Canon 200-800mm: gute Idee, gut umgesetzt
Abstriche bei der Lichtstärke, dafür leicht und bezahlbar: Das ist die Idee des Supertele-Objektivs Canon RF 200-800mm. Es beschreitet diesen Weg weniger radikal als das ältere 800mm – und ist in fast jeder Hinsicht besser.
Supertele-Objektive sind gross, schwer und teuer. Ganz besonders, wenn sie lichtstark sein sollen. Für Hobbyfotografinnen und -fotografen kommen solche Ungetüme kaum in Frage.
Dass es auch anders geht, hat Canon bereits 2020 bewiesen. Und zwar mit zwei erstaunlich leichten und günstigen Superteles. Insbesondere die Brennweite mit 800 Millimetern ist interessant, da sich damit auch kleine Vögel ablichten lassen. Nachteil: Die Lichtstärke ist mit f/11 bescheiden. Bei diesem Wert zucken viele zusammen. Ich kann aber aus Erfahrung sagen, dass das erstaunlich gut funktioniert.
Seit Anfang 2024 gibt es als Alternative dazu das Canon RF 200-800mm. Leider war es über Monate hinweg kaum lieferbar – darum kommt auch mein Test erst jetzt. Das RF 200-800mm ist ein wenig lichtstärker, aber auch schwerer und teurer als die Festbrennweite. Verglichen mit den Profi-Geschützen ist es jedoch immer noch sehr leicht und bezahlbar.
In diesem Test gehe ich der Frage nach, ob sich der Aufpreis für das RF 200-800mm lohnt – und wenn ja, für wen. Ich kürze die beiden Objektive im Folgenden mit den Bezeichnungen «200-800mm» und «800mm» ab.
Grösse und Gewicht: immer noch tragbar
Das 200-800mm wiegt ziemlich genau zwei Kilogramm. Den Unterschied zum 800mm mit seinen 1260 Gramm merke ich deutlich. Trotzdem kann ich auch das 200-800mm noch freihändig benutzen. Auf die Dauer wird es etwas anstrengend, aber es geht. Das Gewicht ist vergleichbar mit dem von Sonys 200-600mm.
Wie wichtig das Gewicht ist, hängt vom Gebrauch ab. Wer zum Beispiel ein Motorradrennen fotografiert, weiss genau, an welcher Stelle das Motiv auftaucht. Dann lässt sich problemlos ein Stativ verwenden. In der Wildtierfotografie kann man das unter Umständen auch so machen, braucht aber dann viel Geduld, Zeit und Erfahrung. Für mich ist das nichts, ich muss mich frei bewegen können.
Bei der Grösse gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Objektiven. Beide passen problemlos in einen durchschnittlichen Rucksack. Beide sind aber im Gebrauch länger. Das 800mm F11 muss vor jedem Gebrauch ausgefahren werden. Und das 200-800mm verlängert sich mit der Brennweite. Dies etwa im Unterschied zum Sony 200-600mm, das sich beim Zoomen nicht verlängert. Bei 800 Millimetern ist es wie auch im Transport-Zustand etwas grösser als seine preisgünstigere Alternative.
Etwas störend beim Transport ist zudem, dass sich die Stativschelle nicht abnehmen lässt. Das 800mm hat gar keine Stativschelle. Dadurch kann ich keine Stativaufnahmen im Hochformat machen, was mir bislang aber nie gefehlt hat.
Die Lichtstärke: unwesentlicher Vorteil
Grundsätzlich ist eine hohe Lichtstärke bei Superteles aus zwei Gründen ein Vorteil:
- Die Belichtungszeiten müssen meist sehr kurz gehalten werden, was die ISO-Werte in die Höhe treibt. Mit einer hohen Lichtstärke bleiben die ISO-Werte einigermassen im Rahmen – und somit auch das Bildrauschen.
- Der Hintergrund verschwimmt stärker und stört dadurch weniger, das Motiv sticht deutlicher heraus.
