Fernwandern
Deutsch, 2024, Linn Schiffmann
Von Finnland bis Spanien – Linn Schiffmann ist gern auf Fernwanderwegen unterwegs. In acht Ländern ist sie bereits gewandert und hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben. Im Interview teilt sie ihre Top-Tipps.
Linn Schiffmann ist Autorin und freischaffende Künstlerin. Seit ihrer Jugend gehört fernwandern zu ihren Leidenschaften. So erkundete sie zu Fuss Wanderwege in Norwegen, den spanischen Teil des Jakobswegs, den West Highland Way in Schottland und den Hirvaan Kierros in Finnland. Zudem wanderte sie auf dem Inntaler Höhenweg in den Alpen und ist immer wieder in deutschen Mittelgebirgen und Regionen wie dem Sauerland unterwegs.
Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Was war deiner?
Eigentlich waren es zwei Schritte, die in etwa parallel liefen. Der eine war eine Jugendreise nach Norwegen. Wir sind vier Tage am Stück gewandert. Es hat mir unglaublich gut gefallen, mit anderen Menschen draussen unterwegs zu sein. Und das andere war das Buch «Ich bin dann mal weg» von Hape Kerkeling. Das fand ich total spannend, es war ja diese Mischung von Geschichten aus seinem Leben und die ziemlich genaue Beschreibung des Jakobswegs.
Jetzt hast du ja etwas Ähnliches gemacht. Du bist sehr viel gewandert, in acht Ländern in Europa und 1700 Kilometer auf Fernwanderwegen. Und hast ein Buch dazu geschrieben.
Ja, es sind Geschichten über Begebenheiten und Begegnungen auf dem Jakobswegs, dem West Highland Way in Schottland oder den Wegen im Salamajärvi Nationalpark in Finnland und in den österreichischen Alpen sowie im Sauerland. Dazwischen gibt es fiktionale Geschichten.
Diese Mischung ist eher ungewöhnlich für Reiseliteratur.
Ja, aber es muss ja nicht immer ein Erfahrungsbericht sein. Beim Wandern darf man sich ja auch ein bisschen inspirieren lassen und träumen, was in einer fiktiven Welt alles passieren könnte. Was zum Beispiel wäre, wenn plötzlich Aliens auf einem Wanderweg auftauchen. Es gibt beim Wandern und Lesen ganz unterschiedliche Menschen. Die einen möchten genau wissen, ob sie bei Kilometer 15 abbiegen sollen und die anderen sagen: «Ist doch egal». Das sind die Träumer, die sich ausmalen, was an einem Ort hätte sein können.
Die erste mehrtägige Wanderung war mit 16 Jahren, dann bist du mit 20 Jahren den spanischen Teil des Jakobswegs, den Camino Francés, gewandert und gehst seither immer wieder auf längere Wanderungen. Inzwischen bist du 34 Jahre alt. Und wie du in deinem Buchtitel selbst fragst: Warum machst du das eigentlich?
Auf jeden Fall wegen der vielen tollen Begegnungen und Gespräche unterwegs. Das ist wirklich ein ganz wichtiger Teil für mich. Und natürlich gibt es die Punkte, an denen ich müde bin, meine Füsse schmerzen, ich keine Unterkunft finde und es tagelang regnet. Dann stelle ich mir die Frage, warum ich das eigentlich mache. Aber klar ist auch, dass die besten Geschichten entstehen, wenn etwas schiefgeht.
Was macht für dich den grössten Reiz aus?
Das Wandern ist einfach ein riesiger Kontrast zum Alltag, in dem ich doch viel vor dem Computer sitze und mit dem Kopf arbeite. Das Schreiben und die Malerei sind wichtige Teile meines Lebens, aber wenn ich draussen bin, fühle ich mich viel lebendiger. Ausserdem mag ich die Selbstbestimmtheit beim Wandern. Ich muss und darf mich praktisch ständig für oder gegen etwas entscheiden und das hat auch seinen Reiz.
Wie hat das Wandern dein Leben verändert?
