Meinung

Die Suche nach dem perfekten Browser

Chrome hat keinen mobilen Adblocker, Brave nervt mit Krypto-Werbung, Firefox bietet zu wenig Konfigurationsmöglichkeiten und Vivaldi kennt keine Touchpad-Gesten. Den perfekten Browser gibt es nicht.

Früher war alles einfacher. Für die unkultivierten Erwachsenen gab es den Internet Explorer, ich surfte mit Netscape. Der war schneller und cooler. Die Freundschaft hielt meine Teenagerjahre über. Nach der Jahrtausendwende betrat ein frecher Fuchs das Feld: Firefox. Der Name und das Logo waren wie geschaffen für einen jungen, hippen Erwachsenen wie mich. Und Firefox war schnell. Da konnte Netscape nicht mehr mithalten.

Netscape war mein Tor ins Internet.
Netscape war mein Tor ins Internet.

Firefox und ich gingen durch dick und dünn. Ich lernte Tabs und den Inkognito-Modus schätzen. Die Welt war in Ordnung – für eine Weile. 2008 erschien Google Chrome. Anfangs konnte ich der Anziehung widerstehen, aber schon bald erlag ich dem Reiz des Neuen. War Chrome besser? Nicht wirklich. Immer wieder musste ich auf Firefox zurückgreifen, wenn eine Webseite nicht funktionierte. Aber spätestens als Chrome auf dem Smartphone verfügbar war, gab es kein Zurück mehr – für eine Weile.

Werbung? Nein, danke

Chrome löste den Internet Explorer als meistverbreiteten Browser der Welt ab und hielt auch mich mit regelmässigen Updates bei Laune. Eines meiner Lieblingsfeatures waren die Erweiterungen, allen voran Adblock. Das Internet wurde (und wird) von Werbung so zugemüllt, da war der Werbeblocker ein wahrer Heilsbringer. Zusammen mit dem Passwortmanager und dem automatischen Synchronisieren zwischen Geräten hatte ich nichts an Chrome auszusetzen. Die Beziehung hielt länger als mit jedem Browser zuvor. Erst in den vergangenen Jahren bildeten sich zunehmend Risse.

Die viele Werbung macht das Surfen unerträglich.
Die viele Werbung macht das Surfen unerträglich.

Ausschlaggebend war der fehlende Werbeblocker in der Mobile-Version. Andere Browser wie Firefox boten längst eine entsprechende Funktion. Weil ich durch mein Google-Smartphone so tief im Google-Sumpf steckte, blieb ich Chrome vorerst treu. Mit steigendem Smartphone-Konsum kippte aber schliesslich das Gleichgewicht. Nach über zehn Jahren stellte ich Chrome vor die Tür. Der Nachfolger hiess Brave.

Privacy ja, Krypto, nein danke

Brave basiert auf der gleichen Engine wie Chrome – sie heisst Chromium – und bietet mehr oder weniger den gleichen Funktionsumfang. Mit einem entscheidenden Vorteil: Brave blockt standardmässig Tracker und Werbung – auch auf dem Smartphone. Endlich wieder surfen, ohne ständig von allen Seiten mit automatisch abspielenden Videos oder Clickbait-Empfehlungen bombardiert zu werden. Herrlich. Mein zufriedenes Seufzen war noch tagelang zu hören. Die Welt war in Ordnung – für eine Weile.

Braves Krypto-Werbung ist mir zu aufdringlich.
Braves Krypto-Werbung ist mir zu aufdringlich.

Mehr als einmal geriet Brave in die Schlagzeilen durch zweifelhafte Updates wie das automatische hinzufügen von Affiliate Links. Auch wenn es sich dabei laut CEO Brendan Eich um ein Versehen gehandelt haben soll, hört das Unternehmen nicht auf, mir ständig Krypto-Werbung aufs Auge zu drücken. Das wäre noch das eine, aber auch das Synchronisieren von Passwörtern oder des Browserverlaufs funktioniert nicht so sauber wie mit Chrome. Als wieder einmal ohne mein Zutun ein Tab mit Krypto-Werbung aufging, hatte ich die Schnauze voll.

Meine nächste Liebe war schnell gefunden.

Ein Browser zum Selbstgestalten

Vivaldi. Ein Browser wie geschaffen für mich – theoretisch. Er basiert ebenfalls auf Chromium und besitzt die damit verbundenen Vorteile. Er blockt Werbung und sogar die nervigen Cookie-Anfragen standardmässig und das auch auf dem Smartphone. Das Besondere an Vivaldi sind die unzähligen Anpassungsmöglichkeiten. Die optionale Sidebar kann mit Tabs, Browserverlauf, Lesezeichen oder Notizen ausgestattet werden. Kontextmenüs können bis ins kleinste Detail konfiguriert werden und Tabs stapeln ist eine Funktion, die ich nicht mehr missen möchte. Vivaldi kann ich ganz nach meinen Wünschen formen. An vielen Stellen muss ich das auch, weil das Standardverhalten nicht meinen Erwartungen entspricht.

