Nintendo Emio Switch Der lächelnde Mann, Famicom Detective Club
Switch, IT, FR, DE
Nintendos erstes Ü18-Game bietet ein packendes und bisweilen verstörendes Krimi-Abenteuer. Bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt, dauert es aber eine Weile.
«Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club» ist aus zweierlei Gründen ein historischer Release. Das Krimi-Abenteuer ist das erste von Nintendo mitentwickelte Game, das eine Ü18-Alterseinstufung erhalten hat.
Es ist auch das erste neue Spiel der «Famicom Detective Club»-Spielreihe seit über 30 Jahren. Die zwei Originalspiele erschienen 1988 und 1989 auf dem NES – 2021 wurden sie als Switch-Remakes neu aufgelegt.
Das wunderschön inszenierte Abenteuer erzählt eine spannende Geschichte über einen Serienmörder und urbane Legenden. Die Spielerfahrung ist mehr mit einem interaktiven Buch als einem «traditionellen» Spiel vergleichbar. Das heisst: Du liest ganz viel und spielst eher wenig aktiv mit.
Lässt du dich auf diese spezielle Spielerfahrung ein und bringst ein bisschen Geduld mit, bekommst du einen spannenden und bisweilen verstörenden Krimi-Thriller serviert, den man so von Nintendo nicht erwartet hätte.
Das Detektivbüro Utsugi wird von der Polizei beauftragt, bei der Aufklärung eines mysteriösen Mordes zu helfen. Ich übernehme die Rolle eines namenlosen aufstrebenden Nachwuchsdetektivs und stürze mich in die Ermittlungen.
Ein Schüler wurde an einem abgelegenen Ort im Wald tot aufgefunden. Der Junge wurde mit einem unbekannten Gegenstand stranguliert. Besonders verstörend: Auf dem Kopf des Schülers befindet sich eine alte Papiertüte mit einem aufgemalten lächelnden Gesicht.
Der Tatort erinnert an eine Mordserie, die die Region 18 Jahre zuvor in Angst und Schrecken versetzt hat. Damals wurden innerhalb weniger Monate drei Schulmädchen mit derselben lachenden Papiertüte über dem Kopf tot aufgefunden. Auch sie wurden erwürgt. Der Täter wurde nie geschnappt. Gibt es eine Verbindung zwischen den alten Mordfällen und dem aktuellen Tod des Schülers?
Auf der Suche nach Antworten stosse ich bald schon auf eine urbane Legende, die sich die Anwohner erzählen. Die Legende von Emio, dem lächelnden Mann. Sie besagt, dass ein Mann mit über dem Kopf gestülpter Papiertüte nachts wie ein Geist umherschwirrt. Er sucht nach weinenden Mädchen, um sie zu «trösten» und ihren gequälten Seelen «ewiges Lächeln» zu schenken – mit anderen Worten: Er bringt sie um und stülpt ihnen die Lach-Tüte über den Kopf.
Hat die Legende ihren Ursprung in den Serienmorden? Oder wurde der Mörder durch die Legende inspiriert? Die Geschichte rund um den lächelnden Mann vermischt Fakten mit übernatürlicher Fiktion und macht mir das Ermittlerleben schwer.
Während meiner Ermittlungen untersuche ich die drei Fälle parallel – ich suche nach dem Mörder des strangulierten Schülers, versuche die Mordserie von vor 18 Jahren aufzuklären und trenne in der Legende von Emio brauchbare Fakten von okkulter Fiktion.
Die rund zwölf Stunden lange Geschichte braucht eine Weile, bis sie Fahrt aufnimmt. Das unebene Erzähltempo könnte einige Krimi-Fans noch im ersten Drittel des Spiels abschrecken. Oft habe ich das Gefühl, dass das Game in seiner Erzählung etwas zu viel Zeit mit banalen Details, Nebencharakteren und Nebengeschichten verbringt. Dafür werden spannendere Passagen und Informationen bisweilen zu schnell runtergerattert.
Wenn du dich durch einige zähe Spielpassagen kämpfen kannst und Geduld beweist, wirst du mit zunehmendem Spielverlauf immer mehr belohnt. Es ist unheimlich befriedigend zu sehen, wie alle kleinen Details aus den drei Ermittlungen plötzlich zusammenfinden und Sinn ergeben. Besonders das fulminante, überraschende und verstörende Finale hat es in sich.
An dieser Stelle eine Warnung für zartbesaitete Gemüter: Die Geschichte vom lächelnden Mann ist besonders gegen Ende des Spiels nichts für schwache Nerven.
