Game Gear: Alte Liebe verpixelt eben doch
Hintergrund

Game Gear: Alte Liebe verpixelt eben doch

Kevin Hofer
9.7.2018

In den 90ern hatten alle meine Freunde einen Game Boy. Nur ich nicht. In meinen Augen hatte ich den einzig wahren Handheld: den Sega Game Gear. Mit Sonic, Joe Musashi oder Taz habe ich viele tolle Stunden verbracht. Vor Kurzem wollte ich diese Zeiten wieder aufleben lassen.

Ich bin nervös. Langsam erklimme ich die Leiter in den Estrich im Haus meines Vaters. Ich schwitze sogar etwas. Das mag daran liegen, dass es an diesem Tag 28 Grad heiss ist. Vom Dachboden strahlt mir eine Gluthitze entgegen. Aber mir rast das Herz auch, weil ich meinen Schatz aus vergangenen Kindertagen bergen will. Und es kann sein, dass ich diesen gar nicht mehr finde. Vielleicht wurde er bereits vor Jahren beim Elektroschrottrecycling in seine Einzelteile zerlegt?

Die Rede ist von meinem Game Gear. Die erste portable Spielekonsole von Sega, die in Japan im Oktober 1990 veröffentlicht wurde, und dem Game Boy den Rang ablaufen sollte: Farbdisplay mit Hintergrundbeleuchtung, das gleichzeitig 32 von 4096 Farben anzeigen kann, eine Auflösung von 160×144 Pixel, 8 kB RAM und zusätzlich 16 kB Video-RAM. Technisch war der Game Gear dem Game Boy überlegen, obwohl er auf dem vier Jahre älteren Master System basierte.

Ein kleines Stück Videospielgeschichte

Die Arbeit am Gerät begann 1989 unter dem Codenamen «Mercury». Offiziell angekündigt wurde der Game Gear an der Tokyo Game Show im Juni 1990. Beim Release im selben Jahr waren drei Titel verfügbar: «Columns», eine Art «Tetris», «Super Monaco GP» und «Pengo».

Der Game Gear war eine portable Version des Sega Master Systems mit geringerer Auflösung dafür mehr Farben. Nebst den technologischen Unterschieden zum Game Boy wurde der Game Gear absichtlich im Querformat entworfen, um besser steuern zu können.

Aufgrund der grossen Ähnlichkeit zum Master System waren die meisten Spiele für die portable Version Portierungen der stationären. Für Spiele, die nicht portiert wurden, gab’s später einen Converter, mit dem die Cartridges des Master System auf dem Game Gear gespielt werden konnten. Nach diesem Prinzip funktionierte übrigens der Nachfolger des Game Gears, der Nomad. Dieser wurde als portables Mega Drive, der Nachfolger des Master Systems, vermarktet. Hier wurde aber auf spezielle Nomad-Module verzichtet und von Beginn weg die vom Master System verwendet. Er erschien nie in Europa.

In Japan verkaufte sich der Handheld unter den Erwartungen. Verlässliche Zahlen für das Land der aufgehenden Sonne gibt es keine, aber es wird davon ausgegangen, dass bis im März 1994 1.25 Millionen Exemplare verkauft wurden. In den Staaten lief es nach einem verhaltenen Start etwas besser. Das lag aber wohl auch an der aggressiven Werbekampagne, wie du im Video oberhalb dieses Abschnitts siehst. Trotzdem musste sich Sega mit dem zweiten Platz hinter Nintendos Game Boy begnügen. Bis Ende 1993 wurden vier Millionen Exemplare verkauft. Auch in Europa war der Game Gear nur auf Platz zwei hinter Nintendos Handheld. Im folgenden Video siehst du die europäische Werbung für den optionalen TV-Tuner.

Die Game-Gear-Unterstützung wurde 1997 eingestellt. Obwohl der Game Gear von den Verkaufszahlen immer hinter dem Game Boy blieb, war er diesem bis zum Release des Game Boy Advance 2001 technisch überlegen. Ein grosser Misserfolg war der Game Gear nicht. Mit den weltweit 11 Millionen verkauften Einheiten und den rund 390 Spielen warf er Sega doch immerhin einen bescheidenen Gewinn ab.