So klappt beim Herunterladen von Dateien automatisch das Download-Fenster auf oder bei der Suche in der Adresszeile werden nicht meine letzten Anfragen priorisiert. Alles Dinge, die ich anpassen kann. Gestaunt habe ich, als ich feststellen musste, dass es keine Touchpad-Gesten für das Vor– und Zurücknavigieren gibt. Etwas, das nun wirklich jeder Browser beherrscht. Auch nervt es mich, dass sich Tabs nicht sofort in separate Fenster verwandeln, wenn ich sie aus dem Fenster herausziehe. Stattdessen bleiben sie kleine Balken und werden erst zu Fenstern, wenn ich die Maus loslasse. Auch erscheint beim Speichern jedes Mal der Dialog, ob ich «speichern» oder «speichern unter» will. Ich will IMMER Speichern unter. Das ist jedes Mal ein Klick zu viel. Auch Werbung blockt Vivaldi weniger konsequent als Brave.

Vivaldi ist ein Traum von den Konfigurationsmöglichkeiten her.
Vivaldi ist ein Traum von den Konfigurationsmöglichkeiten her.

Hinzu kommen gewisse Vorkommnisse, deren Ursache ich bisher nicht eruieren konnte. So funktioniert in Google Docs regelmässig Ctrl + V nicht und es öffnet sich stattdessen ein neuer Tab. Rechte Maustaste und Einfügen klappt hingegen. Oder ich tippe eine Suche in die Adressleiste und mitten drin wird mein Text von einem Link überschrieben. Also musste ich nach einer kurzen und innigen Liebe die Beziehung zu Vivaldi beenden. Und das, obwohl ich mit Caffeine mein bisher absolutes Lieblings-Theme gefunden habe. Es passt automatisch den Tab-Kopf an die Webseiten-Farbe an.

Edge? Nein, danke

Wie weiter? Kurz habe ich mit Edge geliebäugelt. Aber dort stellt sich mir ein ähnliches Problem wie bei Brave. Der Browser wäre eigentlich gut, aber Microsoft versucht ihn mit allen Mitteln unter die Leute zu bringen. Dabei wendet das Unternehmen ähnliche Tricks an, die sie schon mehrere Milliarden US-Dollar an Bussen gekostet haben. In den Einstellungen von Windows 11 muss ich bei 25 Verknüpfungen manuell einen neuen Browser bestimmen, wenn ich nicht Microsofts voreingestellten Edge verwenden möchte. Eine ganz miese Taktik.

Firefox ist zwar sehr responsive, aber bietet wenig darüber hinaus.
Firefox ist zwar sehr responsive, aber bietet wenig darüber hinaus.

Weil meine IT-Freunde nie aufgehört haben, von Firefox zu schwärmen, gab ich dem alten Fuchs eine zweite Chance. Die ersten Schritte waren vielversprechend. Die Fenster-Animationen sind geschmeidiger als bei der Chromium-Konkurrenz und die Synchronisation funktioniert dank QR-Code ebenfalls schmerzlos. Aber schnell schlichen sich Störfaktoren ein. Wie bei Vivaldi bleiben Tabs kleine Balken, wenn ich sie rausziehe und Tabs lassen sind nur umständlich gruppieren. So bleibt der einzige Vorteil von Firefox, dass er mit seiner eigenen Gecko-Engine Chromes Vormachtstellung entgegenhält.

Dann eben doch Brave

Und nun? Ich bin nach Wochen des Ausprobierens wieder bei Brave gelandet. Das anrüchige Geschäftsverhalten irritiert mich zwar weiterhin, aber mittlerweile gibt es fast von allen Browser-Firmen zweifelhafte Geschichten. Und übers Ganze gesehen, erfüllt Brave am meisten meiner Bedürfnisse. Die Suche nach dem perfekten Browser habe ich bis auf Weiteres eingestellt. Die Augen halte ich aber offen. Falls du mir helfen willst, mein Wunsch-Browser setzt sie wie folgt zusammen: das Tab-Verhalten und die Privacy-Funktionen von Brave, Tab-Stapeln, Sidebar und das Caffeine-Theme aus Vivaldi, die Responsiveness und eigene Browser-Engine von Firefox und natürlich Touchpad-Gesten. Bescheiden, oder?

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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