Die Minimap muss weg
Meinung

Die Minimap muss weg

Die Minimap muss weg! Sie lenkt meinen Fokus an den Bildschirmrand und weg von der Action. Vier Beispiele zeigen, wie es anders geht.

Die immer grösser werdenden Open-World-Rollenspiele sind ohne Hilfsmittel kaum zu bewältigen. Darum stellen uns Entwicklerstudios Karten zur Verfügung. Dazu zählt auch die Minimap, die meist in einer Ecke des Interfaces platziert wird. Als Orientierungshilfe ist sie ein nützliches Werkzeug. Nur hat sie sich im Laufe der Zeit vom metaphorischen Stützrad zum selbstfahrenden Elektroauto mitsamt Heads-Up-Display entwickelt. Sie ist zu bequem und liefert zu viele Informationen. Ich verlasse mich komplett auf sie, statt mich mit der Welt auseinanderzusetzen.

Alles, was ich in der Haut des Hexers Geralt tun muss, um mein Ziel zu erreichen, ist der gepunkteten Linie auf der Minimap zu folgen.
Alles, was ich in der Haut des Hexers Geralt tun muss, um mein Ziel zu erreichen, ist der gepunkteten Linie auf der Minimap zu folgen.
Quelle: Youtube / Gamer Maker’s Toolkit

Am offensichtlichsten zeigt sich diese Problematik in Spielen wie «The Witcher 3: Wild Hunt», «Grand Theft Auto V» und «Cyberpunk 2077». Sie alle stellen mir eine Minimap zur Verfügung, die vollgestopft ist mit Informationen: Häuser, Händler, Gegner und Ressourcen sind eingezeichnet. Doch ein weiteres Feature übertrumpft alle anderen. Setze ich auf der grossen Übersichtskarte eine Markierung, zeigt mir die Minimap den direkten Weg zum Ziel. Alles, was ich tun muss, ist meinen Charakter entlang der (gepunkteten) Linie zu bewegen.

Verantwortlich für 90 Prozent der Fahrerflucht-Vorfälle aufgrund abgelenkter Autofahrer: die violette Linie auf der Minimap von «Grand Theft Auto V».
Verantwortlich für 90 Prozent der Fahrerflucht-Vorfälle aufgrund abgelenkter Autofahrer: die violette Linie auf der Minimap von «Grand Theft Auto V».
Quelle: Youtube / MGSR Gaming

So schiele ich auf der Reise durch Nilfgaard, Los Santos oder Night City ständig an den Bildschirmrand. Währenddessen zieht die Spielwelt unbeachtet an mir vorbei. Das ist schade. Es sind imposante Games, die in fantasievollen, malerischen und immersiven Umgebungen stattfinden. Doch wie soll ich mich auf eine Welt einlassen, wenn ich die meiste Zeit nur auf ein Interface-Element glotze? Die Minimap ist zu nützlich, um sie zu ignorieren.

Alternative 1: Der Kompass

Die wohl verbreitetste Alternative zur Minimap ist der Kompass. Er liegt klassischerweise in der oberen Bildschirmmitte und zeigt in Games wie «The Elder Scrolls: Skyrim», «Fallout 76» oder «Batman: Arkham Knight», in welcher Richtung das Ziel liegt. Den genauen Weg muss ich selber finden.

Der Kompass in «The Elder Scrolls: Skyrim» zeigt mir mein Ziel auch dann noch an, wenn es in Form eines Drachen wenige Meter vor mir steht.
Der Kompass in «The Elder Scrolls: Skyrim» zeigt mir mein Ziel auch dann noch an, wenn es in Form eines Drachen wenige Meter vor mir steht.
Quelle: Youtube / UpIsNotJump

Der Kompass ist nicht perfekt. Er verlangt mehr Aufmerksamkeit, je näher ich meinem Ziel komme. Statt auf den letzten Metern Hinweise aus der Spielwelt aufzunehmen, renne ich wie mit Scheuklappen dem Icon auf dem Kompass hinterher, bis ich angekommen bin. Auch hier beschäftige ich mich mehr mit einem Interface-Element als mit der Welt.

Alternative 2: Von der Natur geleitet

Kreative Alternativen zur Minimap oder dem Kompass bieten «Ghost of Tsushima» und «Shadow of Colossus». Markiere ich in «Ghost of Tsushima» ein Ziel, weht der Wind visuell erkennbar in die entsprechende Richtung. Die Richtungsangabe ist nahtlos in die Spielwelt integriert und ich werde gezwungen, mit ihr zu interagieren. Komme ich dennoch vom Weg ab, kann Protagonist Jin Sakai einen Windstoss hervorrufen, der mir die Richtung anzeigt.

Wander, die Hauptfigur in «Shadow of Colossus», kann zur Orientierung sein Schwert ins Sonnenlicht halten. Ein Lichtstrahl leuchtet dann von seinem Schwert in Richtung des Ziels. Auch diese Lösung lenkt meine Aufmerksamkeit aufs Spielgeschehen, statt an den Bildschirmrand.

