Filmkritik: «The Suicide Squad» – Schrecklich brutal, aber verflucht genial
Brutal. Brutaler. «The Suicide Squad». Und doch steckt hinter all der Gewalt eine ergreifende Story mit glaubwürdigen Charakteren. Ganz klar: DCs Cinematic Universe ist wieder da.
Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur das, was aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt ist.
Wiedergutmachung. Zweite Chancen. Regisseur James Gunn kann ein Lied davon singen. 2018 verlor er seinen «Guardians of the Galaxy, Vol.3»-Regieposten. Nämlich, weil zehn Jahre alte, schlimme und höchst fragwürdige Tweets von Gunn, die er längst gelöscht hatte, zu Tage gefördert worden waren. Dann das Mea Culpa. Ein Jahr später die Rehabilitation: Gunn darf «Guardians 3» doch noch machen.
In der Zwischenzeit wechselte er kurzzeitig das Lager. Von Marvel zu DC. Wiedergutmachung? Zweite Chance? Bestimmt. Da gibt’s nämlich das 2016er «Suicide Squad», DCs bisher grösste Niederlage. Gunn hat sich dem gescheiterten Film angenommen. Seine Seele und sein Herz reingesteckt.
Rausgekommen ist «The Suicide Squad», eine grossartig unterhaltsame Fortsetzung, die ganz neue Wege geht und dank ihrem neuen R-Rating eher ein Soft-Reboot ist.
Die Geschichte der zweiten Chancen
Eigentlich heisst sie ja «Task Force X», die von der Regierung sanktionierte, aus inhaftierten Schurken bestehende Black-Ops-Einheit, die im Falle ihres Todes niemand vermissen würde. Gegründet hat sie die skrupellose ARGUS-Direktorin Amanda Waller (Viola Davis). Ihr Plan: Sie im Austausch gegen abgemilderte Gefängnisstrafen auf Selbstmordmissionen zu schicken, für die sich die Regierung niemals selbst die Hände schmutzig machen würde.
«Ich würde alles tun, um aus diesem Höllenloch rauszukommen», sagt einer der Inhaftierten.
«Willkommen bei ‘Alles’», antwortet Amanda Waller.
Eine zweite, dem Tode geweihte Chance. Darum: der Suicide Squad.
Problemherd des Tages: Ein fiktiver Inselstaat, der irgendwie an Kuba erinnert. Denn nach einem Militärputsch ist der neuen, bösen Regierung «Project Starfish» in die Hände gefallen – eine Superwaffe, die gegen Amerika eingesetzt werden könnte. Der Auftrag des Suicide Squads: Rein da, das Projekt und jegliche Beweise vernichten, raus da.
Unauffällig.
Höhö.
Aus dem herrlich schrecklichen Verstand Gunns
Es ist, als ob James Gunn für diesen Regieposten geboren worden wäre. Denn dass er alles andere als generisch wirkende Big-Budget-Superheldenfilme kann, ist seit «Guardians of the Galaxy» kein Geheimnis mehr. Auch nicht, dass er mit ultra-gewaltsamen Filmen gerne mal die Grenzen des guten Geschmacks auslotet. Das hat sein 2010er «Super» bewiesen.
«The Suicide Squad» ist ein Mix aus beidem.
Was sonst sollen mir die Opening-Credits sagen? Die buchstabieren den Filmtitel im Blut eines frisch explodierten Kopfs, garniert von dessen übrig gebliebenen Fleisch- und Gehirnfetzen. Wer kommt auf sowas, wenn nicht der schrecklich talentierte, aber mindestens genauso verrückte Gunn?
Das ist nur der Anfang. Glaub mir: «The Suicide Squad» ist nichts für schwache Mägen. Nicht mal die ultrabrutale Superhelden-Persiflage «The Boys» kriegt soviel Blut, Gedärme, zerrissene, zerfetzte und sonstwie abgetrennte Körperteile in so kurzer Zeit unter. Alleine das zu beschreiben fühlt sich eklig an. Stell dir vor, wie’s ist, dieses Blutbad mit eigenen Augen zu sehen – und sich das Schmunzeln ab der schieren Abstrusität des Gesehenens nicht mehr verkneifen zu können.
Aber so ist Gunn. So ist «The Suicide Squad». Gewollt. Ganz bewusst. Der Deal, sozusagen, mit dem Gunn voller inbrunst spielt: Du willst moralisch ambivalente Antihelden? Du kriegst welche. Für den Preis, hie und da deinen eigenen moralischen Kompass neu ausrichten zu müssen. Und dafür in die Hölle zu kommen. Alles andere wäre zu einfach.