Das ist jetzt eine schwierige Frage, denn ich habe ja schon sehr jung damit angefangen und da ändert sich sowieso noch sehr viel. Aber eine Sache hat sich sicher verändert: Als Kind bin ich nicht gerne gewandert. Halbtagestouren mit den Eltern fand ich nie spannend. Die Begeisterung fürs Wandern kam erst auf der Reise nach Norwegen. Mit mehreren Menschen einige Tage in der Natur unterwegs zu sein und auch zu übernachten - das hat mich fasziniert. Und, ich kann es nur nochmal betonen, die Begegnungen und Gespräche.
Was schätzt du an solchen Begegnungen besonders?
Die Fernwanderwege sind so international. Man hört alle Sprachen und trifft Menschen aus ganz verschiedenen Regionen mit ganz unterschiedlichen Motivationen, die ich sonst nie getroffen hätte. Und obwohl wir auf dem gleichen Weg laufen, erleben ihn alle ganz anders. Für manche ist ein Weg entlang der Klippen der blanke Horror, weil sie Höhenangst haben, während andere sich über die tolle Aussicht freuen. Manche empfinden gerade, flache Wege als besonders schön und meditativ, während andere sich langweilen. Über mich selbst habe ich gelernt, dass einsame Pfade nicht so mein Ding sind, auch wenn sie landschaftlich wunderschön sind. Ich liebe den Austausch mit anderen Menschen, und da sind Solo-Touren durch den Wald einfach nicht das Richtige.
Jeder Weg ist einzigartig. Trotzdem: Hast du einen Favoriten?
Jeder Weg hat seine Besonderheiten und jeder ist toll. In besonderer Erinnerung habe ich den Inntaler Höhenweg behalten. Es war auch die bisher anspruchsvollste Wanderung, denn im Gebirge habe ich ganz anders auf den Weg achten müssen und mich immer gefragt, ob das Wetter hält und ob ich genug warme Sachen und Verpflegung dabei habe. Aber beim Laufen auf der 2000-Meter-Höhenlinie hatte ich bei gutem Wetter auch immer extrem schöne Ausblicke und jeden Tag ein neues Highlight. Das war toll, aber gleichzeitig muss ich sagen, dass ich das Wandern in Mittelgebirgen entspannender finde.
Aber da gibt es sicher auch Herausforderungen.
Ja, zum Beispiel in Schottland, als ich auf brünftige Hirsche gestossen bin, die miteinander kämpften. Da wollte ich nicht dazwischen geraten. Einmal stand eine Hirschkuh mit ihrem Kalb auf dem Weg und schnaufte schon ganz wütend. Da habe ich mich dann schnell ins Gebüsch verzogen. Aber Begegnungen mit Tieren sind überall möglich. Mit Mutterkühen zum Beispiel. Nicht nur am Alpenrand, sondern auch im Sauerland kommt das vor.
Welche Tipps würdest du Einsteigerinnen und Einsteigern geben?
Gute Vorbereitung ist auf jeden Fall wichtig. Zum Beispiel die Erfahrungsberichte anderer lesen, sich mit Karte und Kompass vertraut machen und das Material testen. Wenn du mit Partnerin oder Partner eine grössere Strecke wandern möchtest, dann geht doch erst einmal übers Wochenende los und schaut, ob Tempo, Fitnesslevel, Risikofreudigkeit und auch die Ansprüche an die Wanderung zueinander passen. So kannst du dir einiges an Frust und Konflikten ersparen.
Gibt es Fernwanderwege, die du für die erste längere Tour empfehlen würdest?
Zum Einstieg ist sicher ein Weg wie der Jakobsweg geeignet. Da gibt es genügend Unterkünfte und Einkaufsmöglichkeiten, sodass sich Wanderinnen und Wanderer keine Sorgen machen müssen, ob sie genug Proviant dabei haben. Der Weg verzeiht viele Fehler. Allerdings ist er inzwischen so populär, dass es sich gerade auf den letzten Etappen lohnt, die Unterkünfte im Voraus zu reservieren. Auch geführte Touren, zum Beispiel in Finnland, sind für den Anfang – und auch später noch – toll, weil man sich dank Guide auf das Erlebnis und den Weg konzentrieren kann und sich nicht so stark um Planung und Logistik kümmern muss.
