
Hintergrund
Vom Höhlenmensch zur Lichtermeer-Bewohnerin: Ich habe renoviert
von Debora Pape
Die Grafik glitcht, der Browser crasht und ich frage mich, was zur Hölle ich eigentlich in dieser verpixelten 3D-Welt im 1990er-Jahre-Look zu suchen habe. Mit Mode hat der Event im Decentraland meiner Meinung nach wenig zu tun.
Ich stehe in der ersten Reihe der Runway-Show von Dolce & Gabbana. Die fluoreszierenden Flügel meines Nachbarn flattern mir um die Ohren, andere Front-Row-Gspänli haben knallpinke Röhrenfernseher statt Köpfe und tragen Kleider, die aussehen wie dahingeschmolzene Regenbogen.
Es ist der 24. März und ich bin zu Besuch am Eröffnungs-Catwalk der ersten Fashion Week im Metaverse. Während vier Tagen sollen hier frei zugänglich für die ganze Welt Modeschauen, Panel-Talks und Shop-Eröffnungen stattfinden. Mit dabei sind unter anderem grosse Namen wie Tommy Hilfiger und Paco Rabanne, die Fast-Fashion-Brands Mango und Forever 21 sowie Auroboros und The Fabricant, Pioniere des rein digitalen Textilhandwerks.
Die Metaverse Fashion Week (MVFW) findet in der Browser-basierten 3D-Welt Decentraland statt, die so aussieht, als sei sie Teil eines Videospiels aus den späten 1990ern. Dass ich die Grafik des Cyber-Universums auf die niedrigste Qualität einstellen muss, um mein schwer schnaufendes Macbook Air zu beruhigen, lässt die virtuelle Umgebung noch rudimentärer aussehen.
Die Meta-Modewoche wirbt mit Barrierefreiheit, doch ohne Grafik- und Speicherkarte mit Hochleistung ist der Abstecher dorthin vor allem nervenaufreibend. Während meines Anmeldeversuchs als Gast (für einen richtigen Account brauchst du ein Krypto-Wallet) gibt mein zweijähriger Laptop glucksende Geräusche von sich, die ich noch nie zuvor von ihm gehört habe. Ich versuche, der erstarrten Ladeanzeige mit dem Aktualisieren-Button einen Ruck zu geben, starte dann erst meinen Browser neu und nach einem weiteren Login Fail gleich das ganze Gerät. Dann nochmal von vorne.
Nach einer Stunde versuchen und scheitern fühle ich mich wie Sisyphus, bin jedoch endlich drin. Meine Kollegin Laura wirft derweil das Handtuch. Ihr elfjähriges Macbook darf wohl einfach nicht in dieses Decentraland eintauchen – und mir vergeht langsam die Lust. Nun gut, ich erstelle trotzdem meinen Avatar. Viel Auswahl gibt es ohne Krypto-Cash ohnehin nicht und ich akzeptiere mein Schicksal, mich in meinem Gratis-Outfit bei Decentraland-Stammgästen unmittelbar als kompletter Noob zu outen.
Hier herrschen übrigens Brandy-Melville-artige Zustände. Es gilt: One size fits all – solange du der Konfektionsgrösse XS oder S entsprichst. An der Körperform deines Avatars kannst du nichts ändern, dementsprechend gibt es im Decentraland nur dünne Figuren. Soviel zur Grenzenlosigkeit und Inklusivität des Metaverse.
Meinen Avatar beame ich als erstes zu einer Ausstellung von Designer Paco Rabanne und Künstler Victor Vasarely. Dort navigiere ich mich mit mangelnder virtueller Koordination durch ein verwinkeltes Museum-Setting. Die Grafik glitcht, der Browser crasht und die Sichtfeld-Steuerung via Touchpad ist so mühselig, dass ich mir sehnlichst wünsche, mich ohne Meta-Tamtam durch eine Instagram-Bildstrecke mit anständiger Auflösung klicken zu können.
Als nächstes reise ich ins Crypto Valley, wo laut Programm der Eröffnungs-Talk stattfindet. Einen Hinweis, wo genau dieses Panel ausgetragen wird, suche ich vergebens. Gerade als ich mich mit meinen 27 Jahren boomermässiger fühle als je zuvor, poppen Hilferufe von Leidensgenoss:innen im öffentlichen Chatfenster auf, die ebenso orientierungslos sind. «Wo ist der Panel Talk?» wollen sie im Kanon wissen. «Auf der Dachterrasse», heisst es. «Wo ist die Dachterrasse?», hake ich nach und werde von gastfreundlichen Metaversianern auf den vierten Stock verwiesen, der durch einen Lift zugänglich sein soll.