Darum ist es grundsätzlich gut, dass du mit dem 200-800mm etwas mehr Lichtstärke bekommst. Allerdings ist der Unterschied zwischen f/9 und f/11 wirklich klein. Er entspricht zwei Drittel Blendenstufen. Wenn du also bei f/11 4000 ISO benötigst, brauchst du bei f/9 2500 ISO. Der Qualitätsunterschied ist nicht allzu gross, ebenso der Unterschied beim Hintergrund.
Übrigens stellt die Automatik sehr oft nicht auf f/9, sondern auf f/10 – vielleicht, weil das Bild durch Abblenden etwas schärfer wird. Dadurch ist der Unterschied noch kleiner. Beim 800mm ist die Blende fix und bleibt somit immer auf f/11.
Bei 600 Millimetern beträgt die Offenblende f/8. Damit verliert das Canon-Objektiv den direkten Vergleich mit dem Sony 200-600mm, das bei der gleichen Brennweite f/6,3 erreicht. Aber auch hier gilt: Der Unterschied ist in der Praxis nicht gross. Zudem: Willst du 800 Millimeter mit dem Sony-Objektiv, brauchst du einen Telekonverter, und damit verlierst du den Vorteil bei der Lichtstärke. Ausserdem sind solche Telekonverter teuer.
Für die Vogelfotografie sind 200 Millimeter mehr Brennweite wichtiger als etwas mehr Lichtstärke. Dazu ein Beispiel. Hier habe ich auf 800 Millimeter herangezoomt. Mit einer APS-C-Kamera – für diesen Bildausschnitt bräuchte es im Vollformat sogar 1200 Millimeter. Selbst das ist noch zu wenig für einen kleinen Vogel oder für einen Bildausschnitt, der nur den Kopf des Reihers und seine Beute zeigt. Die Automatik hat hier auf f/10 abgeblendet, der Hintergrund ist trotzdem genug verschwommen. Die Empfindlichkeit liegt bei 2000 ISO. Das Rauschen habe ich mit der KI-Rauschreduzierung von Lightroom zum Verschwinden gebracht.
Autofokus: klarer Vorteil fürs 200-800mm
Der Fokusmotor des 800mm ist schon ordentlich schnell. Ich komme selbst in der Vogelfotografie damit zurecht. Zudem arbeitet er nahezu lautlos. Das 200-800mm setzt aber noch einen drauf und legt die gleiche Fokusdistanz merklich schneller zurück.
Beachte, dass die Performance stark von der Kamera und der Situation abhängt. Meine Canon EOS R7 ist nicht spitzenmässig. Generell sind aber die Fokussysteme heutiger Kameras so gut, dass sie sich durch die geringe Lichtstärke der beiden Objektive nicht aufhalten lassen.
Im Video oben siehst du ein grosses Quadrat beim günstigeren der beiden Super-Teles. Dies ist der Fokus-Bereich. Befindet sich ein Tier oder sein Auge ausserhalb dieses Quadrates, kann es nicht scharf gestellt werden. Diese Besonderheit des günstigen Objektivs ist gerade in der Wildtierfotografie mit oftmals unvorhersehbaren Bewegungen ein klarer Nachteil.
An einer Kamera mit kleinerem APS-C-Sensor ist das Problem weniger gravierend als bei einer Vollformatkamera. Wie du im Video siehst, deckt das Quadrat einen grossen Teil des Sucherbilds ab. An einer Vollformatkamera wie der EOS R5 hingegen wird der fokussierbare Bereich deutlich kleiner.
Das 200-800mm ist vielseitiger
Der Vorteil ist schon aus dem Namen des Objektivs ersichtlich: Das 200-800mm ist ein Zoom-Objektiv und damit vielseitiger einsetzbar als die 800mm-Festbrennweite. Vereinfacht gesagt, kannst du damit nicht nur Meisen, sondern auch Schwäne fotografieren.
