«Fantasian Neo Dimension» ist ein Meisterwerk
Kritik

«Fantasian Neo Dimension» ist ein Meisterwerk

Kevin Hofer
4.12.2024

«Final Fantasy»-Serienschöpfer Hironobu Sakaguchi katapultiert mich mit «Fantasian Neo Dimension» zurück ans Ende der neunziger Jahre. In die glorreiche Zeit der PS1-JRPGs. Ich liebe es!

Endlich kommen auch Nicht-Apple-User in den Genuss dieses Meisterwerks von Altmeister Sakaguchi und Komponist Nobuo Uematsu. «Fantasian Neo Dimension» ist eine Liebeserklärung an Klassiker wie «Final Fantasy VII-IX» – inklusive vorgerenderter Hintergründe, die auf handgefertigten Dioramen basieren. Aber nicht nur optisch erinnert das Game an den Charme vergangener «Final Fantasy»-Spiele. Vor allem die liebenswerten Charaktere in einer altbekannten Story machen «Fantasian» für mich zu einem versteckten Meisterwerk.

Alte Story-Formel, die von tollen Charakteren lebt

Hauptcharakter Leo ist ein Reisender zwischen den Dimensionen, der optisch das Kind von 2B und 9S aus «Nier: Automata» sein könnte. Zu Beginn des Spiels leidet er – halt dich fest – unter Amnesie. Mit diesem kaum je verwendeten JRPG-Klischee macht er sich auf die Suche nach seinen Erinnerungen. Von diesen Klischees bedient «Fantasian Neo Dimension»» diverse – ein Dreiecksverhältnis und perverse alte Männer inklusive. Wo mich das in anderen Spielen stören würde, liebe ich es hier. Es passt einfach perfekt zum Stil des Spiels und meine Erinnerungen an meine Jugend mit genau solchen Spielen.

Hauptcharakter Leo, links, befindet sich in einem klassischen Dreiecksverhältnis.
Hauptcharakter Leo, links, befindet sich in einem klassischen Dreiecksverhältnis.
Quelle: Square Enix

Die Charaktere sind derart liebenswert und entwickeln sich im Laufe des Spiels, dass ich die plumpe Story-Prämisse – selbstverständlich müssen Leo und Co. die Welt retten – vergesse und mich voll und ganz auf die Protagonistinnen und Protagonisten konzentriere. Sakaguchi hat es einfach nach wie vor drauf, tolle Charaktere zu schreiben.

Prickle und Clicker sind Teil einer Roboter-Revolution.
Prickle und Clicker sind Teil einer Roboter-Revolution.
Quelle: Square Enix

Da ist die etwas naive Kina, die wie Leo ihre Herkunft sucht. Oder die erst überheblich wirkende angehende Königin Cheryl, die später dann doch liebevoll und besonnen ist. Oder die Revoluzzer-Roboter Prickel und Clicker, die lieber Chaos als Ordnung haben. Oder die mysteriösen Tan und Valrika. Und dann ist da noch der alte Seebär Zinikr, der sich immer herzlich mit dem jungen Erfinder Ez zankt.

Ebenso nach wie vor drauf hat es «Final Fantasy»-Hauskomponist Nobuo Uematsu. Der Soundtrack ist schlicht eine Wucht. Die orchestralen oder Synthesizer-anmutenden Klänge passen perfekt zu den diversen Schauplätzen.

Neben der Erzählweise in Spielegrafik wird die Vergangenheit der Charaktere in Buchform erzählt. Dabei erscheint Text vor einem gezeichneten Hintergrund. Eine Erzählerstimme beschreibt die Szenen, und die Charaktere geben ihre Texte zum Besten. Persönlich hätte ich mir diese Passagen auch in Spielegrafik gewünscht, da sie ein krasser Bruch in der Präsentation und Erzählweise sind. Diese Form ist mir zu offensichtlich in der Beschreibung der Emotionen. In einem Spiel will ich das sehen und nicht lesen.

Die Buch-ähnlichen Erzählpassagen gefallen mir weniger.
Die Buch-ähnlichen Erzählpassagen gefallen mir weniger.
Quelle: Squre Enix

Ist die Geschichte an sich ausgelutscht, ist das Pacing super. Ich verbringe an keinem Ort länger als nötig und ziehe dann weiter in neue Gefilde. Klar lohnt es sich, die zahlreichen Schauplätze immer mal wieder zu besuchen. Zwischendurch muss ich das auch. Es fühlt sich aber nie so an, als ob mich die Entwickler an einem Ort behalten wollen, weil sie viel Zeit in dessen Entwicklung gesteckt haben. Dabei kann ich mich an gewissen Szenen gar nicht satt sehen.

