Ratgeber
DIY-Mikrofon: ASMR für Nerds
von Thomas Kunz
Wie lässt sich der Sound eines Kopfhörers in einem Test nachvollziehbar machen? Meine Idee: Statt vager Beschreibungen wie «hat ordentlich Bass» zeichne ich den Sound auf.
Meine Kopfhörertests waren bislang immer subjektiv und die Resultate nicht eins zu eins auf andere Menschen übertragbar. Ein Kopfhörer, der für mich bequem ist, kann für eine andere Kopfform unpassend sein. Noch schwieriger wird es beim Sound: Es ist unmöglich, dessen Charakteristik so zu beschreiben, dass eine andere Person genau versteht, was ich meine. Wenn ich schreibe, der Kopfhörer klinge basslastig, ist das zu wenig genau. Und ausserdem musst du mir das einfach glauben, du kannst es nicht selbst nachprüfen.
Ich bin schon lange unzufrieden mit dieser Situation, habe aber bislang keine Lösung gefunden. Für Labormessungen sind wir weder eingerichtet, noch verfügen wir über das nötige Spezialwissen. Ausserdem sind Labormessungen oft realitätsfremd: Man misst Dinge, die im Alltag irrelevant sind. Dann doch lieber ein subjektiver Befund, der auf realen Erfahrungen basiert.
Vor einigen Wochen bin ich auf das 3Dio FS II Pro gestossen. Das ist ein professionelles binaurales Mikrofon. Auf das Gerät lassen sich Kopfhörer montieren. In den beiden Ohren befinden sich Mikrofone, die den Sound so aufzeichnen, wie sie ein menschliches Ohr hören würde – zumindest ungefähr.
Natürlich wirst du den aufgezeichneten Sound nicht so hören, wie er ursprünglich aus dem Kopfhörer kommt. Denn die Wiedergabe wird durch deinen eigenen Kopfhörer oder Lautsprecher geprägt. Aber dennoch ist es so möglich, verschiedene Modelle zu vergleichen. Dass das funktioniert, zeigt das folgende Video: Egal, mit welchem Kopfhörer, du hörst, dass die Apple Airpods Max anders klingen als der Sony XM5.
Das 3Dio FS II Pro kostet 2000 Dollar. Plus etwa 70 Dollar Versandkosten. Das binaurale Mikrofon Neumann KU-100 bewegt sich gar etwa im Bereich von 8000 Franken, Dollar oder Euro. Von 3Dio gibt es auch ein günstigeres Modell, das aber tiefe Töne unter 60 Hertz nicht aufzeichnet. Das wäre für einen Kopfhörertest nicht sinnvoll.
Das ist ziemlich viel Geld für etwas, wovon nicht klar ist, ob es den Zweck erfüllt. Daher will ich zuerst einmal das Verfahren mit einfacheren Mitteln testen. Kollege Thomas Kunz hat vor einiger Zeit ein binaurales Mikrofon selbst gebastelt, um Raumklang besser aufzunehmen und uns mit kuschelig-gruseligem ASMR zu beglücken. Dieses Mikrofon benutze ich für erste Gehversuche.
Ich montiere also Toms binaurales Mikrofon auf eine Kamera und stöpsle es im Mikrofoneingang ein. Die Kamera dient als Halterung für das Mikrofon. Die Aufzeichnung direkt auf den Computer setzt zudem ein passendes Audio-Interface voraus.
Als Erstes setze ich meinen Sennheiser Momentum 2 aufs Mikrofon auf.
Die Hörermuscheln liegen neben den Ohren nicht auf einer Fläche auf, sondern hängen frei in der Luft. Das ist sicher nicht optimal, denn die Ohrmuscheln haben einen grossen Einfluss auf das Klangbild. Dennoch lasse ich ein paar Teststücke über den Kopfhörer laufen und zeichne mit der Kamera den Ton auf. Dann wiederhole ich dasselbe mit zwei anderen Kopfhörern, die ich gerade bei mir habe: dem Sennheiser HD449 und dem Skullcandy Crusher ANC. Das sind jetzt nicht die interessantesten Kopfhörer, aber sie klingen alle sehr unterschiedlich und sind daher für einen ersten Test geeignet.
Von diesem Experiment habe ich nicht allzu viel erwartet und bin positiv überrascht: Ich höre einen deutlichen Unterschied im Klang aller drei Kopfhörer. Die Charakteristik bleibt über mehrere Aufnahmen gleich und widerspiegelt die tatsächlichen Klangeigenschaften. Der HD449 klingt sehr mittenbetont, fast etwas hohl und offener als die beiden anderen. Der Skullcandy Crusher betont vor allem die Höhen, wenn die bizarre Bass-Vibration ausgeschaltet ist. Der Sennheiser Momentum 2 klingt ausgewogen und kräftig.
Aber hör selbst.
In einer zweiten Version habe ich zusätzlich die Original-Sounddatei eingebunden; allerdings klingt diese so anders, dass es von den Unterschieden zwischen den Kopfhörer-Aufnahmen ablenkt.
Für echte Tests müsste aber noch einiges optimiert werden. Das beginnt bei der Wahl der Teststücke. Es kommen nur Aufnahmen in Frage, die nicht urheberrechtlich geschützt sind, sonst sperrt Youtube das Video. Hier habe ich eine selbst gemachte Aufnahme gewählt, was natürlich nicht optimal ist. Sorry für die schlechte Produktion und die Fehler im Timing.
Ein verlässlicher Test müsste zudem die Kopfhörer auf einer Fläche aufliegen lassen, sodass die Seiten geschlossen sind.
Das grösste Problem bleibt aber, dass du die Aufnahme nie so hörst, wie sie im Original geklungen hat. Übrigens auch dann nicht, wenn du sie mit dem getesteten Kopfhörer abhörst. Im Gegenteil: Die Besonderheiten des Kopfhörers verstärken sich, sodass die Aufnahme extrem unausgewogen klingt. Der Skullcandy Crusher klingt auf dem Skullcandy Crusher extrem höhenlastig mit viel zu wenig Mitten. Auf dem HD449 klingt er hingegen akzeptabel, während der HD449 viel zu mittig klingt. Das bedeutet: Wenn etwas nicht gut klingt, liegt das nicht zwingend an der Qualität des Kopfhörers, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit an einer ungünstigen Kombination von Testgerät und Wiedergabegerät.
Durch eine grafische Darstellung des Klangspektrums könnte ich hier möglicherweise mehr Objektivität schaffen. Diese wäre immer gleich, unabhängig vom genutzten Lautsprecher. So weit bin ich aber noch nicht.
In-Ear-Kopfhörer so zu testen, wäre nochmal schwieriger. Die Mikrofone liegen bei Toms Ohrenmikrofon in der Ohrmuschel jetzt ungefähr da, wo ein In-Ear platziert würde. Ich müsste also hinter der Ohrmuschel einen künstlichen Gehörgang basteln und die Mikrofone dort platzieren. Ein schwieriges Unterfangen.
Eine Aufnahme eines einzelnen Kopfhörers zu präsentieren, ist vollkommen sinnlos. Der Sound entspricht nicht dem, was du auf deinem Abspielgerät hörst. Potenzial hat die Methode jedoch, wenn es darum geht, mehrere Kopfhörer direkt zu vergleichen. Insbesondere, wenn sich der Vergleich grafisch darstellen lässt. Dass der eine Kopfhörer flacher klingt als der andere, lässt sich unabhängig vom Wiedergabegerät feststellen.
Was denkst du: Lohnt es sich, diesen Weg weiterzuverfolgen und mehr Geld in ein binaurales Mikrofon zu investieren?
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.