Darum fasst du dir so oft ins Gesicht
Wie fast alle berührst auch du dein Gesicht wahrscheinlich öfter, als du denkst – und das aus gutem Grund. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass diese scheinbar belanglose Geste eine wichtige Rolle für unsere Psyche spielen kann.
Hast du dich schon einmal ertappt, wie du gedankenverloren an deiner Nase kratzt, deine Augen reibst oder mit deinen Haaren spielst? Falls ja, dann bist du damit nicht allein. Tatsächlich berühren wir unser Gesicht häufiger, als uns bewusst ist – und das aus gutem Grund, wie die Wissenschaft herausfand.
So oft fassen wir uns ins Gesicht
Stell dir vor, du würdest dein Gesicht 800 Mal am Tag berühren. Klingt übertrieben oft? War aber das Ergebnis einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2020. In der Hochphase der Corona-Pandemie wurde das Phänomen der unbewussten Gesichtsberührungen aus Hygienegründen untersucht. Schließlich birgt jede dieser Berührungen auch ein Infektionsrisiko. Und so wurden Daten erhoben, um Leitlinien für das öffentliche Gesundheitswesen zu erstellen. Das Ergebnis: 50 Mal pro Stunde berühren wir uns durchschnittlich selbst im Gesicht. Das summiert sich auf erstaunliche 800 Berührungen täglich. Manche der Berührungen haben einen offensichtlichen Zweck, etwa wenn du eine juckende Stelle kratzt oder deine Frisur zurechtrückst. Diese bewussten Berührungen machen aber nur einen kleinen Teil aus. Meistens fasst du dir ohne ersichtlichen Grund ins Gesicht – sinnvoll sind diese Berührungen aber trotzdem.
Darum haben die Gesichtsberührungen einen Nutzen
Die unbewussten Berührungen sind mehr als nur eine lästige Angewohnheit: Tatsächlich könnten sie eine wichtige Rolle dabei spielen, Stress abzubauen und das emotionale Gleichgewicht zu stärken. Forschende haben bereits nachgewiesen, dass Berührungen im Allgemeinen gesundheitsfördernd wirken können. Sie lindern nicht nur Ängste und Traurigkeit, sondern auch Schmerzen und hohen Blutdruck. Allerdings konzentrierten sich die meisten dieser Studien auf den Hautkontakt mit anderen Menschen, etwa in Form von Massagen oder Umarmungen.
Auch eigene Berührungen können trösten
Um herauszufinden, ob Selbstberührungen ähnliche Effekte haben können, führte ein Team um den Sozialpsychologen Aljoscha Dreisörner ein Experiment durch. Sie setzten 159 Erwachsene einer stressigen Situation aus: Sie sollten eine spontane Rede halten und anschließend vor Publikum Kopfrechenaufgaben lösen. Die Teilnehmenden wurden in drei Gruppen eingeteilt.
Eine Gruppe erhielt vor der Aufgabe eine 20-sekündige Umarmung von einer anderen Person. Eine zweite Gruppe wurde gebeten, sich selbst für 20 Sekunden zu berühren, zum Beispiel indem sie ihre eigene Wange streichelten. Die dritte Gruppe blieb völlig unberührt.
Während des Experiments maßen die Forschenden wiederholt den Cortisolspiegel im Speichel der Probanden. Das Ergebnis war überraschend: Sowohl diejenigen, die umarmt worden waren, als auch jene, die sich selbst berührt hatten, zeigten einen geringeren Anstieg des Cortisolspiegels. Offenbar dämpften sowohl Fremd- als auch Selbstberührungen die körperliche Stressreaktion.
Die besondere Rolle des Gesichts
Obwohl diese Studie die positive Wirkung von Selbstberührungen zeigte, blieb zunächst unklar, welche besondere Rolle das Gesicht dabei spielt. Schließlich hatten einige Teilnehmende auch ihre Arme gestreichelt oder ihre Hände auf die Brust gelegt. Eine 2019 veröffentlichte Studie lieferte jedoch weitere Erkenntnisse. Sie zeigte, dass unsere Finger besonders häufig in emotional oder kognitiv anspruchsvollen Momenten zum Gesicht wandern. Dies könnte uns helfen, die jeweiligen Aufgaben besser zu bewältigen.
Ein Blick ins Gehirn
Um tiefer in die Mechanismen der Gesichtsberührungen einzutauchen, führte ein Team von der Universität Leipzig im Jahr 2014 eine kleine aber aufschlussreiche Studie durch. Sie zeichneten mit Elektroenzephalographie (EEG) die Hirnströme von 14 Probanden auf, während diese sich etwas merken sollten – und das, obwohl sie durch laute Umgebungsgeräusche abgelenkt wurden.
Das Ergebnis: Die EEG-Muster, die mit dem unbewussten Griff ins Gesicht verbunden waren, deuteten auf eine Form der Selbstregulation hin. Diese half den Teilnehmenden, sich trotz der schwierigen Bedingungen zu konzentrieren. Interessanterweise trat dieses Muster nicht auf, wenn die Probanden angewiesen wurden, ihr Gesicht zu berühren. Die Spontanität war entscheidend.
Eine unterschätzte Selbsthilfestrategie
Obwohl die Forschung zu Selbstberührungen noch in den Kinderschuhen steckt, deuten die bisherigen Erkenntnisse darauf hin, dass das Berühren des eigenen Gesichts tatsächlich Stress lindern kann. Es scheint, als hätten wir eine natürliche Selbsthilfestrategie buchstäblich in unseren eigenen Händen.
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.