
Kritik
«A Minecraft Movie»: nicht mein Film, aber vielleicht ja eurer
von Luca Fontana
«Barbie», der neue Greta-Gerwig-Film, gibt zu reden. Nicht nur wegen der umstrittenen Puppe, die fragwürdige Schönheitsideale vermittelt. Sondern auch wegen der lauten Sozialkritik des Films. Wir verraten euch, ob sich der Kinobesuch trotzdem lohnt.
Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Honigblondes Haar, azurblaue Augen, starke Wimpern, eine sanduhrförmige Taille, üppige Oberweite und lange Beine: Barbie betrat am 9. März 1959 die Bühne der Spielzeugwelt, als wäre sie direkt aus geschmeidigem Kunstharz geformt worden. Schliesslich wollte Ruth Handler, Mitbegründerin des Spielzeugunternehmens Mattel, nicht nur eine selbstbewusste weibliche Figur erschaffen, sondern die Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft neu definieren. Etwa als Astronautin. Oder Ärztin. Als Richterin am Obersten Gerichtshof und Geschäftsfrau.
Und natürlich auch als… Strandnixe!?
Es ist wohl diese anmassende Widersprüchlichkeit, die Barbie seitdem zur Ikone der Popkultur macht. Denn wo sie für manche die starke Frau ist, die den Feminismus in die Welt hinaus trägt, ist sie für andere das Sinnbild eines unmöglich zu erreichenden Schönheitsideals, das ganzen Generationen Komplexe beschert. Diese Vielschichtigkeit, widerspenstig und unverfroren, in einem einzigen Film auf den Punkt bringen zu wollen, entbehrt jeder Vernunft. Und doch hat es Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Greta Gerwig versucht.
Ob’s ihr gelungen ist, verrät dir unsere Redaktion.
Als Film-Banausin, die die wichtigsten Filme unserer Zeit nie gesehen hat, dürfte ich das Folgende wohl gar nicht schreiben, tue es aber trotzdem: «Barbie» hat das Zeug zum Klassiker. Dass ich den Barbie-Film zumindest mögen würde, weil ich als kleines Mädchen liebend gerne mit Mattels Plastikerzeugnissen gespielt habe, war irgendwie zu erwarten. Und doch kann rückblickend von «mögen» keine Rede sein: Ich habe jede Sekunde geliebt!
Wieso? Weil «Barbie» diese bittere Mischung aus schönen Erinnerungen aus meinem alten Treppenhaus – dort trafen sich meine Barbie-Puppen mit denen meiner Nachbarin – und der zeitgeistlichen Frage beschwor, ob ich als Frau Barbie überhaupt noch so toll finden darf. Der Film liefert die Antwort in Grossbuchstaben: JA!
«Detailverliebt» reicht dabei als Wort nicht aus, um die plastische Welt zu beschreiben, die die Set-Designerin Sarah Greenwood erschaffen hat. Ihre Interpretation von Barbie-Land übertrifft alles, was sich meine Vorstellungskraft für diesen Film hätte wünschen können. Doch auch der Plot bleibt nicht hinter den aufregenden Kulissen und Outfits zurück. Er überrascht mit reichlich Selbstkritik und grosszügig gestreutem Humor, der nicht nur Barbie-Ken(n)er und -Ken(n)erinnen unterhält. Ich jedenfalls werde mir den Streifen definitiv ein zweites Mal auf der Grossleinwand geben und mich weiter darüber ärgern, dass ich meine Puppen schon vor langer Zeit verschenkt habe.
Es kommt immer seltener vor, dass mich ein Film überrascht. «Barbie» ist so einer. Nicht, weil die Figuren eine unerwartet profunde Charakterentwicklung durchmachen (machen sie nicht). Sondern, weil Greta Gerwig ein Film gelingt, von dem ich mich als Mann – trotz teils verdammt lauter Sozialkritik auf die von Männern dominierte Gesellschaft – nicht vor den Kopf gestossen fühle.
Vielleicht, weil «Barbie» trotz allem nicht zum reinen Rundumschlag gegen die Männerwelt verkommt. Dafür sorgt die nicht sparsam eingesetzte Selbstkritik. Den Anfang des Films deute ich gar als Spott auf den «falschen» Feminismus, bei dem’s nicht um Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern in Wahrheit um die Abwertung von Männern geht.