Der Game Boy war dem Game Gear in zwei Punkten überlegen. Einerseits war der Game Boy etwas günstiger und bot weit mehr Spiele. Andererseits war der Game Gear aufgrund des Farbdisplays und der Hintergrundbeleuchtung ein Batteriefresser sondergleichen: Er brauchte sechs AA-Batterien und hielt damit maximal fünf Stunden durch. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich vor unseren Spanienferien jeweils ein 24-Pack-Batterien gekauft habe und die nicht einmal ganz für die Hin- und Rückfahrt gereicht haben.

Batterieneinlegen gehört beim Sega Game Gear zum Alltag.
Batterieneinlegen gehört beim Sega Game Gear zum Alltag.

My Precious

Wobei wir wieder am Anfang wären. Mittlerweile bin ich im Estrich angekommen. Es herrscht Chaos, aber so muss es sein in einer Gerümpelkammer. Nebst dem Game Gear sollte noch mein NES hier oben sein. Ich habe die zwei zusammen verstaut. Den grösseren Nintendo sollte ich problemlos finden.

Ich lasse meinen Blick schweifen und erkenne nach wenigen Sekunden den NES. Der Game Gear kann also nicht weit sein, die ersten Module habe ich bereits gesichtet. Wenige Sekunden später halte ich meinen Schatz in den Händen. Jetzt brauche ich nur noch Batterien einzulegen. Den Adapter habe ich leider nicht mehr. Den habe ich vor Jahren zur Kühlung meines mittlerweile nicht mehr vorhandenen Home Entertainment Systems umfunktioniert. Hätte ich besser sein lassen, dann könnte ich gleich mit Gamen loslegen. Also zuerst mal Batterien kaufen gehen, was ich schon länger nicht mehr gemacht habe – wer braucht die heute überhaupt noch?

Vor mir liegt der Game Gear und in den Händen halte ich die Batterien. Jetzt bin ich aber wirklich nervös. Game Gears haben den Ruf, schlecht zu altern. Und die krassen Temperaturunterschiede auf dem Estrich haben sicher nicht geholfen. Immerhin ist dieser ansatzhalber isoliert. Ich lege die Batterien ein. Als Spiel wähle ich «Taz-Mania». Das ging mir damals so was auf den Sack, das will ich wiedererleben.

Frontal ist nichts auf dem Display zu erkennen.
Frontal ist nichts auf dem Display zu erkennen.

Die Sekunde der Wahrheit. Ich legen den Power-Schalter um. Toll, die Power-LED leuchtet schon mal und auch die Hintergrundbeleuchtung funktioniert. Dann macht sich aber Enttäuschung breit. Ich sehe weder ein Bild noch höre ich Sound. Das war’s wohl. Resigniert senke ich den Game Gear ab. Dann fällt mir auf, dass ich je nach Blickwinkel doch ein Bild erkennen kann. Frontal sehe ich überhaupt nichts, aber je mehr ich den Handheld nach vorne kippe, desto mehr erkenne ich. Er läuft also noch!

Aus steilem Winkel betrachtet ist ein Bild erkennbar.
Aus steilem Winkel betrachtet ist ein Bild erkennbar.

Bestellen und Warten

Eine kurze Internetrecherche zeigt mir die Ursache für das erstmal enttäuschende Ergebnis. Wie erwähnt, haben Game Gears den Ruf schlecht zu altern. Das liegt an den verbauten Kondensatoren. Diese gehen ziemlich schnell kaputt. Ich stelle weitere Recherchen an und stosse auf Youtube-Tutorials. Die erklären in jedem Detail, wie die Kondensatoren ersetzt werden. Jetzt bin ich überzeugt: Ich mache die Reparatur selbst.

Nebst den Tutorials finde ich auch diverse Anbieter für Ersatzteile. Für 4.99 US-Dollar bestelle ich mir ein Game Gear Reparaturkit. Dieses beinhaltet 20 Kondensatoren und eine Anleitung. Dazu brauche ich noch einen passenden Schraubenzieher. Schon damals hatten die Hersteller grosses Interesse daran, dass die Kunden Reparaturen nicht selbst machen. Der kostet mich nochmal wahnsinnige 2.99 US-Dollar. Leider muss ich unter Umständen etwas lange warten. Als spätester Liefertermin wird mir der 2. September genannt. Und ich war bereits nervös, als ich die Estrichleiter erklommen habe.

Jetzt heisst’s warten. Ob es mir gelingt, meinen Game Gear zu reparieren oder ob ich kläglich scheitere, erfährst du in einem späteren Artikel.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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