Die Sidequests sind nicht die originellsten. Meist sind es Fetch-Quests, bei denen es noch einen Boss zu besiegen gilt. In den meisten Fällen bieten sie aber einen vertieften Einblick in die Welt von «Fantasian Neo Dimension» oder tragen zur Charakterentwicklung bei. Wie das Pacing der Geschichte, ziehen sie sich nicht zu lange hin und lohnen sich deshalb allemal.

Das Comeback der vorgerenderten Hintergründe

Ich bin ein riesiger Fan vorgerenderter Hintergründe. Als beim Generationenwechsel von der PS1 auf die PS2 diese immer mehr in Echtzeit-gerenderten wichen, habe ich etliche Tränen verdrückt. «Fantasian» bringt diese jetzt zurück – und wie. Über 150 Dioramen wurden von Hand gefertigt und digitalisiert. So laufe ich mit Leo und Co. durch diese Mini-Welten, die einfach nur zauberhaft sind. Von schneebedeckten Bergen über riesige Städte, weiter über eine Welt im Endzeit-Modus oder eine hoch technologisierte – Fantasian hat einfach alles.

Die Ortschaften sind einfach nur schön.
Die Ortschaften sind einfach nur schön.
Quelle: Square Enix

Falls ich mal nicht zu Fuss gehen möchte, kann ich mit dem Feature «Move» zu bestimmten Punkten reisen, die auf der jeweiligen Karte markiert sind. Später im Spiel erhalte ich dann noch ein Warp-Gerät, das es mir erlaubt, mich an bereits besuchte Orte zu teleportieren.

Die Steuerung bei Kamerawechseln ist gewöhnungsbedürftig.
Die Steuerung bei Kamerawechseln ist gewöhnungsbedürftig.
Quelle: Square Enix

Einziger Kritikpunkt an der sonst gelungenen Präsentation ist die Steuerung. Wie üblich für vorgerenderte Hintergründe habe ich keine Kontrolle über die Kamera – die Perspektive wechselt automatisch. Je nach Sichtwinkel muss ich dann den Stick meines Controllers neu ausrichten, damit ich nicht in die falsche Richtung laufe. Das ist gewöhnungsbedürftig.

Trotz der relativ hohen Rate an zufälligen Begegnungen mit Gegnern habe ich genug Zeit, die Örtlichkeiten zu erkunden und aufzusaugen. Grund dafür ist das sogenannte Dimengeon-System.

Verschobene, aber nicht aufgehobene Kämpfe dank Dimengeon

Gekämpft wird in «Fantasian Neo Dimension» genre-typisch rundenbasiert. Wie bei klassischen JRPGs üblich, sehe ich die Gegner in der Welt nicht, sondern begegne ihnen zufällig, wobei Kämpfe in einem separaten Bildschirm ausgetragen werden. Zu den klassischen kommen Dimengeon-Kämpfe hinzu.

Bei den Dimengeon-Kämpfen trete ich gegen gesammelte Gegner an.
Bei den Dimengeon-Kämpfen trete ich gegen gesammelte Gegner an.
Quelle: Square Enix

Leo besitzt ein Gerät, das Gegner in eine andere Dimension transportiert, den Dimengeon. Hier warten sie darauf, von mir erledigt zu werden. Kämpfen muss ich also dennoch. Die Maschine hat eine gewisse Kapazität, überschreitet sie diese, wird der Kampf automatisch gestartet. Ich kann ihn aber auch manuell beginnen oder die Maschine deaktivieren. Durch Sidequests erweitere ich zudem seine Kapazität. Während dieser Kämpfe erscheinen sogenannte Dimengeon-Gimmicks. Wenn ich diese attackiere, erhalte ich Boni wie Extrazüge oder erhöhte Angriffskraft.

Bewährtes Kampfsystem mit Twist

Sonst laufen die Kämpfe in gewohnter Manier ab. Ich wähle zwischen physischen Angriffen, Magie, Spezialattacken oder Gegenständen aus.

Der Kampfscreen bei einem Bosskampf.
Der Kampfscreen bei einem Bosskampf.
Quelle: Square Enix

Jede Fertigkeit und jeder Angriff verfügt über unterschiedliche Flugbahnen. Etwa gerade Linien, die je nachdem auch durch mehrere Gegner hindurchgehen oder Kurven und Flächeneffekte. Das bringt, vor allem bei den Dimengeon-Kämpfen, zusätzliche strategische Elemente mit sich.