Barbie-Land ist anfangs genau gleich. Denn in dem Utopia, wo «alle Probleme des Feminismus und der Gleichberechtigung» gelöst wurden – so Erzählerin Helen Mirren augenzwinkernd aus dem Off –, sind es ausschliesslich die Barbies, die sämtliche Machtpositionen innehaben. Die nach Aufmerksamkeit schmachtenden Kens indes definieren sich nur dadurch, von Barbies bemerkt zu werden. «I’m just Ken and I’m enough, and I’m great at doing stuff» ist tatsächlich Oscar-verdächtiges Songwriting:
Greta Gerwigs Film macht vor allem mit seinem herrlich entwaffnenden Humor vieles richtig. «I thought patriarchalism was about men on horses», faselt einmal Ryan Goslings Ken, «but the horses are actually an extension of manhood.» Ken hat in der realen Welt gerade herausgefunden, dass Männer, nicht Barbies, den Ton angeben. Er wird einmal sogar nach der Uhrzeit gefragt – der Uhrzeit! – und findet Patriarchalismus darum etwas unfassbar Tolles.
Am besten finde ich «Barbie» aber dann, wenn das mitproduzierende Barbie-Unternehmen Mattel auf den Plan tritt – und in keiner Szene gut wegkommt. «I love women», sagt etwa der von Will Ferrell gespielte Mattel-CEO, «I’m a son of a mother after all!» Sein Verwaltungsrat, ausschliesslich aus Männern in ihren 50ern bestehend, nickt ihm zustimmend zu. Er bestimmt beim Designen einer neuen Barbie gerade darüber, was Feminismus für den Rest der Welt zu bedeuten hat. Dass sich Mattel selbst so sehr auf die Schippe nehmen würde, hätte ich nie gedacht.
Irrwitzig, super-absurd und saulustig: Der Film gehört geguckt.
Greta Gerwig führt Regie beim «Barbie»-Film. Ich hätte nicht skeptischer sein können. Bekannt ist Gerwig als Schauspielerin und Drehbuchautorin vor allem für Independent-Produktionen. Und jetzt soll diese gefeierte Independent-Regisseurin die Mattel-Puppenkiste auf die Leinwand bringen?! «Das kann nicht gut gehen!», dachte ich…
… und lag komplett falsch.
Das Engagement von Gerwig (und ihrem Partner Noah Baumbach als Co-Autor) ist brillant. Und gar nicht so gewagt, wie man zunächst denken könnte. Gerwig macht das, was sie am besten kann: Sie erzählt die Geschichte einer Protagonistin, die aus ihrer heilen, aber eintönigen Welt mehr oder weniger freiwillig ausbricht. Davon handelten schon «Frances Ha» oder «Lady Bird». Nur ist die Welt bei «Barbie» in grelles Pink getaucht und nicht schwarz-weiss wie bei «Frances Ha». Und statt aus Sacramento flüchtet die Protagonistin aus dem Barbie-Land.
Dass die Komik weniger subtil, sondern eher aus der Kategorie «in your face» ist, muss ob dem absurden Setting so sein. In Zeiten, in denen frauenfeindliche Waschlappen wie Andrew Tate oder Jordan Peterson ein (meist männliches) Millionenpublikum ansprechen, braucht es nunmal grosses Geschütz. Welche Ironie, dass das Geschütz ausgerechnet in Form der Puppe kommt, die das vermeintlich perfekte Frauenbild von Tate und Peterson verkörpert. Gekonnt werden hier Stereotypen aufgebaut, um sie wieder zu zerschlagen. Barbies zum Beispiel sind anfangs feministische Ikonen, Kens hingegen bloss arme Schosshündchen von Männern – nur, um im zweiten Teil des Filmes alles auf den Kopf zu stellen und das genau umgekehrte Bild zu zeichnen.
Gerwig spielt intelligent mit sämtlichen Klischees, ohne dass ich mich von der Moralkeule erschlagen fühle. Ich ziehe meinen pinken Cowboyhut!
«Barbie» läuft ab dem 20. Juli 2023 im Kino. Laufzeit: 114 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»