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«God of War Ragnarök» im Test: Die Geschichte geht unter die Haut, das Gameplay auf die Nerven

«God of War Ragnarök» erzählt eine emotionale Vater-Sohn-Geschichte in einer sagenumwobenen Welt mit brachialen Kämpfen. Schade, trüben unnötige Komplexität und veraltete Spielmechaniken das Gesamtbild.

Mit schweren Schritten betritt Kratos sein Schlafzimmer. Die Chaosklingen lässt er achtlos zu Boden fallen. Langsam setzt er sich auf die Bettkante und legt die Leviathan-Axt mit einem dumpfen Geräusch auf den Nachttisch. Als er mit seinen rauen Pranken sanft über die Kerben des Griffs fährt, sieht der Gott des Krieges zum ersten Mal richtig alt aus. Die Zerrissenheit, die Selbstzweifel, die Müdigkeit von den niemals enden wollenden Kämpfen, all das kann ich an seinem Blick ablesen, ohne dass er ein Wort sagen muss. Es sind diese Momente, die «God of War Ragnarök» zu etwas Besonderem machen.
Vier Jahre nachdem der Reboot die «God of War»-Serie vom eindimensionalen Rachefeldzug eines Wutbürgers zu einem mitreissenden Abenteuer eines alleinerziehenden Vaters transformiert hat, erscheint mit «Ragnarök» die langersehnte Fortsetzung.

Auch wenn sich Kratos als rauer Geselle gibt, gehen die Ereignisse nicht spurlos an ihm vorbei.
Auch wenn sich Kratos als rauer Geselle gibt, gehen die Ereignisse nicht spurlos an ihm vorbei.

Kratos ist nach wie vor der wortkarge Kriegsgott, der zwar reihenweise Gegner zerfetzt, innerlich aber verletzlich ist. Besonders, wenn es um seinen Sohn Atreus geht. Dieser übernimmt eine deutlich aktivere Rolle – sowohl spielerisch als auch in der Geschichte. Und beides profitiert davon. Die schlechten Neuigkeiten: Das Sony Santa Monica Studio hat das Spiel auch an vielen Stellen erweitert, wo es unnötig ist. Das sorgt für Ballast.
Ich habe die PS5-Version getestet. «God of War Ragnarök» erscheint auch für die PS4.

Das Storytelling bleibt das Highlight

«Ein Blick sagt mehr als tausend Worte» ist ein Sprichwort, das bei Spielen selten angewendet werden kann. «God of War Ragnarök» ist definitiv eine Ausnahme. Die Grafik, die bereits im Vorgänger beeindruckt hat, lässt erneut die Muskeln spielen. Einerseits bei der Präsentation der fantastischen nordischen Welten, andererseits bei Charaktermomenten, in denen die Schauspieler alles geben. Besonders Christopher Judge als Kratos, Sunny Suljoc als Kratos' Sohn Atreus und Danielle Bisutti als Gottheit Freya sorgen dafür, dass die Geschichte unter die Haut geht.

Die neun Reiche der nordischen Sagenwelt haben sich seit Kratos’ und Atreus’ letztem Besuch stark verändert.
Die neun Reiche der nordischen Sagenwelt haben sich seit Kratos’ und Atreus’ letztem Besuch stark verändert.

Die Geschichte und die Art, wie sie erzählt wird, sind für mich ohne Zweifel die Highlights des Spiels. «Ragnarök» spielt drei Jahre nach dem letzten Teil, schliesst aber nahtlos an die damaligen Ereignisse an. Kratos, der griechische Gott des Krieges, hat sich in die nordische Sagenwelt zurückgezogen, um seiner Vergangenheit zu entkommen. So richtig gelingen will ihm das aber nicht. So gilt es nun, nichts weniger als Ragnarök – den Weltuntergang – zu verhindern. Keine leichte Aufgabe, besonders, wenn laut Prophezeiung die Handlungen von Kratos und Atreus der Auslöser dafür sein werden. Neben dem drohenden Weltuntergang hat Atreus im Verlauf der Geschichte mit sich selbst und seiner Identitätssuche zu kämpfen. Im letzten «God of War» hat er herausgefunden, dass er in Wahrheit ein nordischer Gott namens Loki ist. Das führt regelmässig zu Konflikten mit seinem Vater. Diese Momente machen die beiden Götter besonders menschlich.