Alle Charaktere verfügen über einzigartige Fähigkeiten. Zu Beginn lernen sie neue automatisch bei Levelaufstieg. Später kann ich die Fähigkeiten auf einer Wachstumskarte vergeben und so meinem Spielstil anpassen. Einmal erlernte Fähigkeiten kann ich auch wieder vergessen und so andere lernen. Das ist zwischendurch auch erforderlich, da gewisse Gegner andere Skills erfordern.

Im Gegensatz zu anderen JRPGs bin ich trotz der Variation in der Fertigkeitenentwicklung auf alle Protagonistinnen und Protagonisten im Kampf angewiesen, da nicht alle dieselben Fähigkeiten haben. Ich kann sie fliessend im Kampf tauschen. Manche Gegner, hauptsächlich die Bosse, erfordern gewisse Fertigkeiten, damit ich sie besiegen kann. So kann etwa Ez ein Vakuum erzeugen, das Gegner an einem gewissen Ort bündelt. Bei einem Kampf muss ich das machen, sonst kann ich ihn unmöglich gewinnen.

Die Wachstumskarte von Leo.
Die Wachstumskarte von Leo.
Quelle: Square Enix

Insgesamt machen die Kämpfe Spass. Wirkliche Herausforderungen sind vor allem die Bosskämpfe – und das auch im vermeintlich einfacheren Schwierigkeitsgrad. Einfach draufhauen reicht nicht. Ich muss mir eine Strategie zurechtlegen, sonst beisse ich ins virtuelle Gras.

Damit ich für den Kampf bereit bin, rüste ich meine Charaktere entsprechend aus. Neben Waffe und Rüstung stehen Edelsteine zur Verfügung, die Statuswerte erhöhen oder Resistenzen gewähren. Hier habe ich einen weiteren, kleinen Kritikpunkt: Will ich etwa einen Edelstein ausrüsten, den bereits andere Charaktere ausgerüstet haben, kann ich nicht auswählen, wem ich ihn wegnehmen will. Das muss ich manuell beim entsprechenden Charakter tun, sonst wird er zufällig entfernt. Das möchte ich beim Ausrüsten auswählen können. Es ist mir mehr als einmal passiert, dass der Edelstein der falschen Person weggenommen wurde und ich deshalb einen Bosskampf nicht geschafft habe.

Die Ausrüstungsgegenstände haben unterschiedliche Eigenschaften.
Die Ausrüstungsgegenstände haben unterschiedliche Eigenschaften.
Quelle: Square Enix

«Fantasian Neo Dimension» erscheint am 5. Dezember 2024 für Switch, PC, PlayStation 4 und 5 sowie Xbox Series. Das Spiel wurde mir von Square Enix zu Testzwecken für den PC zur Verfügung gestellt.

Fazit

Das PS1-«Final Fantasy» aus einer alternativen Realität

Mit «Fantasian Neo Dimension» bringt «Final Fantasy»-Schöpfer Hironobu Sakaguchi das Feeling der alten PS1 JRPGs in die heutige Zeit. Trotz der offensichtlichen Inspiration wirkt das Spiel dank modernerer Gameplay-Elemente nicht angestaubt, sondern im Gegenteil modern und herausfordernd. Die Story bietet dabei Altbekanntes, begeistert mich aufgrund der tollen Charaktere dennoch.

Die Präsentation mit vorgerenderten Hintergründen, die auf handgefertigten Dioramen basiert, ist einfach nur Spitze. Hinzu kommt der geniale Soundtrack von Nobuo Uematsu.

Zu kritisieren habe ich nur Kleinigkeiten, wie etwa die zu Beginn gewöhnungsbedürftige Steuerung und ein Detail bei der Menüführung. Auch die an manchen Stellen Graphic-Novel-mässige Erzählweise gefällt mir nicht.

Dennoch: Liebst du die PS1 «Final Fantasy»-Spiele, wirst du wie ich «Fantasian Neo Dimension» vergöttern.

Pro

  • tolle Charaktere
  • geniale Präsentation und Soundtrack
  • bekanntes, aber spassiges Kampfsystem
  • zahlreiche Quality of Life Features

Contra

  • gewöhnungsbedürftige Steuerung
  • Graphic Novel Passagen
Titelbild: Square Enix

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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