«Billig» und «teuer» bedeuteten früher etwas anderes
28.1.2024
Dein Anmachspruch ist billig und Zürich ist teuer. Beide Begriffe haben einen negativen Beiklang. Doch das war nicht immer so. Die erstaunliche Wandlung zweier Wörter.
Ursprünglich war «billig» ein Synonym für «recht», «angemessen», oder wie wir heute sagen, «okay». So beschreibt Goethe in «Wilhelm Meisters Lehrjahre» einen Zeitgenossen, der «mehr Wein als billig trank»: Mit anderen Worten, er trank mehr, als in Ordnung gewesen wäre. Diese Bedeutung ist heute weitgehend verschwunden. Sie lebt noch in der Wendung «was dem einen recht ist, ist dem anderen billig» und im Verb «billigen» – ein Synonym für «gutheissen».
Angemessen bezogen auf einen Preis würde heissen, dass dieser weder zu hoch noch zu tief ist. Rein aus Käufersicht interessiert jedoch nur das erste: Hauptsache, tief genug. Vielleicht stammt von da die zweite Bedeutung von «billig»: Wenig Kosten verursachend.
In dieser Bedeutung ist «billig» noch positiv. Doch meist haftet dem Wort etwas Negatives an. Wenn wir heute von einem billigen Produkt reden, meinen wir in der Regel eines, das wenig kostet, aber Schrott ist. Die Überlegung dahinter: Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein. Falls doch, wählen wir stattdessen das Wort «preiswert» oder «günstig».
Billig im Sinn von «nicht viel wert» können nicht nur Waren sein, sondern auch Tricks oder Ausreden. Eine billige Ausrede ist nichts anderes als eine schlechte Ausrede – eine, die man nicht billigt. Damit hat sich die Bedeutung des Wortes im Lauf der Zeit in ihr Gegenteil verkehrt.
Lieb und teuer war dasselbe
Auch der gegenteilige Begriff «teuer» hat einen Bedeutungswandel hinter sich. Mit der Briefanrede «meine teure Freundin Henriette» wollte Heinrich von Kleist (1777–1811) keineswegs andeuten, dass sie ihm durch Shopping-Exzesse finanziell zur Last falle. Vielmehr war dies ein gängiger Ausdruck von persönlicher Wertschätzung, der sich auch in anderen Sprachen findet: mon cher ami, my dear friend. Gebe ich dagegen «teure Freundin» in der Bilddatenbank Shutterstock ein, erhalte ich Suchtreffer wie diesen:
Auch bei diesem Wort findet sich die positive Bedeutung noch in alten Redewendungen wie «lieb und teuer» wieder. Die Wendung «guter Rat ist teuer» spielt nicht auf überzogene Consultant-Honorare an, sondern hebt den Wert einer hilfreichen Einschätzung hervor.
War die Bedeutung von teuer ursprünglich doppeldeutig, hat sie sich hauptsächlich zum Negativen gewandelt. Teuer nennen wir heute, was viel kostet – oft mehr, als uns billig ist angemessen dünkt. Wollen wir den Wert hervorheben, ohne auf die finanzielle Belastung zu verweisen, verwenden wir stattdessen «wertvoll» oder «kostbar».
Ein Erklärungsversuch
Der Wandel dieser Bedeutungen dürfte kein Zufall sein. Billige Ware ist typisch für das Industriezeitalter. Mit den ersten Fabriken wurden Billigprodukte in grosser Zahl verfügbar, und sie waren nicht bei allen beliebt: Wer von Hand herstellte, war nicht mehr konkurrenzfähig, grosse Teile der Bevölkerung verloren ihr Einkommen. 1832 fackelten verzweifelte Heimarbeiter eine Weberei im zürcherischen Uster ab. Angesichts solcher Verwerfungen ist es kein Wunder, dass «billig» seine positive Bedeutung verlor.
Die Massenproduktion wirkte wohl auch auf das Wort «teuer»: Wenn allgemein bekannt ist, dass in Fabriken Dinge billig hergestellt werden können, gibt es keinen Grund mehr, viel zu bezahlen. So schwingt im Wort «teuer» Kritik mit: Ihr produziert billig, gebt uns das aber nicht weiter. Zudem stieg der Konsum an; man beschäftigte sich häufiger mit Dingen, die man kaufen wollte, als mit den Dingen, die man bereits hatte. Und schliesslich gab es vor der Industrialisierung auch keine Sozialleistungen. Das bedeutete: Wer keine Freunde oder vermögende Verwandte hatte, landete schnell im Armenhaus. Daher konnte der «teure Freund» durchaus auch finanziell wertvoll sein.
Titelbild: ShutterstockDavid Lee
Senior Editor
David.Lee@digitecgalaxus.chDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.