Bluthochdruck: Eine unsichtbare Gefahr (vor allem für Frauen)
13.3.2024
Kennst du deinen Blutdruck? Frauen sollten da schon bei Werten ab über 120 zu 80 hellhörig werden. Ein Arzt und Experte für gendergerechte Medizin erklärt, warum das so ist.
Bluthochdruck, der «stille Killer»: Laut dem globalem Hypertonie-Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom September 2023 leidet eine von drei erwachsenen Personen an Bluthochdruck – und von den Betroffenen werden vier von fünf nicht adäquat behandelt. Womöglich wissen sie gar nichts von ihrer Erkrankung. Denn Hypertonie kommt, zumindest anfangs, ohne Symptome daher.
Doch der dauerhaft zu hohe Druck schädigt die Gefäße: Hypertonie gilt als der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen, die in der Schweiz die häufigste Todesursache sind. Genau wie auch in Deutschland und Österreich. Doch laut Hochrechnungen wären die Hälfte aller Herzinfarkte und Schlaganfälle vermeidbar, wenn ein Bluthochduck rechtzeitig erkannt und behandelt würde.
Männer sind statistisch etwas häufiger von Bluthochdruck betroffen als Frauen. Allerdings vor allem in jüngerem Lebensalter. Bei Frauen kommt es meist erst nach den Wechseljahren zur Hypertonie. Und dann kehrt sich das Verhältnis um: Ab etwa 65 Jahren sind Frauen statistisch häufiger betroffen als Männer.
Bluthochdruck sollte geschlechtersensibel betrachtet werden, sagt Prof. Dr. Burkhard Sievers. Er ist Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie, Nephrologie und Intensivmedizin am Sana-Klinikum Remscheid sowie Inhaber der Privatpraxis Cardiomed24 in Meerbusch bei Düsseldorf. Von ihm erfahre ich im Interview, was in puncto Bluthochdruck wichtig ist zu wissen – für Männer und Frauen.
Die WHO warnt vor Bluthochdruck als «stillem Killer». Ab welchen Werten wird es kritisch?
Prof. Dr. Sievers: Es gibt einen oberen und einen unteren Wert und beide Werte beschreiben die Elastizität der Gefäße und definieren auch die Grenzwerte des Bluthochdrucks. Der normale Blutdruck bewegt sich in der Regel deutlich unter 140 zu 90 mmHg (Millimeter Quecksilbersäule, ein Masseinheit für Druck, die Red.). Im Schnitt soll er aber, wenn man beispielsweise eine 24h-Blutdruckmessung durchführt, tagsüber unter 135 zu 85 und nachts unter 120 zu 75 sein. Das sind wohlgemerkt die Grenzwerte. Wenn man beim Hausarzt ist und einen Blutdruck misst, der an die 140 zu 90 ist, wird dieser dann zu verschiedenen Zeitpunkten noch zwei- bis dreimal nachgemessen. Bleiben die Werte gleich, empfiehlt sich eine Langzeitmessung über 24 Stunden. Dann lässt sich aufgrund der Durchschnittswerte sehr gut einschätzen, ob eine Bluthochdruckerkrankung vorliegt oder nicht.
Angenommen, eine Erkrankung liegt vor. Was ist zunächst zu tun?
Als erstes raten wir zu einem Lifestyle-Change, das heißt: Ernährung und Ausdauersport in den Alltag zu integrieren und aufs Rauchen und Trinken zu verzichten. Wenn das nicht ausreicht, wird eine medikamentöse Therapie empfohlen. Ich persönlich verfolge aber einen etwas anderen Ansatz, weil ich aus vielerlei Erfahrung weiß: Den Lebensstil umzustellen, ist oft gar nicht so leicht. Wenn die Werte für eine Behandlung sprechen, empfehle ich daher bereits parallel zum Lifestyle-Change eine milde Blutdruck-Medikation. So hat man nicht über mehrere Monate oder gar Jahre, die so eine Umstellung des Lebensstils mitunter dauern kann, gar nichts getan und den Patienten oder die Patientin unbehandelt gelassen. Bei diesem parallelen Ansatz wird die Medikation immer wieder hinterfragt, die Dosis also reduziert, erhöht oder gar abgesetzt, wenn sich Besserung zeigt. Es kommt eben sehr auf die Disziplin jedes Einzelnen an.
