

Dieser Gymischüler hat seine Canon-Kamera originalgetreu nachgebaut
Jonas gönnt sich zu seinem kommenden Geburtstag eine Canon EOS RP. Doch statt die Kamera auszupacken, bastelt er sich ein Holzmodell davon. Hinter der merkwürdig klingenden Story steckt die Verbindung zweier Hobbys.
Als ich nach meinen Sommerferien zum ersten Mal den Computer aufstarte, finde ich in der Mailbox eine Nachricht von einem mir unbekannten Jonas Forrer.
«Ich habe mir die Canon EOS RP nach langem Sparen bei Galaxus bestellt und packe sie (leider erst) an meinem 18. Geburtstag aus, was noch etwa zwei Monate dauert. In der Zwischenzeit habe ich mir nun eine eigene RP aus Holz gebaut im Massstab 1:1. Beim Bau habe ich besonders viel Wert darauf gelegt, dass möglichst jedes Detail dem Original entspricht. Somit habe ich bereits mal einen groben Eindruck von der Haptik der Canon EOS RP und kann mich umso mehr auf die richtige freuen.»
Dazu zahlreiche Bilder, aus denen ich entnehme, dass sich bei dieser Holzkamera das Objektiv wechseln lässt, und dass Jonas offenbar mehrere Objektive dafür gebaut hat. Der Bildschirm kann anscheinend wie beim Original ausgeklappt und gedreht werden.



Ich bin beeindruckt. Das war bestimmt eine Menge Arbeit. Da ich selbst kein handwerkliches Flair habe, würde mir so etwas nie in den Sinn kommen. Darum will ich nicht nur das Holzmodell sehen, sondern auch den Menschen dahinter kennenlernen. Jonas willigt ein und besucht mich in der Redaktion. Dafür muss er eine Absenz in der Kantonsschule Wattwil bewilligen lassen.
Voll eingestiegen
Aus einem grossen Plastiksack packt Jonas seine fein säuberlich in Luftpolsterfolie verpackten Modelle aus. Eine Kamera. Ein Objektiv. Noch ein Objektiv. Noch eine Kamera. Und noch mehr Objektive. Am Ende liegt ein beeindruckendes Foto-Arsenal vor uns auf dem Tisch – alles aus Holz.

Schon auf den Bildern in der E-Mail habe ich gesehen, dass Jonas zwei Kameras gebaut hat. Ursprünglich wollte er sich eine EOS M50 kaufen. Davon zimmerte er sich zuerst ein Mock-Up zusammen, inklusive dreier Objektive.

Dann aber sagte sich Jonas: Wenn schon, dann richtig – und entschied, gleich ins Vollformat einzusteigen. Eine Canon EOS RP musste es sein, keine M50. Folglich baute er ein weiteres Holzmodell. Auch hier ging er einen Schritt weiter. Das Modell der M50 hat noch keinen beweglichen Bildschirm. Die Objektive werden mit Magneten am Body befestigt. Bei der EOS RP wird das Objektiv dagegen reingeschraubt – wie bei einem richtigen Bajonettverschluss.

Die komplette nachgebaute Ausrüstung:



Canon EF-M 18-150mm f/3.5-6.3 IS STM
Canon EF-M, APS-C / DX
Die Liebe zum Detail zeigt sich in vielen kleinen Dingen. So hat die Kamera eine Halterung für Trageriemen, die funktioniert. Zum 18-150mm-Objektiv gehört eine abnehmbare Gegenlichtblende. Auch den zur Kamera passenden Handgriff hat Jonas nachgebaut – er lässt sich originalgetreu an die Kamera schrauben.

Nimmt Jonas mal eine richtige Kamera in die Hand, so ist das derzeit noch die Bridge-Kamera Canon PowerShot G3 X. Durch seinen Onkel, der seit 20 Jahren fotografiert, ist Jonas zu diesem Hobby gekommen. «Er ist quasi mein Mentor», sagt er. Besonders interessieren ihn Landschaftsaufnahmen, auch mit der DJI Mavic Air aus der Luft. Und Makros. Darum hat er neben dem 24-105mm-Objektiv, das er zusammen mit der Kamera gekauft hat, auch das 35mm-Makro-Objektiv modelliert. Das steht als nächstes auf seiner Wunschliste.
Fotografie + Modellbau = Holzkamera
Die Kameras und Objektive fühlen sich leicht an. Sie bestehen aus vielen zusammengeleimten Sperrholzplatten, die dem Modell das feine Linienmuster geben. Das Holz hat Jonas mit einer Stichsäge ausgeschnitten und von Hand geschliffen.
Natürlich klappte nicht alles im ersten Versuch. Etwa 35 Stunden hat Jonas an der EOS RP und den beiden passenden Objektiven gearbeitet. Bei der EOS M50 waren es immerhin etwa 20 Stunden. Warum dieser Aufwand? Ganz einfach: Weil es ihm Spass macht. Die handwerkliche Arbeit ist ein Ausgleich zum kopflastigen Schulbetrieb. Zusammen mit seinem Vater bastelt er Modelleisenbahn-Landschaften. Er zeigt mir Fotos vom Bahnhof Alp Grüm der Berninabahn, von nachgebauten Brücken und Tunnels, wo jeder Stein einzeln eingesetzt werden muss. «Bei solchen Dingen habe ich schon sehr viel Geduld», sagt Jonas.


Hat jemand Fotografie und Modelleisenbahn als Hobbys, ist der Modellnachbau einer Fotoausrüstung gar nicht mehr so aussergewöhnlich. Es scheint mir sogar nahe liegend.
Übrigens: Jonas’ Vater hat sich – wohl nicht ganz zufällig – die Canon EOS M50 gekauft, die Jonas zuerst modelliert hatte.
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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.