Alternative 3: Die Karte selbst in die Hand nehmen

Wind und Lichtstrahl sind Mittel, die Karte fast gänzlich zu umgehen. Doch was, wenn die Navigation eine Kernmechanik des Spiels ist? Das Piratenspiel «Sea of Thieves» löst es so: Es gibt nur eine Karte und die befindet sich nicht im Hauptmenü, sondern auf einem Tisch unter Deck. Darauf sehe ich die Position meines Schiffs. Finde ich eine Schatzkarte, ist darauf eine Insel abgebildet, die ich anhand der Form auf der Karte suchen muss. Danach navigiere ich mit Fernrohr, Handkompass und Ausguck zum Ziel. Alle drei sind Ingame-Items, die mein Pirat in die Hand nehmen muss.

Statt wie ein Gamer fühle ich mich dank der Ingame-Karte in «Sea of Thieves» wie ein waschechter Pirat.
Statt wie ein Gamer fühle ich mich dank der Ingame-Karte in «Sea of Thieves» wie ein waschechter Pirat.
Quelle: Youtube / ParagonHex

Auch das Zombie-Survival-Spiel «DayZ» verzichtet auf eine Minimap. Anfangs stehen mir zur Orientierung nur Wegweiser, Ortsschilder, Wahrzeichen und die Sonne zur Verfügung. Eine Karte der Spielwelt und einen Kompass muss ich zuerst finden. Auch hier sind beides Ingame-Gegenstände.

Mich überzeugt an den Ansätzen von «Sea of Thieves» und «DayZ» vor allem, dass sie mich nicht aus dem Spielgeschehen rausreissen. Die Welt geht weiter, die Musik wird nicht unterbrochen, Gegner nutzen die Ablenkung, um mich anzugreifen. Die Karte als Item verstärkt die Immersion und fügt einem Game ein interessantes Element hinzu. Mit Karte und Kompass den Weg zu finden, kann Spass machen. Und wenn man den Dreh raus hat, fühlt sich die Belohnung am Ziel auch mehr wie ein Verdienst an, statt wie ein vom Entwickler platzierter Dopaminkick.

Alternative 4: Zeig mir den Vogel

Karten-Studieren ist nicht jedermanns Sache. Darum freue ich mich über den Mittelweg, den mir das neuste «Assassin’s Creed»-Spiel bietet.

Die Minimap habe ich in «Mirage» schnell ausgeschaltet. Denn wie schon in einigen Vorgängern stellt mir Ubisoft zur Unterstützung einen fliegenden Begleiter zur Seite – oder auf den Unterarm. Mit einem Knopfdruck wechsle ich nahtlos in die Vogelperspektive meines Adlers Enkidu, der treu über Hauptcharakter Basim segelt. Enkidu verschafft mir rasch einen Überblick über Bagdad. Er zeigt, wo mein nächstes Opfer steht und wie sich die Patrouillen bewegen. Und zwar nicht wie auf der Minimap als Icons, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut.

Statt mich aus der Welt zu ziehen, zeigt mir Enkidu eine andere Sicht auf Bagdad.
Statt mich aus der Welt zu ziehen, zeigt mir Enkidu eine andere Sicht auf Bagdad.
Quelle: Valentin Oberholzer

«Mirage» kommt zusätzlich zugute, dass Basim seine «Adlerauge»-Fähigkeit einsetzen kann. Sie markiert Gegner, Truhen und Ziele in der Nähe des Assassinen. Die Kombination von Adler und Adlerauge funktioniert einwandfrei. Die Minimap vermisse ich zu keinem Zeitpunkt und auch die grosse Weltkarte benutze ich äusserst selten.

Der Haken: In besonders grossen Spielwelten stösst die Vogelperspektive an ihre Grenzen. Schon andere «Assassin’s Creed»-Welten wie England («Valhalla») oder Griechenland («Odyssey») sind zu gross, als dass ein Vogel sie überblicken könnte. Eine Karte ist fast unumgänglich.

England in «Assassin’s Creed Valhalla» ist zu weitläufig, als dass ein Vogel die ganze Spielwelt überblicken könnte.
England in «Assassin’s Creed Valhalla» ist zu weitläufig, als dass ein Vogel die ganze Spielwelt überblicken könnte.
Quelle: Ubisoft

Doch Bagdad, der Schauplatz in «Mirage», ist kompakt. Die vielen Türme, Wahrzeichen und vor allem die «Runde Stadt» im Zentrum fallen auf und helfen bei der Navigation.

Vertraut mir

Die lästige Pflicht des Navigierens wird durch Enkidu zum Erlebnis. Statt mich aus der Welt zu reissen, gewährt mir der Adler eine atemberaubende Aussicht. Auch in diesem Spiel steht die Welt dabei nicht still. Mehr als einmal holt mich ein Säbel in der Flanke unsanft auf den wortwörtlichen Boden der Tatsachen zurück, weil eine Wache in Basim einen Assassinen erkannt hat. Das macht das Spiel aber auch spannender.

Statt stumpf einer gepunkteten Linie zu folgen, nehme ich die Navigation lieber selbst in die Hand. In Zukunft werde ich die Minimap vermehrt ausschalten. Die Erfahrung zeigt: Es geht auch ohne.

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Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.


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