Sie haben von Standard- und Grenzwerten für Bluthochdruck gesprochen. Sind diese Werte für Männer und Frauen gleich?
Das ist eine gute Frage. Lassen Sie mich diese zunächst beantworten mit den Ergebnissen der Deutschen Hochdruckliga e.V. und der European Society of Hypertension und allen Gremien, die sich damit befassen: In den aktuellen Leitlinien gibt es keine geschlechtsspezifische Unterscheidung bei der Definition von Blutdruckgrenzwerten. Es wird also nicht zwischen Männern und Frauen und Diversen unterschieden, sondern – egal, wie groß oder klein jemand ist, oder wie viel Muskelmasse er oder sie hat – es gelten immer die gleichen Grenzwerte. Nun hat sich aber in einigen Studien herausgestellt: Frauen würden davon profitieren, wenn der Blutdruck bei ihnen niedriger ist, als bei Männern. Bei Frauen ist der Grenzwert eher bei 120 zu 80, anstelle von 140 zu 90 anzusetzen. Und man weiß durch diese Studien eben auch: Die Komplikationsrate, also dauerhafte Schäden wie Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzschwäche, kann man bei Frauen deutlich reduzieren, wenn der Blutdruck niedriger als 120 zu 80 ist.
Frauen mit Hypertonie müssen also eher und anders medikamentiert werden?
Ja genau, bei Frauen würde man früher mit Lifestyle-Change, Ausdauersport, Ernährungsumstellung und auch medikamentöser Therapie beginnen, bereits bei Werten von über 120 zu 80. Das sind in aktuellen Leitlinien und im Allgemeinen ärztlichen Verständnis noch völlig normale Blutdruckwerte, bei denen man bisher nicht darauf käme, etwas zu unternehmen oder gar Medikamente zu verschreiben. Doch Studien deuten darauf hin, dass Frauen bereits bei niedrigeren systolischen Blutdruckwerten (größer 120 mmHg) ein vergleichbares Risiko für dauerhafte Schäden haben wie Männer bei höheren systolischen Blutdruckwerten (größer als 160 mmHg für das Herzinfarktrisiko und größer als 140 mmHg für das Schlaganfallrisiko).
Man sollte also Männer und Frauen nicht in einen Topf werfen und gleiche Grenzwerte definieren. Da hinken deutsche, europäische, aber auch die amerikanischen Leitlinien aktuell noch hinterher. Dennoch gibt es Vorteile in den USA: Zwar unterscheiden die amerikanischen Gesundheitsbehörden auch nicht zwischen Männern und Frauen, weder bei Behandlung noch der Definition von Grenzwerten. Aber: Sie empfehlen den Start der Behandlung bereits ab einem Wert von 130 zu 80. Die Frauen sind also theoretisch in den USA besser dran, weil dort früher mit einer Behandlung begonnen wird.
Weiß die Forschung, woher diese Unterschiede rühren?
Hormone spielen gerade in der Gendermedizin eine wichtige Rolle. Da geht es viel um die weiblichen Geschlechtshormone, aber auch um die Veränderung der männlichen Geschlechtshormone im Verlauf des Lebens. Nun ist es so: Frauen sind lange Zeit durch die Östrogene gegen Herz-Kreislauferkrankungen geschützt. Das geht bis zur Menopause gut. Weil dann der Östrogenspiegel, also die weiblichen Sexualhormone, «abstürzen» und nur noch in geringem Ausmaß vorhanden sind, ist danach die Schutzwirkung verloren und die Frauen holen in ihrer Verwundbarkeit in Bezug auf Herzkreislauferkrankungen zu Männern rasant auf. Und dann gibt es natürlich noch Risikofaktoren wie Stress, Veranlagung, Zuckerkrankheit usw. Bei Frauen kommt oftmals auch noch die Zusatzbelastung durch Kinder und Familie hinzu.
Bluthochdruck bleibt auch deshalb oft unentdeckt, weil er zu Beginn symptomlos daherkommt. Später kann er zu Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen führen. Gibt es auch bei den Symptomen genderspezifische Unterschiede?
Sie haben wesentliche Symptome genannt, wobei man auch hier wieder auf den Unterschied zwischen den Geschlechter verweisen muss. Denn Frauen ordnen diese oft uncharakteristischen, chamäleonartigen Symptome oftmals nicht richtig ein – und ignorieren sie oder spielen sie herunter.
