Ein Komma am falschen Ort und schon wirst du zum Mörder. Wieso scheitern selbst gestandene Schreibprofis am unscheinbaren Satzzeichen? Ein verzweifelter Hilfeschrei.
Eben erst habe ich mich von einer üblen Magen-Darm-Grippe erholt und schon spüre ich wieder einen Würgereiz. Auf der Galaxus-Seite bin ich über die Überschrift eines Artikels zum Thema Nachhaltigkeit gestolpert, mit dem treffenden Titel «Gekommen um zu bleiben». Nein, mich nervt nicht die Nachhaltigkeit. Im Gegenteil, ich bin selbst Fan von Zero Food Waste, richtigem Kompostieren und nachhaltiger Haushaltsführung. Mich stört hingegen, dass in einer Überschrift, die vier mickrige Wörter umfasst, ein derart grobfahrlässiger Kommafehler passieren kann, der weder dem Autor noch dem Korrektorat aufgefallen ist. Genervt klicke ich auf den Artikel, um zu sehen, aus welcher Edelfeder dieser Dolchstoss direkt durch mein Grammatikherz stammt: Martin Jungfer, Head of Content. Jesus f***ing Christ, wo hast du denn Deutsch gelernt? Weshalb ich mich wegen eines so kleinen Satzzeichens derart echauffiere, meinen Vorgesetzten öffentlich an den Pranger stelle und damit gar meinen Job riskiere? Die Antworten auf diese Fragen sind kompliziert. Und gleichzeitig liefern sie einen intimen Einblick in die ungewöhnlichen Gedankengänge eines Kommafetischisten.
Komma
Wie viele Kommafehler findest du in diesem Satz? «Zum einen findet Raphael Hunde toll zum anderen liebt er es Katzen zu streicheln – egal ob kleine oder grosse.»
Keinen, da stimmt alles.
2%
Einen, aber nur einen ganz kleinen.
21%
Zwei, sonst wären sie alleine.
47%
Drei, denn das sind aller guten Dinge.
30%
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Ohne dich kann ich nicht sein
Immer wenn ich Texte lese, passiert es mir: Ich suche fehlende Kommas. Oder Kommata? Der Duden sagt, beides ist möglich. Egal, zurück zum Elefanten im Raum. Überall scannt mein Verstand Texte verbissen auf fehlende Kommas. Auf Speisekarten, in Bedienungsanleitungen oder in Romanen von Thomas Mann. «Da fehlt doch irgendwo ein Komma», merke ich in Gedanken an. Aber da fehlt nichts.
«Das Komma ist ein Gliederungszeichen. Es wird im Deutschen in erster Linie nach grammatischen Gesichtspunkten gesetzt», so ist es im Duden nachzulesen.
«Zeichen in Form eines kleinen geschwungenen Strichs, mit dem Sätze oder Satzteile voneinander getrennt oder bei der Ziffernschreibung die Dezimalstellen abgetrennt werden», sagt Oxford Languages. «Das Komma (von altgriechisch κόμμα kómma, deutsch‚ Einschnitt, Abschnitt, Glied eines Satzes‘;[1] Pl. Kommata oder auch Kommas) wird als Satzzeichen und Trennzeichen verwendet. Als Satzzeichen wird es besonders in Österreich und Südtirol auch Beistrich genannt. Als Trennzeichen wird das Komma in vielen Ländern als Dezimaltrennzeichen bei Zahlen oder beim Separieren von Daten und Werten benutzt. Das Komma bewirkt eine schwächere Trennung als das Semikolon und der Punkt», führt Wikipedia gewohnt eloquent und überschwänglich aus.
Sogar die Erklärungen, was ein Komma ist und macht, werden der Wichtigkeit dieses Satzzeichens in keiner Weise gerecht. Sie lenken davon ab, indem sie auf dessen Funktion als Trennzeichen bei Zahlen oder als Separierung bei Daten und Werten eingehen. Aus meiner Sicht ist das Komma aber viel mehr. Es ist wichtiger als ein Punkt, Ausrufe- oder Fragezeichen. Denn diese Satzzeichen sind logisch: Der Satz ist zu Ende, also folgt ein Schlusspunkt. Die Frage ist gestellt, also folgt ein Fragezeichen. Der Ausruf ist gemacht, also folgt ein Ausrufezeichen. Doch das Komma ist die Königsdisziplin. Die Champions League der Satzzeichen, sozusagen. Es verbindet Sätze. Es erweitert und verschachtelt sie. An der richtigen Stelle gesetzt, kann es Leben retten. Oder auslöschen.
«Da fehlt trotzdem immer noch irgendwo ein Komma», denke ich mir. Nein, liebes Gehirn, da fehlt wirklich kein Komma. Aber mir scheint etwas zu fehlen. Es ist wie eine Krankheit und sie lässt mich nicht mehr los.
