen und so erst gar kein schlechtes Gewissen aufkommen lassen. Davon verspreche ich mir mehr innere Ausgeglichenheit, emotionale Hochs, wenn ich schnell etwas erledigt habe und einen aufgeräumteren Allgemeinzustand, der sich dann positiv auf meine Stimmung auswirkt.

Tag 1: die Zwei-Minuten-Regel

An Aufgaben, die es zu erledigen gilt, wird es mir sicher nicht mangeln. Schwierig wird, zu entscheiden, was sich eignet, um schnell erledigt zu werden und welche To-dos den Rahmen sprengen. Um überhaupt in die Gänge zu kommen, gibt es einige Tipps gegen Prokrastination, die mir hoffentlich helfen werden.

Mal schnell eine Ladung Wäsche zu waschen, ist kein Problem. Das Aufhängen allerdings sprengt meinen Zwei-Minuten Rahmen.
Mal schnell eine Ladung Wäsche zu waschen, ist kein Problem. Das Aufhängen allerdings sprengt meinen Zwei-Minuten Rahmen.
Quelle: Sarah Chai

Es geht mir diese Woche nicht darum, riesige Aufgaben anzupacken, die schon lange warten. Vielmehr will ich nebenbei kleine Handgriffe erledigen, damit sich eben nicht nach und nach der große Aufgabenberg ansammelt. Vieles davon hat sicherlich damit zu tun, «einfach» Ordnung zu halten. Nur: Das ist für mich eben gar nicht so einfach. Also nehme ich mir das Interview von Olivia Leimpeters-Leth mit Ordnungsexpertin Martina Frischknecht als Orientierung. Mein Leitthema für diese Woche ist die Zwei-Minuten-Regel: Alles, was ich in zwei Minuten erledigen kann, wird sofort erledigt, statt aufgeschoben.

Am ersten Tag klappt das richtig gut. Ich stelle gleich nach dem Aufstehen eine Waschmaschine an, statt den halben Tag darüber nachzudenken, ob ich heute noch Wäsche waschen sollte, will oder werde. Wenn ich an unaufgeräumten Sachen (Geschirr, Papierkram, Klamotten, Spielzeug) vorbeikomme, sortiere ich sie direkt an ihren eigentlichen Platz. So erledige ich im Laufe des ersten Versuchstages um die zwanzig kleinen Aufgaben und fühle mich abends tatsächlich sortierter als sonst.

Tag 2 und Tag 3: Kind krank – Erledigungen adé

Was so gut anfing, nimmt an Tag 2 bereits ein jähes Ende: Mein Kind ist krank. Und wer schon mal einen Tag mit Arbeit und einem Magen-Darm-geplagten Kind zuhause verbracht hat, weiß, dass das eher neues Chaos generiert als es beseitigt. Kurz überlege ich, die Versuchswoche zu verschieben, entscheide mich aber weiterzumachen, da ich andernfalls immer wieder Ausreden finden würde. Und so ist es immerhin ein realitätsnahes Experiment. An diesem Tag jagt dann aber – wie zu erwarten war – eine Katastrophe die nächste. Und so sehr ich mich bemühe, kurze Erledigungen zwischendrin zu machen, wirklich erfolgreich bin ich dabei nicht. Am nächsten Tag sieht es ähnlich aus. An diesen beiden Tagen bleibt mehr liegen als sonst schon und ich sehe schwarz für mein Erledigungsexperiment.

Die Tür zum Kinderzimmer mache ich für diese Woche lieber zu, das Chaos hier muss zu einem anderen Zeitpunkt angegangen werden.
Die Tür zum Kinderzimmer mache ich für diese Woche lieber zu, das Chaos hier muss zu einem anderen Zeitpunkt angegangen werden.
Quelle: Igor Starkov

Tag 4: Aufschieben war gestern

Glücklicherweise war es nur ein kurzes Krankheitsintermezzo. So kann ich mich ab Tag 4 wieder voller Entschlossenheit ans Erledigen machen. Wie schon am ersten Tag bin ich ganz gut dabei, nun im Vorbeigehen Unaufgeräumtes weg zu räumen. Das sorgt durchaus für mehr Ordnung, allerdings haben die beiden Kind-krank-Tage mir auch gezeigt, dass es nur klappt, wenn ich mich auch wirklich darauf konzentriere. So ganz «nebenbei» geht es also zumindest für mich nicht.

Und ich komme an die Grenzen der Zwei-Minuten-Regel: Was ist zum Beispiel mit dem Ausräumen der Spülmaschine? Mein Zeitstoppen ergab 5:34 Minuten. Oder das Katzenklo sauber machen, 2:25 Minuten. Wäsche Aufhängen, 4:56 Minuten. Ich merke, dass ich den Zwei-Minuten-Rahmen immer und immer wieder sprenge.
Anderes ist aber schnell erledigt:
Zählerstand ablesen und an den Stromanbieter melden. Check!
Fahrradreifen aufpumpen. Check!
Staubwischen im Wohnzimmer. Check!
Badarmaturen abwischen. Check!
Bett machen. Check!
Pflanzen gießen. Check!

