Feministische Pornos holen ein Genre aus der Schmuddelecke
Hintergrund

Feministische Pornos holen ein Genre aus der Schmuddelecke

Porno statt PorNO: Genitalien in Großaufnahme oder doch lieber Sex jenseits von Rollen- und Geschlechterklischees? Der FemPorn soll ein erotisches Gegengewicht zu «Gonzo» und «Male Gaze» bieten.

Einst stand ich in Diensten eines Herrenmagazins und war ebendort für die Sex-Storys verantwortlich. Die meisten waren derart explizit, dass ich unter einem Künstlernamen schrieb: Pandora. Meine «Alter Ego». Als Print noch groß war und die Budgets ebenso, reiste ich für eine Reportage in einen Vorort von Barcelona. Dort hatte sich die europäische Hochglanz-Porno-Industrie niedergelassen, während aus Amerika kommend der «Gonzo» seinen Siegeszug antrat: Billig produzierte Rammelfilme mit vielen Close-Ups.

Ich jedoch durfte ans Set eines Filmes, der unter menschenwürdigen Bedingungen gedreht wurde. Mit Script, tollen Kameras, Kostümen und Make-Up, Set-Design, Catering, ausreichend Pausen, versicherten Darstellerinnen und Darstellern und Freude an der Arbeit. «Private Films», so hieß die Produktionsfirma und einst war sie ein Garant für ein gewisses Niveau.

Nachhaltig beeindruckte mich aber eine junge Dame, die ich am letzten Abend meines Trips kennenlernte, und zwar auf der Premierenfeier eines ganz besonderen Films. Ihr Name: Erika Lust. Ein Künstlername versteht sich. Die talentierte Schwedin hatte sich in den Kopf gesetzt, die weibliche Zielgruppe als Pornoproduzentin zu erobern. Ihre Freundinnen und Freunde, hatten sich in ihrer Stadtwohnung zur Begutachtung des Erstlingswerkes «The Good Girl» versammelt. Die klassische Geschichte vom Pizzaboy, der nicht nur die Pizza liefert. Aber das perfekt inszeniert – bis hin zum Bezug des Sofas. Als Backgroundmusik plätscherte statt dem üblichen Gedudel «Beautiful Day» von U2 dahin. Der Fokus? Lag eindeutig auf dem weiblichen Blickwinkel.

Ja, auch ein Porno kann Filmgeschichte schreiben

Und zum ersten Mal sah ich in einem Pornofilm etwas für dieses Genre vollkommen Neues: authentische Lust. Und Lebensfreude. Es war 2003, als «The Good Girl» erotische Filmgeschichte schrieb: Im ersten Monat nutzten zwei Millionen Menschen den Free Download Link im Internet, 2004 wurde er beim Internationalen Erotik Film Festival in Barcelona als bester Kurzfilm ausgezeichnet. Ermutigt durch den Erfolg, gründete Erika ihre eigene Produktionsfirma «Lust Films».

Mittlerweile hat das Unternehmen mehr als 20 Angestellte, vertreibt außer Filmen auch Bücher und erotisches Spielzeug und hat die «xconfessions» ins Leben gerufen: Menschen wie du und ich erzählen ihre erotischen Fantasien auf der Website, Erika wählt daraus Geschichten aus und verwandelt sie in Filme. Der Siegeszug der Pornographie aus Frauenhand (oder zumindest mit Fokus auf weibliche Bedürfnisse) hatte begonnen. Und daran kann – ich betone, dass ich hier nur meine private Meinung wiedergebe – nichts Schlechtes sein.

Was Frauen bei Pornos anturnt? Fast das Gleiche wie Männer (Blümchensex jedenfalls nicht)

Pornographie fällt cineastisch betrachtet wohl unter »SciFi/Fantasy« – fast alles ist möglich und ganz sicher alles überzeichnet. Porno ist roh und grell und entspricht in vielerlei Hinsicht nicht der Realität. Finde ich okay. Für mich dürfen Pornos ruhig ihrem Klischee entsprechen – die Wirklichkeit ist mir wirklich genug.

Kaum jemand glaubt ernsthaft (Minderjährige natürlich zum Teil ausgenommen – die Übersexualisierung der noch unerfahrenen Jugend ist ein veritables Problem!), dass ein durchschnittlicher Penis 30 Zentimeter lang und eine durchschnittliche Vulva haarlos und rosa ist. Und höchstens eine Minderheit findet es wohl erstrebenswert, mit Sperma von einer ganzen Horde Fremder bedeckt zu werden.

