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Dieser Film wollte mich beiläufig zum Veganer machen

Sportler brauchen eine ausgewogene Diät und tierisches Eiweiss, um ihre Leistungen abrufen zu können. Diese landläufige Meinung versucht der Dokumentarfilm «The Game Changers» zu widerlegen. Das gelingt schleichend und beinahe.

Drei Footballspieler sitzen in einer Reihe und sind fassungslos. Ein Arzt zeigt ihre Blutproben in kleinen Glasröhrchen, oben schwimmt das Blutplasma. Im einen Röhrchen ist das Plasma trüb, im anderen Röhrchen durchsichtig. Vor der Blutprobe hatten die Athleten einmal einen Burrito mit Fleisch gegessen, beim zweiten Mal einen rein pflanzlichen. Das Fleisch habe Fett im Blut abgelagert, sagt der Arzt. Das Blutplasma sei daher eingetrübt. Ein eindrückliches Experiment, das den Effekt einer rein pflanzlichen Ernährung aufzeigen soll. Solche Szenen funktionieren: In den sozialen Medien ist der Hype um die Veganer-Doku riesig, die Diskussion hitzig.

Der Unterschied im Blut zwischen zwei Mahlzeiten
Der Unterschied im Blut zwischen zwei Mahlzeiten

Vom Saulus zum Paulus

Der Film folgt dem MMA-Kämpfer James Wilks. Nach einer schweren Verletzung will Wilks so schnell wie möglich wieder gesund werden. Auf seiner Recherche stösst er auf Beweise dass die römischen Gladiatoren sich hauptsächlich pflanzlich ernährt haben sollen. Funktioniert das wirklich? Wilks will es wissen und begleitet Spitzensportler, die sich vegan ernähren. Er zitiert dutzende Studien und merkt am eigenen Leib, dass er als Veganer viel leistungsfähiger ist. Sein Fazit: Vegane leben viel gesünder als Fleischesser oder Vegetarier.

Schöne Illustrationen und Statistiken unterstreichen das Gesagte
Schöne Illustrationen und Statistiken unterstreichen das Gesagte

Dabei vermeidet der Film krampfhaft, stereotype Veganer zu thematisieren. Statt Hippies in Leinenhemden sind es muskelbepackte Footballspieler. Statt einem langhaarigen Baumschützer ist ein tierschützender, bewaffneter Ex-Soldat im Film zu sehen. Ihre Erfolgsgeschichten stehen im Mittelpunkt. Da erlebt eine Radfahrerin ihren zweiten Frühling, nachdem sie ihre Ernährung auf vegan umgestellt hat. Karriereboost statt Karriereende und das alles dank veganer Ernährung.

Das Wort «vegan» fällt höchst selten. «Plant based» ersetzt das V-Wort. Dass unter «Plant based» auch der Verzicht auf Eier, Milch, Käse und Butter fällt, war mir zu beginn nicht klar. Mich als skeptischen Zuschauer hat Regisseur Louie Psihoyos so im Sack. Die Argumente für die pflanzliche Ernährung sitzen und spätestens, wenn Arnold Schwarzenegger von den Vorteilen des veganen Lebensstils schwärmt, bin ich bekehrt.

Der Broccoli im Schafspelz

«The Game Changers» ist gut gemacht. Der Film reiht sich nahtlos in die Reihe ähnlicher Produktionen wie «Bowling for Columbine», «Eine unbequeme Wahrheit» oder «Supersize Me». Er schafft es, Veganismus in den Himmel zu loben, ohne die «arme leidenden Tiere» Leier. Statt auf Moralapostel zu machen, vermittelt «The Game Changers» eine positive Nachricht: Vegane Ernährung macht dich fitter und gesünder. Erst im Verlauf des Filmes kommen die reisserischen Thesen. Da wird die Fleischwirtschaft mit der Tabakindustrie verglichen, weil Fleischverzehr zu Krebs und Herzinfarkten führe. Die Fleischproduzenten wüssten davon und würden aktiv dafür sorgen, dass diese Fakten vertuscht würden . Das tönt schockierend und plausibel. Es ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Hauptdarsteller Wilks will die US-Armee überzeugen
Hauptdarsteller Wilks will die US-Armee überzeugen

Das Magazin «Men’s Health» hat die im Film präsentierten Fakten überprüft und diverse Fehler oder Halbwahrheiten gefunden. Das fängt schon beim Aufhänger des Films an, weil nicht bewiesen wurde, dass römische Gladiatoren tatsächlich Veganer waren. Der Film verwendet zudem Studien die von Gemüseproduzenten in Auftrag gegeben wurden. Solche Studien werden den Fleischverzehr nie hochjubeln.

Dass es aus ökologischen, gesundheitlichen und moralischen Gründen sinnvoll ist, weniger Fleisch zu essen, ist ein Fakt. Dass Sportler mit einer rein pflanzlichen Ernährung keinerlei Einbussen in der Leistung hinnehmen müssen ist einleuchtend. Dass ich deswegen auf Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier verzichte, schafft «The Game Changers» nicht. Ich mache mir meine Gedanken zum Fleischkonsum, achte sehr bewusst darauf, welches Fleisch ich esse und warum. Daran kann auch eine Doku auf Netflix nichts ändern. Gute Unterhaltung war der Film aber auf jeden Fall.

«The Game Changers» gibt es auf Netflix zu sehen.

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 

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