Die Xbox steht vor dem grössten Umbruch in ihrer Geschichte
Hintergrund

Die Xbox steht vor dem grössten Umbruch in ihrer Geschichte

Microsofts jüngste Studioschliessungen sind ein schlechtes Omen – nicht nur für Xbox. Eine neue Konsole ist nicht mehr sicher, genauso wenig wie die Zukunft des Game Pass. Den Stein ins Rollen gebracht hat die Übernahme von Activision Blizzard.

Microsoft schliesst vier Game-Studios. Eine traurige Meldung, die hinsichtlich der anhaltenden Entlassungswelle in der Branche nicht besonders auffällt. Was diese Nachricht von den anderen unterscheidet, ist, dass es sich mit Arkane Austin und Tango Gameworks nicht nur um angesehene Studios handelt, sondern dass letzteres mit «Hi-Fi Rush» erst kürzlich einen Überraschungshit produziert hat.

Aaron Greenberg, Vizepräsident für Xbox Marketing, lobte das Spiel einen Monat nach dem Launch dafür, dass es jegliche Metriken und Erwartungen erfüllt habe. Der Chef der Xbox Game Studios, Matt Booty, legte nur einen Tag nach der Bekanntgabe der Schliessungen nach und sagte: «Wir brauchen kleinere Games, die uns Prestige und Awards geben». Klingt exakt nach «Hi-Fi Rush». Was ist da los bei Xbox? Wie sich herausstellt, eine ganze Menge.

Das Action-Rhythmus-Spiel «Hi-Fi Rush» war laut Microsoft ein Erfolg. Das bewahrte das Studio nicht vor der Schliessung.
Das Action-Rhythmus-Spiel «Hi-Fi Rush» war laut Microsoft ein Erfolg. Das bewahrte das Studio nicht vor der Schliessung.
Quelle: Tango Gameworks

Das Auge Saurons blickt auf Xbox

Während Microsoft Rekordgewinne vermeldet und abwechselnd mit Apple das reichste Unternehmen der Welt ist, sind die Hardware-Zahlen im Sinkflug. Um satte 31 Prozent gingen die Verkaufszahlen im letzten Quartal zurück. Und das, nachdem sie im Vergleich zum Vorjahr bereits um 30 Prozent eingebrochen sind. Trotzdem schreibt die Xbox-Abteilung schwarze Zahlen. Im Software- und Abo-Bereich gab’s ein fettes Plus von 62 Prozent. Hinter dieser Erfolgsmeldung verbirgt sich die wahre Krux. Der Gewinn ist einzig und allein Activision Blizzard zu verdanken. Das Unternehmen lässt mit seinen Megahits, allen voran «Call of Duty», die Kasse klingeln. Ohne Activision Blizzard hätte die Xbox-Ableitung einen Rückgang von 5 Prozent verzeichnet, rechnet der renommierte Analyst Daniel Ahmad vor.

Fast 70 Milliarden US-Dollar hat Microsoft für die Übernahme eines der letzten Gaming-Giganten ausgegeben. Nun blicke «das Auge Saurons auf Xbox», schreibt Branchenkenner und ehemaliger Microsoft-PR-Manager Brand Hildebrand auf Linkedin. Bisher sei das Xbox-Geschäft für den Windows-Konzern nur ein Rundungsfehler gewesen. Nach der Milliarden-Investition will Microsoft wissen, wie die Ausgaben wieder reingeholt werden.

Durch die Übernahme von Activision Blizzard gehört «Call of Duty» zu Microsoft.
Durch die Übernahme von Activision Blizzard gehört «Call of Duty» zu Microsoft.
Quelle: Activision

Die Schliessungen von Arkane Austin, Tango Gameworks, Alpha Dog Studios und Roundhouse Studios sind eine erste Konsequenz davon. Arkane und Tango Gameworks leuchten als Bauernopfer ein, weil sie gerade begonnen haben, ihr nächstes Spiel zu entwickeln, respektive es zu pitchen. Ein Studio, das sich mitten im Entwicklungsprozess befindet, wäre eine deutlich grössere Abschreibung. Das ändert nichts daran, dass die Schliessungen bei den verbleibenden Xbox-Studios die Alarmglocken läuten lassen. Wenn Mainstreamprodukte wie «Redfall» und «Hi-Fi Rush» nicht genügen, welche Chance haben dann Double Fine, die Macher von «Psychonauts 2» oder Ninja Theorie mit ihrem kommenden «Hellblade 2»?

