Das sagt die Frauenärztin zur «natürlichen Familienplanung»
Die Frauenwelt hat das hormonelle Verhüten satt. So scheint es zumindest. Besonders die «natürliche Familienplanung» begegnet mir immer häufiger – auch online in Form von bezahlter Influencer-Werbung. Ich bin skeptisch und frage bei der Expertin nach.
Mit einem strahlenden Lächeln strecken sie ihre Zyklustracker, -computer, -Apps und Basalthermometer in die Kameras. Es sind junge Influencerinnen, die ihren Followern von ihren positiven Erfahrungen mit der sogenannten «natürlichen Familienplanung» – kurz NFP – erzählen. Bezahlte Werbung, die mich stutzig macht. Ihre Begeisterung für hormonfreie Verhütung teile ich, dennoch informiere ich mich nur ungern über «Sponsored Contents». Im Interview mit der Gynäkologin Dr. Mariele Keller möchte ich herausfinden: Wie riskant ist diese Methode und für wen eignet sie sich überhaupt?
Dr. Keller, nach welchem Grundprinzip funktioniert die natürliche Familienplanung?
Dr. med Mariele Keller, Spezialärztin FMH für Gynäkologie und Geburtshilfe:
Die Grundlage für die natürliche Familienplanung ist der weibliche Zyklus mit seinen «fruchtbaren» und «unfruchtbaren» Tagen. Im Prinzip geht es darum, während der fruchtbaren Tage auf Sexpraktiken zu verzichten, die mit einem Schwangerschaftsrisiko verbunden sind oder Barrieremethoden wie Kondome oder Diaphragmen zu verwenden. Der Zyklus dauert durchschnittlich 28 Tage. Davon ist frau an nur fünf bis sieben Tagen fruchtbar. Die Herausforderung besteht also darin, diese fruchtbaren respektive unfruchtbaren Tage möglichst genau zu bestimmen. Ausserdem ist es wichtig, in die Berechnungen miteinzubeziehen, dass Spermien eine Lebensdauer und Befruchtungsfähigkeit von bis zu fünf Tagen haben.
Ist der Ausdruck «natürliche Familienplanung» gleichzusetzen mit der «symptothermalen Methode»?
Ich würde «natürliche Familienplanung» als Oberbegriff ansehen. Ihr lassen sich verschiedene Methoden zuordnen, die sich dadurch unterscheiden, wie die fruchtbaren Tage ermittelt werden. Die symptothermale Methode ist die beste und sicherste. Bei ihr werden die Beobachtung der morgendlichen Aufwachtemperatur, auch Basaltemperatur genannt, und die des Zervixschleims miteinander kombiniert. Eine weitere ist die «Billings-Methode». Sie beschränkt sich lediglich auf die Schleimbeobachtung. Es gibt auch Frauen, die nur auf die Temperaturveränderungen achten. Eine äusserst unsichere Methode ist die «Knaus-Ogino-Methode», bei der die fruchtbaren Tage nur anhand der Zykluslänge berechnet werden.
Inwiefern spielen die Basaltemperatur und die Schleimbeobachtung in der symptothermalen Methode eine Rolle?
In der zweiten Zyklushälfte, also nach dem Eisprung, ist die Basaltemperatur um zwei bis fünf Zehntel Grad Celsius höher als in der ersten Zyklushälfte. Die Temperatur wird also jeden Morgen mit einem Fieberthermometer gemessen und aufgezeichnet – entweder per Hand in einem Diagramm oder in entsprechenden Apps. Gemessen wird unter der Zunge, in der Vagina oder im Darm.
Ist die Temperatur an drei aufeinanderfolgenden Tagen erhöht, ist das ein Zeichen dafür, dass der Eisprung stattgefunden hat. Danach beginnen die unfruchtbaren Tage, an denen das Paar auf zusätzliche Verhütungsmittel verzichten kann. Viel schwieriger ist es, vor dem Eisprung festzulegen, wann die fruchtbaren Tage beginnen. Am sichersten ist es, erst nach dem Eisprung auf zusätzliche Verhütung zu verzichten. Nur wer einen sehr regelmässigen Zyklus hat, kann errechnen, bis wann in der ersten Zyklushälfte ungeschützter Sex möglich ist.
Zur symptothermalen Methode gehört auch das Beobachten des Zervixschleims am Scheideneingang oder Muttermund. Denn der verändert sich um den Eisprung herum. Viele Frauen stellen fest, dass sie dann mehr Schleim absondern und der Schleim lange Fäden zieht, weil er für die Spermien durchlässig wird. Vor und nach dem Eisprung ist er hingegen fest und wirkt als natürliche Barriere. Mit der zusätzlichen Schleimbeobachtung lässt sich die Sicherheit erhöhen, dass es sich bei der gemessenen Temperaturerhöhung wirklich um den Eisprung handelt.
Eignet sich die NFP in Ihren Augen für das Verhindern wie auch Herbeiführen einer gewollten Schwangerschaft gleich gut?