Keiner zu klein, um wichtig zu sein
Kommas sind, wie alle anderen Satzzeichen, essenziell fürs einwandfreie Verständnis und den Lesefluss eines Textes. Weshalb können es dennoch die Wenigsten fehlerfrei anwenden? Ich weiss es nicht. Ich hatte weder eine spezielle Kommaschulung noch irgendwelche Weiterbildungen auf diesem Gebiet. Beim Schreiben und Lesen merke ich dennoch, sobald ein Komma fehlt. Ich spüre es einfach, kann es aber nicht erklären. Bereits beim Überfliegen eines Textes sticht mir ein Kommafehler sofort ins Auge. Anscheinend passiert bei vielen – egal, ob Profi oder Neuling – genau das Gegenteil: nämlich gar nichts. Da stehen Sätze, über mehrere Zeilen und verschachtelter als eine Matrjoschka, aber gänzlich ohne Kommas. Wie geht das? Wie kann einem so etwas nicht auffallen? Lesen diese Leute ihre selbst geschriebenen Worte nicht noch einmal durch? Oder gilt für sie in solch einem Fall das «Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss»-Prinzip? Das ist dann die Aufgabe des Korrektorats, denken viele. Wenn dort aber die gleiche Komma-Null sitzt, wie diejenige, die den Text verfasst hat, dann ist jede Hoffnung verloren.
Passiert das beim eigenen Text, kann ich es gerade noch so nachvollziehen. Verstehen oder akzeptieren werde ich es nicht, nein. Aber ich sehe, wieso es allenfalls möglich ist, beim selbst geschriebenen Wort ausnahmsweise das eine oder andere fehlende Komma nicht zu vermissen. Denn als Autor weiss ich, was ich schreiben will und kenne die Bedeutung der Sätze, wie auch diejenige ihrer Nebensätze. Ich weiss also, ob ich jemanden töten will oder nicht:
Töte ihn, nicht freilassen!
Töte ihn nicht, freilassen!
Ich selbst kann dir nicht immer erörtern, weshalb aus grammatikalischer Sicht jetzt genau da oder dort ein Komma hingehört. Ich kenne die Kommaregeln weder auswendig, noch habe ich ein entsprechendes Regelbuch griffbereit. Daher sollte ich eigentlich keine so grossen Töne spucken. Wer selbst im Glashaus sitzt… und so weiter. Trotzdem kann ich es mir nicht verkneifen. Einen Sachverhalt anderen nicht verständlich erklären zu können, ist zwar bedauernswert, aber nur eine Seite der Medaille. Die Sache aber immerhin selbst zu beherrschen, das wäre dann die andere. Und ich behaupte – egal, ob das jetzt überheblich klingt oder nicht –, dass ich die Kommasetzung mehr als nur gut kann. Es ist sehr, sehr lange her, dass ich selbst oder jemand anders in einem meiner Texte ein Komma streichen oder eines hinzufügen musste.
Ohne dich komm' ich heut' nicht zur Ruh
Anscheinend spielen ausgerechnet für viele, die mit dem geschriebenen Wort ihre Brötchen verdienen, korrekt gesetzte Kommas – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Lieber noch einen peppigen Satz einbauen, ein tolles Sprachbild hineinzwirbeln, das Ende offen lassen, den Leser direkt adressieren, Grundsätzliches hinterfragen und viele grammatikalische Fehler streuen, als etwas mehr Zeit für die Interpunktion aufzuwenden. Worte sind Trumpf, Satzzeichen reine Hilfsmittel. Das mag stimmen. Ich kann einen Text schreiben, ohne Satzzeichen zu verwenden, und er wäre noch einigermassen verständlich. Aber ich kann keinen Text schreiben, nur mit Satzzeichen und ohne Worte. Dass Worte wichtiger sind als Satzzeichen, ist klar. Aber, es ist wie so oft im Leben: Wo die richtigen Zutaten zusammenkommen, entsteht das Neue, das Bessere. Weise gewählte Worte und korrekt gesetzte Kommas lassen die Autorin in den sprachlichen Olymp aufsteigen. Und dennoch lese ich wöchentlich Texte, die mich am Ausbildungsstandard von Textern zweifeln lassen. Satzzeichen sind bei vielen so beliebt wie die Steuern: Sie müssen zahlen, wollen jedoch nicht verstehen, wofür, beklagen sich aber dennoch deswegen. Würden sie sich die Mühe machen und die Zeit nehmen, hinter das ganze Konstrukt zu schauen, dann sähen sie, dass tatsächlich ein tieferer Sinn dahinter steckt. Doch Ignoranz und Rage sind eben effektiver, simpler und trendiger. So vom Bauchgefühl her würde ich vermuten, dass diese Grundhaltung auf gut 99 Prozent der Angesprochenen zutrifft.