Activision Blizzard ist nur die jüngste Übernahme. Microsoft besitzt mittlerweile fast 40 Studios. Sie wurden unter anderem gekauft, um das Xbox-Portfolio mit exklusiven Titeln zu stärken. In den letzten Jahren hat Microsoft das Augenmerk vermehrt auf den Game Pass gelegt. Nur ein steter Fluss aus grossen und kleinen Spielen macht den Abo-Dienst attraktiv. Dieser ist schon länger ins Stocken geraten. «Starfield» hat sich nicht zum erhofften Megahit entwickelt, «Fable» hätte schon vor Jahren erscheinen sollen und das neue «Perfect Dark» soll mit zahlreichen Problemen zu kämpfen haben. Auch die einstigen Xbox-Aushängeschilder «Gears of War» und «Halo» sind längst keine sicheren Standbeine mehr.

Der Game Pass könnte sich für Microsoft als zweischneidiges Schwert erweisen.
Der Game Pass könnte sich für Microsoft als zweischneidiges Schwert erweisen.
Quelle: Philipp Rüegg

34 Millionen User zählt der Game Pass über PC und Konsole hinweg. Besonders stark zugelegt hat der Dienst während der Corona-Pandemie. Bereits 2022 gab Phil Spencer, CEO von Microsoft Gaming, bekannt, dass der Game Pass profitabel sei. Das steile Wachstum flachte in den letzten Jahren deutlich ab. Im Fiskaljahr 2022 hätte der Dienst 73 Prozent zulegen sollen. Stattdessen waren es «nur» 28 Prozent. Das starke Wachstum ist nötig, um die verschiedenen Spiele im Game Pass zu quersubventionieren. Nun fehlt offenbar das Budget dafür. Ist das Game-Pass-Modell doch nicht rentabel genug?

Take-Two-CEO Strauss Zelnick rümpfte schon vor zwei Jahren die Nase mit der Aussage: «Es macht keinen Sinn. Es ist einfach eine verpasste Chance für den Publisher.» Das Unternehmen hinter Rockstar und damit «GTA» werde das Gangster-Epos nie im Game Pass veröffentlichen. Ein Blockbuster, der möglicherweise schon bald im Abo erhältlich sein könnte, ist hingegen «Call of Duty».

Sarah Bond, die Präsidentin von Xbox, bestätigte kürzlich in einem Interview, dass jedes Game der Xbox-Studios zum Release-Tag im Game Pass sein werde. «Call of Duty», das jedes Jahr Milliarden in die Kasse spült, soll bald im Netflix des Gamings enthalten sein? Es ist schwer vorstellbar, dass Microsoft diese Cashcow schlachten will. Aber es scheint kein Weg daran vorbeizuführen. Landet es nicht im Game Pass, werden sich Abonnentinnen vergrault fühlen. Ihnen wurden alle Xbox-Studio-Titel versprochen und dazu gehört auch «Call of Duty».

Sarah Bond bestätigt, dass alle Xbox-Spiele zum Release im Game Pass verfügbar sein werden.
Sarah Bond bestätigt, dass alle Xbox-Spiele zum Release im Game Pass verfügbar sein werden.
Quelle: Youtube/Bloomberg

Dabei hätte Microsoft nur einen Blick auf TV-Streaming-Anbieter werfen müssen. Jahr für Jahr erhöhen Netflix, Disney Plus und Co. ihre Abo-Preise. Trotzdem sind die zwei die einzigen, die offiziell schwarze Zahlen schreiben. Disney Plus erst seit Kurzem. Die gelobte Streaming-Revolution entwickelt sich deshalb zunehmend zum klassischen Kabelfernsehen zurück. Noch ist die Konkurrenz im Game-Bereich überschaubar, aber auch Game-Abos haben einen schweren Stand. Dort kommt erschwerend hinzu, dass Games seit Jahrzehnten gleich viel kosten, während die Entwicklungsausgaben steigen. Ausserdem senken, abgesehen von Nintendo, viele Hersteller die Preise ihrer Titel schon kurz nach Release. Gamer sind darum längst darauf konditioniert, auf Sales zu warten.