Eine super Zwei-Minuten-Aufgabe: Blumengießen.
Eine super Zwei-Minuten-Aufgabe: Blumengießen.
Quelle: Teona Swift

Tag 5: meine persönliche Unter-zehn-Minuten-Regel

So langsam wird mir klar, warum ich mir irgendwann den erwähnten Tunnelblick angewöhnt habe. Erstens unterschätze ich den Zeitaufwand vieler Aufgaben und zweitens komme ich oft unbeabsichtigt von einem zum anderen. Wenn ich die Blumen gieße, fällt mir auf, dass das Regal gewischt werden müsste. Auf dem Weg zum Spüllappen, stolpere ich über Spielsachen und komme nicht umhin, die überquellende Ablage anzuschielen. Zwar ist alles für sich nur eine kurze Angelegenheit, doch in der Summe kommt einiges an Zeit zusammen. Meine Hoffnung, dass sich dieses Problem von selbst erledigt, wenn ich erst mal aufgeholt habe, hat sich in dieser einen Wochen nicht erfüllt. Dafür müsste ich sicherlich länger durchhalten.

Aber was mache ich jetzt mit diesen Aufgaben, die zwar nicht ewig dauern, aber den Zwei-Minuten-Rahmen definitiv sprengen? Ein Tipp hierfür – wie gegen Prokrastination – ist, die Pflichten in kleinere Arbeitspakete aufzuteilen. Das erscheint mir allerdings fürs Ausräumen der Spülmaschine oder Wäsche aufhängen nicht sehr zielführend. Die Überwindung wäre nicht wirklich kleiner, dafür aber mehrfach notwendig. Also beschließe ich, die Zwei-Minuten-Regel für mich in eine Unter-zehn-Minuten-Regel umzumodeln. Damit ich mich nicht in all den Aufgaben verliere, gebe ich mir die zusätzliche Regel: Pro Stunde darf ich höchstens zwei dieser To-dos erledigen.

Tag 6 und 7: Hier wird nichts mehr aufgeschoben

Meine Entscheidung, die zwei Minuten etwas zu strecken, war in meinem Fall goldrichtig. Denn endlich muss ich nicht mehr nachdenken, ob ich die jeweiligen Tasks in zwei Minuten schaffe oder nicht. Und so werde ich am sechsten Tag richtig effizient. Dazu kommt, dass ich seit heute das Gefühl habe, das Grundrauschen an unerledigten Dingen nimmt langsam ab. Geht also doch. Ich bin schon fast euphorisch und verschwende auch keine Zeit mehr damit, die Zeit für die Aufgaben zu stoppen.
An Tag 6 und 7 (es ist Wochenende) erledige ich praktisch nebenbei wieder unzählige kleine Räumarbeiten: Hier mal was aufheben, da mal was wegräumen, Tisch abwischen, Bücher ordentlich ins Regal sortieren. Aber dank des etwas weiter gesteckten Zeitrahmens kommen Erledigungen dazu, die ich schon seit geraumer Zeit von To-do-Liste zu To-do-Liste schiebe: Die letzten alten Glühbirnen gegen LEDs getauscht, ein paar Fenster geputzt, die vertrockneten Küchenkräuter auf den Kompost entlassen, meinen Schreibtisch aufgeräumt und das quietschende Gartentor geölt. Check, check, check!

Schon lange überfällig: Die alten Glühbirnen sind schnell durch LEDs getauscht.
Schon lange überfällig: Die alten Glühbirnen sind schnell durch LEDs getauscht.
Quelle: Cottonbro Studio

Besonders stolz macht mich, dass ich endlich ein Ablagesystem für wichtige Unterlagen etabliert habe. Hier kam dann auch noch der Tipp zum Einsatz, längere Aufgaben in kleine Arbeitspakete aufzuteilen. So konnte ich Schritt für Schritt über mehrere 5-Minuten-Einheiten den lange angesammelten Papierberg abbauen, ganz ohne zu verzweifeln.

Fazit: mehr Ordnung – nicht ganz nebenbei

Mein Gesamtfazit nach dieser ordentlichen Woche ist gemischt.

Minuspunkte

Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass ich mich in der Versuchswoche befinde, sonst hätte ich es womöglich vergessen. Das hat ein unterschwellig angespanntes Gefühl erzeugt, das mich die ganze Woche begleitet hat. In dieser Hinsicht trägt das «Nicht-mehr-aufschieben» nicht gerade zur Entspannung bei. Zwischenzeitlich hat mich das regelrecht gestresst. Außerdem laufe ich Gefahr, den Zeitrahmen der Aufgaben zu sprengen und mich mit zu vielen To-dos zu verzetteln. Nach einiger Gewöhnung an diesen neuen Modus könnte ich mir aber vorstellen, dass sich das irgendwann gibt.

Pluspunkte

Unschlagbar ist das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Von den beiden Krankheitstagen abgesehen, konnte ich täglich Erfolge verbuchen und in der Summe ist mein Leben nach den sieben Versuchstagen merklich aufgeräumter. Gerade die Aufgaben, die ich schon länger vor mir her geschoben habe, haben große Wirkung gezeigt. Dass ich sie abhaken konnte, verhalf mir zu dem erhofften Hochgefühl. Jedes Öffnen oder Schließen des nicht mehr quietschenden Gartentors bedeutet einen Glücksmoment. Ebenso das Fahrvergnügen mit aufgepumpten Reifen und der Blick durch die geputzten Fenster.

Das bleibt

Praktisch im Vorbeigehen Herumliegendes aufzuräumen, werde ich bestimmt in weniger pedantischer Form beibehalten. Und ich habe mir eine größere Aufgabe pro Woche vorgenommen, die ich in fünf- bis zehnminütige Arbeitshäppchen einteile und über die Tage verteilt erledige. Auf den Endorphin-Kick, wenn etwas lange Aufgeschobenes erledigt ist, will ich nicht mehr verzichten.

Titelfoto: Cottonbro Studios/Pexels

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Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.


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