Andere Symptome sind zum Beispiel eine grundsätzliche Nervosität, Aufgeregtheit und eine verringerte Belastbarkeit. Alles Symptome, die nicht zwangsläufig auf Bluthochdruck schließen lassen. Grundsätzlich gilt daher: Hat man plötzlich Beschwerden, die man vorher nicht hatte, sollte man diese nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ziel ist es, Bluthochdruck früh zu erkennen und zu behandeln, um komplexere Schäden zu verhindern bzw. zeitlich zu verzögern.
Übrigens: Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen können auch Auslöser einer vaskulären Demenz sein. Es gibt Formen der Demenz, die dadurch entstehen, dass die Gefäße verkalkt, verengt oder starr sind, was häufig auf einen langjährig unzureichend behandelten Bluthochdruck zurückzuführen ist.
Mit welchen Medikamenten behandelt man den Bluthochdruck?
Insgesamt hat man sieben oder acht Medikamente zur Hand, die bei einem schweren Bluthochdruck-Einstand auch miteinander kombiniert werden können. Zunächst startet die medikamentöse Therapie mit einem, meistens zwei Medikamenten. Dabei sollte man immer individuell vorgehen.
Worauf muss die Medizin bei der Behandlung von Frauen und Männern besonders achten?
Frauen benötigen offensichtlich zumindest von vielen Medikamenten etwa 30 bis 40 Prozent weniger, um die volle Wirkung zu entfalten. Das hätte auch den Vorteil einer geringeren Nebenwirkungsrate. Diese ist bei Frauen ca. 30 Prozent höher als bei Männern. Was bedeutet: Frauen erhalten aktuell vermutlich sehr häufig eine zu hohe Dosis. Und das wiederum kann dazu führen, dass sie die Medikamente aufgrund der Nebenwirkungen absetzen und sagen: «Die nehme ich nicht mehr». Mit der Folge, dass die Erkrankung unbehandelt bleibt und sich die Prognose verschlechtert.
Sind das Resultate des sogenannten Gender-Data-Gaps, also der Tatsache, dass viele Forschungen an Männern gemacht wurden und nicht an Frauen? Gibt es denn schon ein generelles Umdenken in Richtung gendergerechte Medizin?
Richtig ist: In der Medizin sollte neben dem Geschlecht immer das Individuum betrachtet werden. Allein das Geschlecht zu beachten, wird der Komplexität nicht gerecht. Also guckt man immer erst auf die Person, die vor einem steht. Ist der Mensch groß oder klein, hat er oder sie viel oder wenig Körperfett, eine hohe Muskelmasse oder nicht? Danach richtet man dann die Dosis der Medikation. Wenn Ärzte nun – um aufs Thema zurückzukommen – Bluthochdruck bei Frauen einstellen, dann verschreiben sie üblicherweise die Dosis, die der Beipackempfehlung zu entnehmen ist. Und da gibt es eine gewisse Bandbreite. Doch wichtig zu wissen ist: Auch wenn man sich an der unteren Initialdosis orientiert, kann diese für Frauen oftmals schon zu hoch sein.
Mit welchen Folgen?
Dann kommen viele Patientinnen wieder und klagen über Schlappheit, Kälte, Leistungsschwäche und Schwindel; in vereinzelten Fällen kann das auch bis zum Kollaps führen. Die gängige Schlussfolgerung: Das Medikament wird nicht vertragen, obwohl es eigentlich an der Dosis lag. Daher muss man sich bei Hypertonie an die Dosierung von Frauen langsam herantasten und den Menschen, also die Patientin, ganzheitlich betrachten. Und auch wenn es laut der offiziellen Leitlinien keine geschlechtsspezifischen Bluthochdruck-Unterschiede gibt, weder für die Blutdrucknormalwerte noch für die Blutdruckgrenzwerte, oberhalb derer eine Behandlung empfohlen wird: Es ist offensichtlich sinnvoll, Frauen etwas früher zu behandeln, um einen Zielblutdruck von kleiner 120 zu 80 mmHg zu erreichen.
Titelbild: shutterstock
Moritz Weinstock
Autor von customize mediahouse
Notizbuch, Kamera, Laptop oder Smartphone. Leben heißt für mich festhalten – analog oder digital. Immer mit dabei: mein iPod Shuffle. Die Mischung macht’s eben. Das spiegelt sich auch in den Themen wider, über die ich schreibe.