Endstation «Daisy»: Hier schlägt das letzte Stündlein deines iPhones
Apple hat sich vorgenommen, bis 2030 CO2-neutral zu sein. Einen kleinen Teil dazu soll ein Roboter namens «Daisy» beitragen. Die Maschine zerlegt ein iPhone in wenigen Sekunden.
Oh nein, nicht schon wieder so eine Nachhaltigkeitsstory, magst du dir vielleicht jetzt denken. Aber bitte klicke nicht gleich wieder weg! Immerhin bin ich zur Recherche für die Story extra in die niederländische Provinz Nordbrabant gereist, genauer gesagt nach Breda. Dort steht in der Fabrikhalle in einem gesichtslosen Industriegebiet – Industriegebiete sind eigentlich immer gesichtslos – ein Roboter. Er zerlegt alte iPhones so, dass möglichst alle darin steckenden Rohstoffe zurückgewonnen werden können.
Ist das also im Prinzip nichts weiter als bekanntes Elektrorecycling? Ich dachte das zunächst, als ich von Apple zum Besuch bei «Daisy» eingeladen wurde. Und ich bin allergisch gegen Greenwashing-Marketing. Apple hat mir aber versichert, dass man offen reden könne, und dass sogar die Experten für die Nachhaltigkeitsstrategie des Konzerns aus den USA vor Ort seien. Also gut. Zusammen mit einer Handvoll weiterer Journalistinnen und Journalisten ging es in aller Herrgottsfrühe nach Breda. Vieles von dem, was dort erzählt wurde, war «off record», dient also zum Verständnis, darf aber nicht direkt zitiert werden. Das ist im Journalismus durchaus üblich, und Apple ist ja bekannt für einen Hang zur Geheimniskrämerei. Fotografiert oder gefilmt werden darf beim Besuch auch nichts. Nur mit Block und Stift ging es in die meterhohe Halle, gross wie ein Fussballfeld. In einer abgetrennten Sektion steht sie dann: «Daisy». Alle Fotos in diesem Beitrag sind wie das Video von Apple zur Verfügung gestellt worden.
Mit Apple-Leuten über Nachhaltigkeit zu sprechen, ist tatsächlich erquicklicher als etwas über mögliche Produktneuheiten in Erfahrung bringen zu wollen. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass es dort Menschen gibt, denen die Zukunft der Erde und ihre Rolle dabei sehr wichtig ist und die das nötige Kleingeld dafür bekommen, an Lösungen zu tüfteln. Sollte ja drin sein, bei einem Jahresgewinn von 95 Milliarden Dollar im Jahr 2021. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Ghana oder Kroatien.
Erste Versuche für iPhone-Demontage bereits 2012
Aber zurück zu «Daisy». Sie ist kein humanoider Roboter, wie ihn Tesla-Gründer Elon Musk entwickeln lässt. Sie ist vielmehr eine Anordnung von Roboterarmen, die alte iPhones greifen und in ein paar Schritten zerlegen.
Bereits seit 2012 tüftelt Apple daran, wie man iPhones möglichst so demontiert, dass viele der darin verwendeten Rohstoffe wiederverwendet werden können. Vorgänger von «Daisy» war «Liam». Er brauchte damals rund zwölf Minuten, um ein iPhone 5 auseinanderzunehmen. «Liam 2», der im Jahr 2015 und 2016 im Einsatz war, brauchte für das iPhone 6 nur noch 11 Sekunden. Der Roboter war dafür auch 30 Meter lang und im Prinzip eine umgekehrte Fertigungsstrasse – mit 29 Stationen. Den Apple-Ingenieuren war klar, dass so ein Monstrum nicht skalierbar ist, um irgendwann mehrere Millionen Geräte pro Jahr zu demontieren. Noch dazu sehr unterschiedliche iPhone-Typen.
Die Ingenieurinnen und Ingenieure haben deshalb umgedacht. Waren die beiden «Liam» noch so konzipiert, ein iPhone sanft und vorsichtig in Einzelteile zu zerlegen, zum Beispiel durch Aufschrauben, darf «Daisy» heute rabiater arbeiten. Display und Hülle werden aufgespreizt, der Akku herausgetrennt, bis zu 60 Schrauben herausgestanzt und schliesslich die Bauteile durch Rütteln voneinander getrennt.
Die Einzelteile werden anschliessend von Menschenhand sortiert. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass das in einem nächsten Schritt mithilfe von Kameras, die die Form der Teile erkennen, automatisiert wird. Am Ende landen Akkus, Lautsprecher, Hörmodul, Kameramodul, Wifi-Komponente, Hauptplatine oder der Vibrationsmotor in jeweils eigenen grossen Kisten. Das sieht dann immer noch nicht so aus, als könnte man daraus neue iPhone-Teile herstellen. Deshalb übernehmen nachher weitere Roboter. Zum Beispiel «Dave», der aus dem Vibrationsmotor, bei Apple Taptic Engine genannt, Seltene-Erde-Magnete, Wolfram und Stahl zurückgewinnt (hier im Video zu sehen).
«Taz» schliesslich ist eine Maschine, die eine neue Schredder-ähnliche Technologie einsetzt, um Magnete aus den Audiokomponenten abzutrennen und mehr Seltene Erden zurückzugewinnen. Im Recycling-Bereich arbeitet Apple mit der Carnegie Mellon University in Pittsburgh zusammen, unter anderem um Elektroschrott noch besser sortieren zu können.