Da die natürliche Familienplanung auf der Bestimmung der fruchtbaren oder unfruchtbaren Tage beruht, stimmt es, dass man sie genauso gut zur Verhütung wie auch zur Schwangerschaftsplanung einsetzen kann. Im einen Fall verzichtet man während der fruchtbaren Tage auf Sex oder verhütet zusätzlich, im umgekehrten Fall kann man versuchen, gezielt an diesen Tagen Sex zu haben.
Welchen Pearl-Index hat die NFP und mit welchen anderen hormonfreien Verhütungsmethoden lässt sie sich anhand dessen vergleichen?
Die natürliche Familienplanung ist schwierig per Pearl-Index zu messen. Die Zuverlässigkeit ist sehr stark davon abhängig, wie genau und konsequent welche Methode angewendet wird. Bei gut geschulter Anwendung liegt der Pearl-Index der symptothermalen Methode bei 0.4. Bei durchschnittlicher Anwendung hingegen bei 1.8. Zum Vergleich: Der Pearl-Index des Kondoms liegt bei guter Anwendung bei 2, steigt bei durschnittlicher Anwendung jedoch hoch bis zu 12. Die effizienteste hormonfreie Verhütung leistet die Kupferspirale mit einem Pearl-Index von 0.3 bis 0.8.
Wie zuverlässig sind Zykluscomputer im Vergleich zur selbstständigen Beurteilung, in welcher Zyklusphase frau sich gerade befindet?
Apps oder Zykluscomputer vereinfachen es, die Temperaturkurven und Schleimbeobachtungen einzutragen. Sie ersetzen aber nicht, sich mit der Methode gut auszukennen, selbst Verantwortung für die Interpretation der Daten zu übernehmen und kritisch zu sein.
Für wen eignet sich die natürliche Familienplanung in Ihren Augen?
Die Methode eignet sich gut für Frauen mit einem stabilen, regelmässigen Zyklus. Auch setzt sie die Mitverantwortung des Partners voraus, da während den fruchtbaren Tagen entweder Barrieremethoden eingesetzt oder schwangerschaftsriskante Sexualpraktiken vermieden werden müssen. Eine stabile Partnerschaft mit beiderseitiger Disziplin und Lernbereitschaft, sich mit den Körpervorgängen über eine längere Zeit auseinanderzusetzen, ist von Vorteil.
Gibt es Lebensumstände, die die Methode beeinträchtigen?
Ungeeignet ist die Methode für Frauen, die gerade eine Geburt hinter sich haben, in der Pubertät oder der Menopause stecken oder sehr unregelmässige Zyklen respektive selten einen Eisprung haben. Auch für Frauen mit sehr unregelmässigen Lebensrhythmen, verursacht durch zum Beispiel Schichtarbeit, sehr kurze Nächte oder viele Reisen, ist die Methode eher nicht zu empfehlen. Stress oder Erkrankungen können zu Zyklusstörungen und fehlerhaften Beurteilungen führen.
Welche Vorteile bringt die Methode mit sich?
Die Vorteile der Methode sehe ich klar darin, dass sich Frauen stärker mit ihrem Körper auseinandersetzen. Die Methode hat, solange es nicht zu einer unerwünschten Schwangerschaft kommt, keine Nebenwirkungen und ist äusserst preisgünstig, solange man keinen Auswertungscomputer kauft.
Und wie steht es um die Risiken?
Das grösste Risiko besteht meiner Meinung nach darin, dass man die unfruchtbaren Tage zu grosszügig einschätzt und es so zu einer unerwünschten Schwangerschaft kommt. Eine sinnvolle Schulungszeit wird auf etwa drei Monate geschätzt – das entspricht drei Zyklen. Das ist zwar ziemlich lang, aber realistisch. Auch kann es zu einer Belastung in der Partnerschaft kommen, wenn nie klar ist, ob und wann ein Eisprung stattgefunden hat. Ganz wichtig: Die symptothermale Methode bietet keinen Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten.
Haben Sie als Ärztin auch den Eindruck, dass das Thema vermehrt Anklang findet oder beschränkt sich das Phänomen auf meine Bubble?
Ich stelle fest, dass bei meinen Patientinnen allgemein das Interesse an hormonfreier Verhütung steigt. Vor allem die Nachfrage nach der Kupferspirale. Immer mehr Frauen empfinden die tägliche Hormoneinnahme als Fremdsteuerung und schreiben ihr viele Nebenwirkungen wie eine deprimierte Stimmungslage, Libidoverlust, Gewichtszunahme und ICH-Verlust zu. Es besteht vermehrt der Wunsch, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Eine typische Zielgruppe für die Methode sind Frauen in einer festen Partnerschaft, die kurz- oder mittelfristig Familienpläne haben oder Frauen, die unter Nebenwirkungen der hormonellen Kontrazeption leiden.
Welches Vorgehen empfehlen Sie Frauen, die mit dem Gedanken spielen, auf die NFP umzusteigen?
Das Internet bietet zwar viele Informationen, das persönliche Gespräch mit der Frauenärztin ersetzt es aber nicht. Auch der Austausch mit anderen seriösen AnwenderInnen ist sehr hilfreich und unterstützend.
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.