Zu billig.
«Wir sind die Bösen. Wir tun sowas», sagt etwa die erneut von Margot Robbie gespielte Harley Quinn im ersten «Suicide Squad»-Teil. Dort reines Lippenbekenntnis. Hier Programm. In jeder Filmsekunde. Das wird etwa dann deutlich, wenn der von Jon Cena gespielte Peacemaker Dinge sagt wie «Ich liebe Frieden von ganzem Herzen – es ist mir egal, wie viele Männer, Frauen und Kinder ich töten muss, um ihn zu bekommen» und es dann auch noch in die Tat umsetzt.
Haha. Moment. Nein. Warte. Über sowas lacht man nicht.
Charaktere – jede Menge Charaktere
Dass in all der Gewalt – die zwar äusserst präsent ist, aber nie zum Selbstzweck verkommt – auch noch ein Film mit Herz und Seele steckt, grenzt an ein Wunder. Gunn kriegt das hin, weil er seine Charaktere nie vergisst. Anders als im ersten Teil bekommen tatsächlich alle eine Hintergrundgeschichte, die so geschickt erzählt und harmonisch mit der Hauptstory verwebt wird, dass «The Suicide Squad» wie aus einem Guss wirkt.
Da ist etwa die von Daniela Melchior gespielte Ratcatcher 2 (ja, die Nummer gehört zum Namen), die in keinem einzigen Trailer vorkommt, aber in «The Suicide Squad» das Herz der Truppe spielt. Die Fürsorge. Das Mitgefühl. Oder Bloodsport, gespielt von Idris Elba. Dessen Performance ist so geerdet, dass selbst seine Szenen mit dem zweibeinigen King Shark wirken, als ob sie in unserer Realität stattfinden könnten.
King Shark wiederum wird von Sylvester Stallone synchronisiert. Als dämlich sympathisches CGI-Wesen mit einem mehr als knappen Wortschatz. Erinnert an Vin Diesels Groot aus «Guardians of the Galaxy». Einfach witziger. Schräger. Kein Zufall. Apropos schräg: Habe ich schon den tragisch-komischen David Dastmalchian als Polka-Dot Man erwähnt, der leuchtende Tumore verschiesst?
Ich könnte ewig so weitermachen. Darum beschränke ich mich auf dies: Gunn hat’s schon in «Guardians of the Galaxy» verstanden, einen Haufen komischer Charaktere im Laufe seines Ensemble-Films zusammen zu führen – und trotzdem jedem davon genügend Screentime zu geben, um Eindruck zu hinterlassen. Kein Vergleich zu einem Stückwerk à la «Justice League», das einen epischen vierstündigen Directors Cut gebraucht hat, um schlussendlich doch noch alles unter einem Hut zu bringen.
Kurz: Das «Squad» in «The Suicide Squad» wird hier ganz gross geschrieben. Und das tut dem Film verdammt gut.
Fazit: Eine Fortsetzung, die eher ein Soft-Reboot ist
Schlussendlich war Gunn auch einfach clever. Denn «The Suicide Squad» leugnet nicht, dass es den 2016er «Suicide Squad» je gab. Stattdessen bedient er sich einfach den wenigen Elementen, die funktioniert haben, und ergänzt sie mit neuen Konzepten, die zuvor gefehlt haben. Etwa das «Suicide» in «Suicide Squad».
«Töte, wen immer du willst», habe Filmstudio Warner Bros. zu James Gunn gesagt.
Andererseits: Harley Quinn funktionierte schon in «Suicide Squad». Darum darf sie erneut mitmachen. Einfach noch entfesselter, wie’s sich gehört. Manchmal aber auch etwas plump. Vor allem, wenn sie zu Gunns infantilem Sprachrohr degradiert wird: «Ich mag Regen. Es ist, als ob Engel über uns ejakulieren würden». Uff. Naja.
Kleine Ausrutscher. Verschmerzbar. Die meiste Zeit über ist «The Suicide Squad» einfach ein herrlich absurder und unterhaltsamer Ensemble-Film, in dem die Charaktere und ihre Geschichte im Zentrum stehen, nicht die exzessive Gewalt. Sicher, wegreden kann ich sie nicht. Will ich auch nicht. Sie ist da, damit sie aneckt. Genau wie der Suicide Squad.
Antihelden eben. Richtige Antihelden.
Zu sehen ist «The Suicide Squad» ab dem 28. Juli im Kino.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»