Ein Megapublisher statt eine neue Xbox

Konsolen, die sich nicht verkaufen und ein Abo-Service, der nicht profitabel genug ist: Die Zukunft der Xbox sieht nicht rosig aus. Zu befürchten ist, dass Microsoft den gleichen Weg einschlägt, wie zuvor EA und Activision. Beide Unternehmen haben sich von renommierten Game-Studios zu profitgetriebenen Publishern entwickelt. Beide haben zahlreiche Studios gekauft, nur um sie wenige Jahre später zu schliessen oder sie zu Support-Studios der ganz grossen Titel zu degradieren. Bei Activision arbeitet fast jedes Studio in irgendeiner Form an «Call of Duty». Mit Microsofts Buchmachern im Nacken blüht der Xbox-Sparte das gleiche Schicksal. Statt kreative Exklusiv-Titel könnte es nur noch Megablockbuster geben, die dafür auf allen verfügbaren Plattformen erscheinen. Die erfolgreiche Portierung des bis dato Xbox- und PC-exklusiven «Sea of Thieves» auf die PS5 dürfte nur der Anfang sein.

«Sea of Thieves» hat mittlerweile auch auf der PS5 die Segel gehisst.
«Sea of Thieves» hat mittlerweile auch auf der PS5 die Segel gehisst.
Quelle: Rare

Auch Sonys Playstation-Abteilung hat gemerkt, dass Spiele, die hunderte Millionen US-Dollar in der Produktion kosten, ihre Ausgaben auf einer Plattform kaum wieder reinholen. Darum erscheinen immer mehr Spiele auch auf dem PC. Microsoft ist der japanischen Konkurrenz diesbezüglich einen Schritt voraus. Seit Jahren erscheinen alle Xbox-Titel zeitgleich auf dem PC. Die schlechten Xbox-Hardware-Zahlen dürften diese Entwicklung beschleunigen und sie auf weitere Plattformen ausweiten. Der Wert der Xbox-Marke schwindet damit allerdings noch stärker. Eine neue Konsole dürfte wenig daran ändern.

Phil Spencer hat sich zwar bereits zur nächsten Xbox geäussert und behauptet, sie werde den grössten technischen Sprung aller Konsolen-Generationen hinlegen. Die Hardware war aber nie das Problem. Die Playstation 5 hat sich dank der besseren Spieleauswahl bisher doppelt so gut verkauft wie die Xbox Series S und X. Dieser Rückstand ist kaum mehr aufzuholen. Da immer mehr Spiele digital gekauft werden, ist die Bindung an eine Plattform stärker denn je. Anders als physische Spiele kannst du sie nicht wiederverkaufen.

Phil Spencer hat es nicht geschafft, die Xbox-Sparte auf Kurs zu bringen.
Phil Spencer hat es nicht geschafft, die Xbox-Sparte auf Kurs zu bringen.
Quelle: Microsoft

Denkbar ist, dass Microsoft nur noch eine Referenz-Konsole herausbringt. Möglicherweise mit einer offenen Plattform, die auch andere Stores wie Steam erlaubt. Mit dem angeblich geplanten Xbox-Handheld schliesst Spencer eine solche Möglichkeit nicht aus. Produzieren könnten diese Konsolen die üblichen Windows-Partner wie Asus, Dell oder MSI. Microsoft ist in erster Linie eine Service- und Software-Firma. Wieso also das gleiche Prinzip nicht auf das Konsolengeschäft anwenden?

Es ist schwer abzuschätzen, was der Rückzug aus dem klassischen Konsolengeschäft für Auswirkungen auf die Game-Vielfalt und die Entwicklung neuer Konsolen hätte. Möglicherweise ist das Schwarzmalerei und die Xbox-Sparte schafft die Kehrtwende. Man darf auf alle Fälle gespannt sein, wie sich Phil Spencer und Co. am nächsten grossen Medienevent präsentieren werden.

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Als Game- und Gadget-Verrückter fühl ich mich bei digitec und Galaxus wie im Schlaraffenland – leider ist nichts umsonst. Wenn ich nicht gerade à la Tim Taylor an meinem PC rumschraube, oder in meinem privaten Podcast über Games quatsche, schwinge ich mich gerne auf meinen vollgefederten Drahtesel und such mir ein paar schöne Trails. Mein kulturelles Bedürfnis stille ich mit Gerstensaft und tiefsinnigen Unterhaltungen beim Besuch der meist frustrierenden Spiele des FC Winterthur. 


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