Kritik

«Bullet Train»: Der geilste Trip des Jahres

Luca Fontana
2.8.2022

Actionreich, spannend und voll von schwarzem Humor: «Bullet Train» von «John Wick»-Regisseur David Leitch und mit Brad Pitt in der Hauptrolle ist jene Sorte Roman-Adaption, auf die niemand gewartet hat, aber alle begeistern wird.

Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Es wird nicht immer alles zu Gold, was Regisseur und Ex-Stuntman David Leitch anfasst. Aber vieles. Etwa der erste «John Wick»-Film. Oder «Atomic Blonde». Denn Leitch ist immer dann am besten, wenn er auf sein Markenzeichen setzt: handgemachte, wuchtige Action, ohne zu viel CGI-Gedöns, und stets mit ruhiger Kamera eingefangen.

Sein neuestes Werk, «Bullet Train», schlägt – symbolisch – in genau dieselbe Kerbe.

Darum geht’s in «Bullet Train»

Ladybug (Brad Pitt) ist Auftragskiller. Eigentlich einer der besten. Wenn da nur sein Pech nicht wäre: Seine Jobs sind zwar immer von Erfolg gekürt, aber ständig bricht die Hölle los. Als eines Tages ein Auftrag zu viel schief geht, nimmt sich Ladybug vor, nur noch friedliche Missionen anzunehmen, ganz ohne Waffen, Tod und Mordschlag. Etwa in einen Zug zu steigen, einen Aktenkoffer zu klauen, und an der nächsten Station wieder auszusteigen. Einfacher geht’s nicht, oder?

Nur: Das Schicksal hat andere Pläne mit Ladybug. Mal wieder. Denn der neueste Auftrag des Marienkäfers – das Symbol für Glück, du verstehst die Ironie – bringt ihn auf Kollisionskurs mit den tödlichsten Killern aus aller Welt, und das im schnellsten Zug Japans, dem Bullet Train, der mit 320 Kilometer pro Stunde zwischen Tokyo und Kyoto hin und her donnert. Sie alle wollen nur eines: den Aktenkoffer. Ausgerechnet.

Vom Buch zum Filmfestival

«Bullet Train» ist vieles. Ein Actionfilm in Primis. Manchmal aber auch eine Komödie. Dann etwas zwischen Thriller, asiatischer Gangsterfilm und Heist Movie à la «Ocean's 11». Und wenn der Bullet Train durch die von Neonreklamen gepflasterten Städte, malerische Landschaften und von pinken Kirschbäumen gesäumte, feudal anmutende Dörfer rast, könnte der Film glatt als Werbefilm für Japan durchgehen – mit Absegnung vom Ministerium für Tourismus.

Auch das gehört zur Show: Ein Katana-schwingender Gangster.
Auch das gehört zur Show: Ein Katana-schwingender Gangster.
Quelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Kein Wunder: «Bullet Train» ist eine Roman-Adaption des gleichnamigen japanischen Bestsellers aus dem Jahr 2010. Geschrieben wurde das Buch von Kotaro Isaka, der vor allem für das irre Tempo und die von schwarzem Humor triefenden Dialoge gefeiert wird. Gelesen habe ich das Buch nicht. Aber gemessen am Film muss Drehbuchautor Zak Olkewicz eine meisterliche Adaption gelungen sein. Schliesslich macht «Bullet Train» nicht nur wegen der Leitch-typischen Action verdammt viel Spass. Es sind die Dialoge zwischen den Killern, die mich immer wieder schmunzeln, manchmal sogar lauthals lachen lassen.

Etwa, wenn Ladybug seinen Therapeuten zitierend sowas Lächerliches wie «Wenn du Frieden in die Welt trägst, bekommst du Frieden zurück» faselt, und als Antwort von seiner Auftraggeberin – ihre Identität wäre ein Spoiler – nur ein trockenes «Du vergisst, womit du deinen Lebensunterhalt verdienst. Nimm die Waffe» bekommt.

Diese leichtfüssige Süffisanz, die sich durch den ganzen Film zieht, ist schlichtweg fantastisch. Auch wenn sich «Bullet Train» zwischendurch die eine oder andere Länge erlaubt. Nicht, weil nichts passiert. Mehr, weil die vielen Schlagabtausche zwischen den mordenden Passagieren mitunter etwas repetitiv wirken können. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau. Und genau, wenn du meinst, den Film – die Story – durchschaut zu haben, legt Olkewicz' Drehbuch einen drauf.