Fast noch wichtiger finde ich die viel kürzere Naheinstellgrenze. Bei 200 Millimetern kann ich alles ab 80 cm Distanz scharf stellen, bei 800 Millimetern alles ab 3,3 Meter. Beim 800mm F11 brauche ich mindestens 6 Meter Abstand. Das ist so viel, dass ein Vogel von der Grösse eines Sperlings nicht einmal bei APS-C das ganze Bild ausfüllt.
Bildstabilisator: theoretisch besser, gefühlt gleich
Auf dem Papier stabilisiert das 200-800mm-Objektiv besser. Bis zu 5,5 Belichtungsstufen soll es kompensieren, das 800mm F11 nur 4 Stufen. In beiden Fällen spielt es keine Rolle, ob die Kamera ebenfalls einen Bildstabilisator hat oder nicht.
Im Alltag merke ich keinen Unterschied. Wahrscheinlich ist meine Hand mit dem leichteren Objektiv ruhiger, so dass sich die geringere Leistung des Stabilisators ausgleicht. Ohnehin finde ich bei Superteles den genauen Wert der Stabilisierung nicht so wichtig. Ich brauche den Bildstabilisator nur, um das Motiv besser im Sucher zu behalten. Für das Foto sind die Verschlusszeiten so kurz, dass ich keinen Stabilisator brauche. Ruhige Videos aus der freien Hand sind mit 800 Millimeter Brennweite sowieso unmöglich.
Bildqualität: beide sind okay
Zuerst ein kleiner Disclaimer: Mit meiner APS-C-Kamera Canon EOS R7 kann ich die Bildqualität nicht vollständig testen. Denn der Sensor der R7 zeigt nur einen Teil des Bildkreises, den das Objektiv belichten könnte. Ich weiss somit nicht, was die Objektive am Bildrand einer Vollformatkamera leisten.
Mir ist noch nie eine Schwäche bei der Optik des 800mm F11 aufgefallen. Wenn ich jedoch eine gleichmässige Fläche zum Test fotografiere, erkenne ich beim 800mm-Objektiv eine leichte Vignettierung. Beim 200-800mm sehe ich nichts. Verzeichnungen weisen beide Objektive nur minimal auf. Beides lässt sich problemlos per Software korrigieren.
Das 200-800mm scheint mir ein Ticken schärfer. Selbst mit der nicht ganz perfekten Empfindlichkeit von 800 ISO wie im Beispiel unten.
Fazit
Preis, Leistung und Gewicht in guter Balance
Das Canon 200-800mm ist ideal für die Vogelfotografie mit leichtem Gepäck. Es kann aber dank seiner Vielseitigkeit auch für anderes verwendet werden. Die Lichtstärke ist mittelmässig, aber dafür bekommst du extrem viel Brennweite zu einem moderaten Preis und mit einem akzeptablen Gewicht. Mit seinen zwei Kilogramm lässt sich das Objektiv problemlos aus der freien Hand verwenden – das ist nicht selbstverständlich bei dieser Brennweite.
Der Autofokus ist sehr schnell und leise, die Bildqualität einwandfrei. Zu bemängeln gibt es nur Kleinigkeiten: Die Stativschelle lässt sich nicht abnehmen und das Objektiv verlängert sich beim Zoomen – im Unterschied zum ansonsten ähnlichen Sony 200-600mm.
Im Vergleich mit dem Canon 800mm F11 ist dieses Objektiv zwar teurer und schwerer, ansonsten aber durchs Band besser. Die Lichtstärke ist dabei noch der kleinste Vorteil. Viel bedeutender ist die wesentlich kürzere Mindestdistanz und dass der Autofokus nicht auf die Bildmitte beschränkt bleibt. Diese beiden Punkte sind vor allem an einer Vollformatkamera wesentlich. Dort würde ich das 200-800mm klar vorziehen. Bei einer APS-C-Kamera wie der Canon EOS R7 hat auch das günstigere 800mm F11 seine Berechtigung.
Pro
- guter Kompromiss zwischen Gewicht, Preis und Lichtstärke
- kurze Naheinstellgrenze
- schneller Autofokus
- Bildqualität
Contra
- Stativschelle nicht abnehmbar
- Verlängerung beim Zoomen
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.