Aber wie sieht sie aus, diese Wirklichkeit? Brauchen Frauen in Pornofilmen tatsächlich groß Handlung und Zärtlichkeit bis hin zur Romantik? Und stumpfen diese wirklich ab, machen süchtig und langfristig unglücklich? Für eine seriöse internationale Forschungsarbeit aus dem Jahr 2022 wurden 2433 Frauen anonym zu ihrem Sexleben befragt. Frauen, die Pornos bei der Selbstbefriedigung ansahen, zeigten ein höheres Interesse an Sex, masturbierten häufiger, hatten geringere Erregungsschwierigkeiten bei der Selbstbefriedigung und wurden auch beim Sex mit einem Partner leichter erregt. Zum Thema der inhaltlichen Gestaltung der Filme habe ich gerade eine aktuelle Studie auf dem Schirm. Die Arbeit der finnischen Medienforscherin Susanna Paasonen untermauert: Frauen fühlen sich von einer ähnlichen inhaltlichen Bandbreite pornografischer Darstellungen angezogen wie Männer.

2000 Frauen beantworteten dazu detaillierte Fragen zu ihrem Pornokonsumverhalten – Blümchensex war da kaum dabei. Sondern Dominanz, Rudelbumsen, Fesselspiele bis hin zum SM. Besonders interessant: Viele der Befragten, die angaben, durch Gewaltpornos erregt worden zu sein, notierten, sie würden diese Art von Sexualverhalten nicht mit ihrem Partner ausüben wollen. Sie brachten zum Ausdruck, dass sie Pornos als Fantasie verstehen und nicht als Abbild der Realität. Kein Spiegelbild, kein Ersatz, sondern: einfach eine Facette der Erotik.

FemPorn: Anders ist die Art und Weise, wie mit Körpern und Sexualität Geschäft gemacht wird

Und innerhalb dieser Facette gibt es viele weitere: harten Sex, Genitalien in Großaufnahme und Spucke statt Gleitmittel – aber auch Emotionalität, Körpersprache und Experimentierfreude. Auf meinem Nachtkästchen liegt gerade ein Buch mit dem bezaubernden Titel «Feminismus fickt». Das Wissen von Patrick Catuz, der gemeinsam mit der ehemaligen Opernsängerin Adrineh Simonian hinter «Arthouse Vienna» steckt, stammt nicht aus grauer Theorie: Als Co-Gestalter einer Plattform für anspruchsvolle Adult-Movies kennt er die zeitgenössische Debatte, ob Pornos auch gleichberechtigt gestaltet werden können. Ein Zitat aus seinem Buch: «Feministische Pornographie ist ein junges Phänomen und doch nur der konsequente nächste Schritt. Nun gibt es auch Pornofilme, die von Frauen und für Frauen gemacht werden. Produktionen, die sich von den Gepflogenheiten der herkömmlichen Pornoindustrie deutlich unterscheiden. Sie ändern die Art und Weise, wie mit Körpern und Sexualität Geschäft gemacht wird. Es ist also nicht nur ein symbolischer Kampf.»

Der Mann weiß, wovon er spricht. Produziert und auf seiner Streamingplattform zugelassen werden ausschließlich Werke von Filmemacherinnen und -machern, die nach ethischen und feministischen Werten arbeiten, um einen Safe Space für Zusehende wie Filmemachende zu schaffen. Alle involvierten Personen arbeiten zu fairen Konditionen. Die Diversität von Gender, Ethnie und sozialer Klasse stehen an oberster Stelle – und auch die Stilrichtungen reichen bis hin zu Bondage und BDSM.

Nun gibt es also alles: Pornofilme, die für den «male gaze», also den männlichen Blick, geschaffen werden. Und feministische Pornografie, die die Lust der Frau ins Zentrum rückt, jenseits von Rollen- und Geschlechterklischees. Heute steht deutlich mehr Auswahl auf dem Markt zur Verfügung als damals, 2003 in Barcelona. Das Angebot erreicht sowohl Geilspechte als auch Feinspitze (Anmerkung: Österreichisch für Feinschmecker). Diversität eben – in allen Positionen von queer bis straight, von blumig bis schmutzig.

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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