Ich suche eine halbe Stunde nach besagtem Lift und brauche weitere 15 Minuten um zu verstehen, wie dieser bedient wird. Andere vermeintliche Decentraland-Neulinge steigen in der Zwischenzeit ein und wieder aus, ohne das Erdgeschoss je verlassen zu haben. Endlich in der obersten Etage angekommen, offenbart sich mir, dass meine Anstrengungen vergebens waren und der Talk zur Verwirrung aller Anwesenden gar nie angefangen hat.
An diesem Punkt habe ich emotional bereits mit der Metaverse Fashion Week abgeschlossen und will einfach nur noch in den Feierabend. Weil es mich aber doch noch wundert, wie eine Modenschau hier so abläuft, schleppe ich meinen Avatar mit letzter Kraft zur Show von Dolce & Gabbana – die mit ihren gerade mal 280 Besucher:innen ganz schön ausgestorben wirkt. Später lese ich, dass Decentraland die Avatare in andere Dimensionen schickt, damit der virtuelle Raum nicht überfüllt wirkt. Die Crowd dürfte also in Wirklichkeit weitaus grösser gewesen sein. Faktisch kommt in einem halbleeren Stadion trotzdem keine Stimmung auf.
Als das italienische Modehaus inmitten einer verpixelten Lichtshow-Extravaganza schliesslich katzenartige Avatare über den Laufsteg schickt, um seine Kollektion von tragbaren NFTs (Non-Fungible-Tokens, so etwas wie digitale Eigentumsnachweise von immateriellen Gütern) zu präsentieren, fühle ich mich, als wäre ich in einer retro Videospiel-Version der Promi-Gesangsshow «The Masked Singer» gefangen. Dass diese amateurhaft wirkenden Looks von einem milliardenschweren Modehaus entsandt wurden, ist kaum zu glauben. Immerhin dauert das Trauerspiel nur acht Minuten.
Die MVFW wurde als immersives Erlebnis gehypt, das Mode für alle frei zugänglich machen soll. Doch der Event bietet Fashion interessierten Menschen, die noch kein Zweitleben in einer digitalen Parallelwelt führen, so ziemlich gar nichts. Die Cyber-Couture von The Fabricant schaue ich mir lieber im herkömmlichen Web an statt in einer grafisch brachialen Modenschau im Metaverse, die keine Details zulässt. Ausserdem ist heutzutage so ziemlich jede Runway-Show aus der echten Welt als HD-Video im Netz auffindbar. Wenn mir Brands also weismachen wollen, dass das Metaverse High-Fashion-Barrieren zertrümmert, halte ich das für eine schamlose Marketing-Lüge.
Dass der zeitgeistige Luxus-Brand Gucci 2021 in der Online-Gaming-Plattform Roblox seine Dionysus Bag für rund 4000 Franken (mehr als die Tasche im echten Leben kostet) verkaufen konnte und das NFT-Sneaker-Studio RTFKT mit einem Release in sieben Minuten knapp drei Millionen Franken Umsatz erzielt hat, löst in der Branche wohl Fear of Missing out (FOMO) aus. Also die Angst, etwas zu verpassen – in diesem Falle den ultimativen Krypto-Goldrausch.
Dass traditionelle High-End-Modehäuser mit wenig NFT-Erfahrung voreilig in die digitalen Sphären eilen, scheint zum Scheitern verurteilt. Als das italienische Unternehmen Etro im Vorfeld seiner Decentraland-Show auf Instagram mit einer hübschen Animation ein vielversprechendes «Liquid Paisley»-Muster ankündigte, war ich durchaus angetan. Als ich jedoch das Resultat im Metaverse sehe, muss ich lachen. Statischer könnte dieser vermeintlich dynamische Stoff der Zukunft wohl kaum aussehen.
Ein Blick in die Kommentarspalte, in der von Habbo-Hotel- und Playmobil-Vibes die Rede ist, wirft die Frage auf, ob Etros’ Versuch, in die Welt der NFTs einzusteigen, nicht sogar dem eigenen Ruf schaden könnte. «Ich werde mir künftig zweimal überlegen, ob ich etwas von euch kaufe. Habt mehr Stil», schreibt eine enttäuschte Kundin. «Bitte nicht… das ist lächerlich. Ein Brand so voller Texturen und Farben wirkt im Metaverse tot», heisst es in einem weiteren von vielen kritischen Kommentaren.
Klar, das Metaverse steckt noch in Kinderschuhen und wird in den nächsten Jahren ebenso wie unsere Hardware massiv leistungsfähiger werden. Vor 30 Jahren, als das World Wide Web noch in seiner vorpubertären Phase steckte, konnten sich schliesslich auch nur die wenigsten ausmalen, welche Dimensionen das Internet 2022 annehmen wird. Bis das Metaverse ausgereift ist, sehe ich aber keinen Grund, mich diesem stockenden Pixel-Wirrwarr auszusetzen – geschweige denn, dort Geld auszugeben.
Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.