«Daisy» ist nicht ausgelastet
Bis zu 1,2 Millionen iPhones könnte «Daisy» in Breda pro Jahr zerlegen. In Austin im US-Bundesstaat Texas, wo eine zweite baugleiche «Daisy» steht, wäre noch einmal die gleiche Menge möglich. Wie viele iPhones genau bei Apple demontiert werden, verrät niemand. Aber es wird auch kein Geheimnis darum gemacht, dass mehr möglich wären. Ausgelastet sind beide Maschinen derzeit nicht.
Für die Umwelt wäre das Recycling jedenfalls ein Gewinn. Eine Tonne iPhone-Komponenten, die von «Daisy» entfernt werden, enthält so viel Gold und Kupfer wie 150 Tonnen Erz aus einem Bergwerk. So hat Recyclingmaterial einen wesentlich geringeren CO2-Fussabdruck.
Und Apple setzt zunehmend dieses wiederaufbereitete Material für neue Geräte ein. So enthielten alle 2021 vorgestellten neuen Produkte rezyklierte Seltene-Erde-Materialien. Nicht komplett, aber immerhin grössere Anteile. Bei Aluminium sind iPad und Macbook die Vorreiter: Die Cases sind inzwischen zu 100 Prozent aus recyceltem Material gefertigt, wie im jährlichen Umweltbericht von Apple nachzulesen ist.
Langlebige Produkte sind besser als Recycling
«Daisy» ist der Bestatter, wenn ein iPhone endgültig seine Seele ausgehaucht hat. Das Lebensende eines elektronischen Geräts bietet sich als Zeitpunkt an, um eine Ökobilanz zu ziehen. Der ökologische Fussabdruck eines iPhones, gemessen in CO2, ist besonders durch die Herstellung und die benötigten Rohstoffe gross. Konkret entstehen 70 Prozent des gesamten CO2 bei der Produktion, dagegen nur 22 Prozent während des Gebrauchs. Die restlichen acht Prozent gehen auf das Konto von Verpackung und Transport.
Deshalb setzt Apple den Hebel in der Produktion und beim Material an. In den vergangenen Jahren ist der CO2-Ausstoss über die Lebenszeit bei iPhones bereits deutlich geringer geworden.
Zur Einordnung der Zahlen in der Grafik: Eine 350-Kilometer-Fahrt mit einem durchschnittlichen Verbrenner-Auto verursacht ähnlich viel CO2 wie ein neues iPhone. Ein einfacher Flug von Zürich nach Hamburg ist mit 173 Kilogramm dagegen deutlich CO2-intensiver.
Zusätzlich positiv wirkt sich bei Apple aus, dass iPhones in der Regel deutlich länger in Gebrauch sind als Smartphones der Konkurrenz – Fairphone vielleicht ausgenommen. Die Anfangsschuld durch die Produktion verteilt sich so auf einen längeren Nutzungszeitraum. Wie lange exakt ein iPhone im Durchschnitt genutzt wird, weiss auch Apple nicht. Bekannt ist, dass ein gebraucht gekauftes iPhone mindestens noch einmal genauso lange von dieser Person genutzt wird wie von der, die es neu gekauft hat. Dazu trägt Apples Update-Politik bei, die in der Regel fünf Jahre nach Erscheinen eines Modells die aktuelle iOS-Version verspricht. Und auch ältere Geräte laufen weiter, dann einfach mit der älteren Version. Entsprechend erzielen Apple-Geräte bei Rebuy-Händlern noch gute Preise. Auch auf der Wiederverkaufsplattform von Digitec finden sich zahlreiche iPhone-Modelle, wenn auch bei weitem nicht so viele wie bei den Schweizer Plattformen Ricardo oder Tutti oder bei E-Bay in Deutschland und Österreich.
Bei Android-Geräten ist der Zeitraum, in dem Software-Updates geliefert werden, je nach Hersteller kürzer. Jedoch versuchen vor allem die grossen Marken näher an Apple heranzukommen.
Ich trenne mich von meinem kaputten iPhone X
Nach vier Stunden Programm mit Roboter-Besichtigung und einigen spannenden Gesprächen weiss ich: Apples «Daisy» wird sicher nicht alleine die Welt retten können. 2021 wurden fast 240 Millionen iPhones verkauft. Die bei Apple recycelte Menge ist nur ein Prozent davon. Hat nicht Apple selbst so erzählt, sondern ist von mir recht einfach auszurechnen gewesen.
Fakt ist: Es landen also noch zu viele Geräte im normalen Recycling oder verstauben schlicht in Schubladen. Auch ich habe ein älteres iPhone-Modell, das keinen Mucks mehr macht. Ich hätte es am liebsten direkt «Daisy» in den Schlund gesteckt, aber das war aus irgendwelchen Sicherheitsgründen nicht möglich. So werde ich mich demnächst aufraffen und es zum Apple Store tragen und kostenlos recyceln lassen. Wenn du das jetzt zusammen mit vielen weiteren Leserinnen und Lesern dieses Beitrags machst, freut sich «Daisy» – und die CO2-Emissionen, die mein Trip nach Holland verursacht sind, sind kompensiert.
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.