Wer zuletzt noch steht, gewinnt

Mindestens so unterhaltsam wie Brad Pitts Ladybug – ich liebe Pitts komödiantisches Talent, sollte er viel öfter zeigen – sind aber auch die anderen Killer an Bord des Schnellzuges. Die sich wie ein ständig kabbelndes Ehepaar verhaltenden Tangerine (Aaron Taylor-Johnson, «Kick-Ass») und Lemon (Brian Tyree Henry, «Eternals») geben mir die totalen Key & Peele Vibes und gehören locker zu den Highlights des Films. Der mexikanische Wolf (Bad Bunny) könnte fast aus «Breaking Bad» stammen und versehentlich in den falschen Film… pardon, Zug gestiegen sein. Die Prinzessin (Joey King) gibt das unschuldige Schulmädchen, das ganz und gar nicht unschuldig ist. Und der Alte (Hiroyuki Sanada) und sein Sohn (Logan Lerman) ergänzen die fantastische Schauspiel-Riege mit dem nötigen asiatischen Touch.

Mehr Schauspieler:innen zähle ich bewusst nicht auf – je weniger du weisst, desto besser.

Das Duo Tangerine, rechts, und Lemon, links, dürfte sich schnell zum Publikumsliebling mausern.
Das Duo Tangerine, rechts, und Lemon, links, dürfte sich schnell zum Publikumsliebling mausern.
Quelle: Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Kein Zweifel: die Casting-Abteilung hat einen hervorragenden Job gemacht. Das ist wichtig. «Bullet Train» zieht seine Faszination auch aus einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Kinderspiel «Reise nach Jerusalem». Denn genau wie im Spiel scheidet alle paar Szenen jemand aus dem tödlichen (gut, im Kinderspiel stirbt niemand) Zug aus, der sich wie ein Mikrokosmos durch das moderne Japan schlängelt – halt mit 320 Sachen die Stunde. Das ist für uns Zuschauende spannend, weil die Charaktere keine blassen Abziehbildchen sind, um die sich niemand kümmert. Wer bis zum Schluss noch steht, und was sie an der Endstation erwartet, ist darum tatsächlich eine Frage, die nichts und niemanden in Ruhe lässt.

Was also bleibt, ist ein an sich einfacher und trotzdem ungemein origineller Actionthriller. Nicht nur wegen seines Humors. Sondern, weil je länger je mehr ein doch komplexes Netz aus Doppel-Spielen und Wendungen geknüpft wird. Aber eben: je weniger du weisst…

Fazit: Was soll ich gross sagen? Einfach gucken

Wenn in Locarno das Tessiner Filmfestival eröffnet und um den Pardo d'Oro gebuhlt wird, wird das Hauptaugenmerk von vielen Festivalgänger:innen auf der Piazza Grande liegen. Dort, wo Brad Pitt und David Leitch mit «Bullet Train» das Festival eröffnen.

Gemessen daran ist es beinahe lächerlich, wie wenig ich zum Film zu sagen habe. Zumal er glatt als mein Lieblingsfilm 2022 durchgehen könnte. Vielleicht gefällt er mir ja gerade deswegen so gut. Regisseur David Leitch zelebriert als Ex-Stuntman jeden Stunt und steckt sein gesamtes Action-Know-How in jede einzelne, sorgfältig choreografierte Szene. Dazu gesellen sich hervorragend geschriebene Charaktere und genauso clevere wie lustige Dialoge, unterstützt von einem grossartigen Cast und einer zunächst simplen Story, die sich erst im Nachhinein als komplexer entpuppt, als es zunächst den Anschein hat. Und das aus dem Nichts übertrieben überbordende Finale, das sogar Quentin Tarantino, dem Meister dieses erzählerischen Kniffs, die Schamesröte ins Gesicht schiessen lassen würde, setzt den Deckel obendrauf.

Kurz: Gucken.


«Bullet Train» läuft ab dem 4. August im Kino. Laufzeit: 126 Minuten. Freigegeben ab 16 Jahren.

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