Wie sieht es mit der Ausrüstung aus? Was ist dein Top-Tipp?
Für mich waren Kompressionssocken der absolute Game-Changer. Ich hatte immer Blasen an den Füssen und habe versucht, die passenden Schuhe zu finden. Oder habe andere Tipps, wie zwei Paar Socken übereinander anzuziehen, ausprobiert. Das hat alles nichts gebracht. Bis ich gemerkt habe, dass meine Füsse beim Wandern anschwellen und deshalb in den Schuhen Reibung entsteht, egal, wie gross die Schuhe sind. Kompressionssocken zum Wandern haben dieses Problem gelöst. Das kann bei anderen Wandernden anders sein, aber für mich war das eine echte Hilfe.
Bleiben wir bei den Füssen. Wie sieht’s mit Schuhen aus?
Ich bin inzwischen ein Fan davon, in Trailrunning-Schuhen statt in schweren Wanderschuhen zu laufen. Es sei denn, du bist im Gebirge oder im Winter unterwegs. Mit Trailrunning-Schuhen weniger Gewicht am Fuss zu haben, macht einen echten Unterschied. Ich schaue auch, dass ich Schuhe wähle, die von Barfuss-Schuhmarken kommen. Nicht, weil ich keine Dämpfung oder kein Profil möchte, sondern weil mir eine geräumige Zehenbox wichtig ist. Ich achte darauf, dass mein Fuss in der Zehenbox nicht gestaucht wird, weil ich von zu engen Schuhen schon Fehlstellungen am Fussgelenk und Knie bekommen habe.
Was hast du sonst noch für Tipps zur Ausrüstung?
Nicht zu viel mitnehmen. Da hilft ein kleinerer Rucksack, in den nicht so viel passt. Dadurch wird man praktisch gezwungen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ein Gegenstand, auf den ich nicht verzichten möchte, ist die Trinkblase. Sie funktioniert für mich viel besser als eine Trinkflasche. Statt einmal in der Stunde eine grosse Menge zu trinken, nehme ich immer wieder nur Schlückchen. Dadurch entsteht der grosse Durst erst gar nicht und ich muss auch nicht so oft aufs WC.
Spannend. Was findet sich sonst noch in deinem Rucksack?
Beim Erste-Hilfe-Set solltest du nicht sparen. Vor allem nicht bei den Pflastern. Wenn du welche mitnimmst, die nicht richtig kleben oder sich beim kleinsten bisschen Schweiss oder Feuchtigkeit lösen, hast du schnell ein Problem. Und oft bist du in Gegenden unterwegs, in denen du Pflaster oder andere Verbandsmaterialien nicht einfach nachkaufen kannst.
Gibt es noch etwas, was du im Laufe der Zeit gelernt hast in Sachen Ausrüstung?
Wichtig ist, einen ausreichend warmen Schlafsack dabei zu haben, denn auch im Sommer können die Nächte kühl sein. Gerade in den skandinavischen Ländern oder in Finnland. Und wenn du nachts frierst, dann fehlt am nächsten Tag die Energie beim Wandern. Deshalb würde ich beim Schlafsack lieber einen etwas wärmeren mitnehmen und mich gut informieren, wie tief die Temperaturen zu einer bestimmten Jahreszeit fallen können.
Für viele ist eine Fernwanderung ja die Erfüllung eines Lebenstraums. Waren für dich die bisherigen Wanderungen eher Traum oder Ernüchterung?
Tatsächlich machen sich viele auf den Weg, um Klarheit über die Zukunft, ihren Beruf oder eine Beziehung zu bekommen. Und da kommt die Inspiration nicht immer wie gewünscht. Ich bin nicht mit so hohen Erwartungen losgezogen, sondern dachte einfach, dass es interessant werden könnte und vielleicht Spass macht – und so war es dann auch.
Vielen Dank, Linn, für die spannenden Einblicke in deine Touren und das Gespräch.
Wenn du noch weitere teils ernsthafte, teils humorvolle Tipps zur Ausrüstung beim Wandern suchst, findest du sie hier
Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.