Doch ich bin das eine Prozent, denn ich bin anders. Eine Thematik kann mich noch so brennend interessieren, ein Text noch so fesselnd verfasst sein und eine Geschichte noch so viele unerwartete Wendungen nehmen: Wenn da auch nur ein einziger Kommafehler ist, bin ich raus. Ich steige aus dem Artikel aus, verliere jeglichen Respekt vor dem Verfasser und schicke ihn gedanklich – meist auch akustisch – zurück in den Deutschunterricht. Das Traurige ist, dass die meisten, denen ich die besagte Schulbank im übertragenen Sinne an den Kopf werfe, schon sehr lange und intensiv daran gearbeitet haben, sich kommatechnisch zu verbessern. Noch schlimmer ist, dass viele davon die Sprache ihr Werkzeug und das Texten ihr Können nennen.
Keine Kommas sind auch keine Lösung
Du solltest die Finger vom Schreiben lassen, wenn du nicht weisst, wie Kommas richtig zu setzen sind. Was bringt es, wenn du eine weisse Leinwand so schön mit Farben bemalen könntest, dass ein wahres Kunstwerk entstünde, aber nicht weisst, wie du den Pinsel richtig halten musst? Du bist im Metier ausgebildet worden, hast bei Verlagen gearbeitet, Magazine mit Texten gefüllt, Online-Redaktionen geleitet, dein halbes Leben der Sprache gewidmet und kannst trotzdem keine Kommas setzen? Dann ist dir irgendwo ein ganz, ganz böser Fehler unterlaufen, du bist falsch abgebogen oder hast zu lange am falschen Fenster gesessen.
Wie willst du mich mit Worten bewegen, wenn du sie nicht einmal korrekt verschachteln oder miteinander verbinden kannst? Wie willst du mich überzeugen, wenn deine Argumente auf wackeligem Fundament stehen? Und wieso sollte ich deinen Worten Glauben schenken, wenn mich fehlende Satzzeichen daran zweifeln lassen, dass du aneinandergereihte Buchstaben überhaupt verstehst? Für mich ist es der verzweifelte Versuch, mit geschwollenem Text darüber hinwegzutäuschen, dass du eine der Grundlagen der deutschen Sprache nicht beherrschst, missachtest und willentlich ausser Acht lässt.
Kannst du es nicht, dann lerne es zu verstehen. Willst du es nicht verstehen, dann lasse es von jemanden prüfen, der es kann und will. Ist dir das zu viel, dann lasse es sein.
Das, was ich will, bist du
Ich hasse es, dass mich ein Kommafehler derart echauffiert. Dass er mich alles andere vergessen lässt. Ich verabscheue es, dass Texte in mir einen Würgereiz auslösen, so schön sie auch geschrieben sein mögen, wenn da nur ein Komma falsch oder nicht gesetzt worden ist. Ich traue mich inzwischen kaum mehr, in einem Magazin zu blättern, wenn ich weiss, dass irgendwo ein Kommafehler lauern könnte, den ich nicht sofort korrigieren kann. Und ich kämpfe mit mir selbst, dass ich Personen, die die Kommaregeln nicht beherrschen, nicht mehr ernst nehmen kann. Es zerfrisst mich, dass der Mensch hinter dem mit Kommafehlern bestückten Text dadurch in meinen Augen plötzlich ein ganz anderer wird. Obschon ich grundsätzlich jemand bin, der allen eine zweite oder sogar dritte Chance gibt.
Ich hasse dich, Komma.
Gleichzeitig bin ich stolz darauf, dass ich weiss, wo ein Komma zu stehen hat. Ich bin froh darüber, dass in meinen Texten die Sätze zumindest grammatikalisch einen Sinn ergeben. Weil die Trennung korrekt ist, weil die Interpunktion stimmt. Ich lächle verschmitzt, wenn ich selbst gerade ein kompliziertes Satzkonstrukt mit einwandfreier Kommasetzung verfasst habe. Und ich werde verlegen, wenn ich User-Kommentare lesen darf, die mich unter einem aufwändig produzierten Text ausschliesslich für die vorbildliche Anwendung der Kommaregeln loben.
Ich liebe dich, Komma.
Das Komma ist die Antwort
Nun bin ich nur noch die Lösung der eingangs gestellten Frage schuldig. Im besagten Satz fehlen zwei Kommas. Ein weiteres kann, muss aber nicht gesetzt werden – dasjenige nach «egal». Der korrekte Satz lautet folglich: «Zum einen findet Raphael Hunde toll, zum anderen liebt er es, Katzen zu streicheln – egal(,) ob kleine oder grosse.»
Selbstverständlich ist dieser Text sorgfältig und mehrmals auf mögliche Fehler geprüft worden. Denn was wäre peinlicher, als sich in X-tausend Zeichen über falsche Kommas aufzuregen und dann in ebenjener Wutrede genau dieses Malheur selbst zu begehen. Trotzdem: Es gibt keine Garantien. Hast du also einen Kommafehler gefunden, dann ab damit in die Kommentare! Ich werde sie alle in einem Video auf Instagram gestehen und mich selbst geisseln.
Titelbild: Klein und unscheinbar, aber umso wichtiger: das Komma und dessen korrekte Anwendung. Bildquelle: David Lee
Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.