«Emio» befasst sich mit schweren Themen – unter anderem mit häuslicher Gewalt, Kindesmissbrauch, Suizidgedanken und Selbstverletzungen – und scheut sich nicht, diese Inhalte visuell explizit darzustellen. Im Vergleich zu den vorhergehenden Games geht der neueste Teil gleich mehrere Schritte weiter – die Ü18-Bewertung hat sich «Emio» redlich verdient.
Müsste ich «Emio» einem Genre zuordnen, würde ich das Game irgendwo zwischen interaktiver «Visual Novel» und «Point-and-Click-Adventure» verorten.
Bei meinen Ermittlungen verbringe ich die meiste Zeit im Dialog mit anderen Charakteren. Die Interaktivität in diesen Unterhaltungen ist beschränkt. Ich kann die Charaktere nach vordefinierten Inhaltspunkten ausfragen, über das Gesagte mit einem inneren Monolog nachdenken oder die Spielfiguren inspizieren und nach Hinweisen absuchen. Ab und zu kann ich meinen Gesprächspartnern auch ein Item vor die Nase halten – beispielsweise das Phantombild einer vermissten Person.
Meist verlangt das Spiel von mir, dass ich die Aktionen, die mir im Dialog zur Verfügung stehen, in einer ganz bestimmten Abfolge durchführe. So muss ich, nachdem ich im Gespräch einen Hinweis bekommen habe, oft eine Runde «nachdenken», bevor weitere Dialogoptionen freigeschaltet werden. Einige Fragen muss ich auch mehrmals anwählen, damit die Charaktere endlich mit neuen Informationen rausrücken.
Welche Aktionsreihenfolge ich jeweils durchführen muss, ist nicht immer klar. Ich verkehre nach dem Trial-and-Error-Prinzip und drücke mich immer wieder durch alle mir zur Verfügung stehenden Optionen, in der Hoffnung, dass eine davon die Geschichte vorantreibt. Dieses Spielprinzip wirkt etwas altbacken.
Neueinsteiger in die Serie müssen damit rechnen, dass sie einige Male stecken bleiben, weil das Game nicht klar kommuniziert, was es von einem erwartet. Ich habe mich in den beiden Remakes mit dieser eigenartigen Logik bereits angefreundet und hatte beim Spielen von «Emio» zum Glück keine grösseren Frust-Momente mehr.
Neben den Dialogen darf ich ab und zu auch Umgebungen nach Hinweisen absuchen oder beim «Kombinieren» den aktuellen Ermittlungsstand Revue passieren lassen. In diesen Momenten fragt das Game meinen Wissensstand mit Multiple-Choice-Fragen und anderen Quizformen ab. Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf haben diese Wissenschecks nicht – genauso wenig wie mein Verhalten in den Dialogen. «Emio» erzählt eine lineare Geschichte ohne Verzweigungen und alternative Enden.
Visuell ist «Emio» eine Wucht. Wie schon die beiden Remakes glänzt auch die neue Geschichte mit wunderschönen Charakteren im Anime-Stil. Die Spielfiguren sind in einem faszinierenden Pseudo-3D-Look dargestellt. Auf den ersten Blick sehen sie wie 2D-Figuren aus – wenn sie sich bewegen, wirken sie aber dreidimensional. Zusammen mit den atmosphärischen Hintergründen, die meist mit subtilen Animationen glänzen, ergibt sich ein sehr stimmiges und einzigartiges Gesamtbild.
Gelungen ist auch das Soundbild. Die Hintergrundlieder haben Ohrwurm-Potenzial und sorgen in den unbeschwerten Passagen des Spiels für gute Laune. In den düsteren Abschnitten erzeugen sie eine beklemmende Atmosphäre. Die Sprachausgabe gibt es ausschliesslich auf Japanisch. Der ganze Cast liefert eine überzeugende Leistung ab und die Dialoge sind ausnahmslos hervorragend geschrieben.
«Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club» ist ab dem 29.08. erhältlich für die Switch. Eine Demo ist im Nintendo eShop verfügbar. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Nintendo zur Verfügung gestellt.
«Emio – Der lächelnde Mann» ist ein spannender und bisweilen verstörender Krimi-Thriller. Besonders das letzte Drittel des Spiels hat mich komplett aus den Socken gehauen und mich mit offenem Mund vor dem Bildschirm sitzen lassen. Das unebene Erzähltempo und die altbackene Gameplay-Formel mit Trial-and-Error-Prinzip trüben den exzellenten Gesamteindruck.
Audiovisuell überzeugt «Emio» auf ganzer Linie. Wunderschön gezeichnete Spielcharaktere und Hintergründe erwecken die interaktive Geschichte zum Leben, während der Ohrwurm-Soundtrack für die passende Hintergrundmusik sorgt. Ich hoffe, dass wir nicht weitere 30 Jahre auf ein neues Detektiv-Abenteuer von Nintendo warten müssen.
Pro
Contra
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.