Emotional ist nicht nur die Beziehung zwischen Kratos und Atreus. Sie werden von verschiedenen Personen auf ihrer Reise durch die neun Reiche begleitet. Dabei entstehen interessanten Paarungen und Dynamiken. Ich habe eine echte Verbundenheit mit den Menschen, Zwergen und Göttern empfunden, die ich unterwegs kennengelernt habe. Einzige Ausnahme ist ein überflüssiger Handlungsstrang in der Mitte des Spiels. Er fühlt sich an wie eine Nebenquest.

Nebenfiguren wie der Zwergenschmied Sindri stehen nun etwas mehr im Rampenlicht.
Nebenfiguren wie der Zwergenschmied Sindri stehen nun etwas mehr im Rampenlicht.

Apropos Quests: Davon gibt es wieder jede Menge. Ein kleines, aber feines Detail ist, wie sie in die Hauptgeschichte eingewoben werden. Die meisten Spiele würden die Tatsache ignorieren, dass es völlig absurd ist, dass du trotz drohendem Unheil gemütlich Nebenquests erledigst. In «God of War Ragnarök» sprechen die Charaktere offen darüber und fragen dich sogar, ob du nicht noch etwas erledigen möchtest, bevor du die nächste Aufgabe in Angriff nimmst. Diese einfach aber elegante Lösung sorgt dafür, dass ich die Nebenaufgaben als Teil des Ganzen wahrnehme.

Die Nebenquests fühlen sich handgemacht und nicht nach 0815-Füller an. Sie sind abwechslungsreich und belohnen dich nicht nur mit Beute, sondern auch mit zusätzlichen Dialogen und Hintergrundinfos zur nordischen Sagenwelt. Für ein sprechendes Eichhörnchen muss ich drei Tiere einfangen, weil sie die Pflege des Weltenbaums vernachlässigen. Die Zwergenschmiedin hat einen geheimnisvollen Gegenstand verloren, welcher sich am Ende als Hundespielzeug herausstellt. Bei den Aufgaben für meine Begleiter erfahre ich mehr über sie und verbessere meist noch ihre Waffe oder Rüstung.

Die «Kamera» filmt immer weiter und wechselt fliessend zwischen den Personen hin und her.
Die «Kamera» filmt immer weiter und wechselt fliessend zwischen den Personen hin und her.

Dass die Geschichte spannend bleibt, dafür sorgt auch die Kamera. Erneut kommt das Spiel komplett ohne Schnitte aus. Es ist, als ob ein neugieriger Beobachter ohne Gefühl für Privatsphäre zuschaut und niemals blinzelt. Das hat zwar nicht mehr den gleichen Wow-Effekt wie beim ersten Mal, sorgt aber dennoch dafür, dass mich das Geschehen nie loslässt. Und wenn sich die Kamera fliessend an die Schultern einer anderen Person heftet oder von einer Tag-Szene zu einer Traumsequenz wechselt, dann möchte ich anerkennend in die Hände klatschen. Zuweilen kann es auch zu unfreiwillig komischen Momenten führen. Beispielsweise, wenn ich direkt nach einem Abenteuer Kratos' Unterkunft betrete und meine Begleitung schon das Essen serviert, obwohl wir beide erst angekommen sind.

An Abwechslung mangelt es «God of War Ragnarök» nicht. Anfangs wirken einige Level zwar noch etwas zu konstruiert und nicht wie echte Welten. Im Verlauf des Spiels legt aber fast jede neue Region die Messlatte weiter nach oben. Die neun Welten der nordischen Mythologie führen mich durch verschneite Eislandschaften in Midgard, über steile Felswände in Asgard bis hin zu üppigen Dschungelgebieten in Freyas Heimatwelt Vanaheim. Genau so muss sich ein episches Abenteuer in einer nordischen Fantasywelt anfühlen.

Brachiales, aber zu kompliziertes Kampfsystem

Das Kampfsystem hat sich seit dem letzten Teil nur leicht verändert. Einige neue Elemente sind aber hinzugekommen. Zum einen erhält Kratos eine neue Waffe als Ergänzung zur Axt und den Chaosklingen. Für alle drei können mit gewonnenen Erfahrungspunkten Angriffe und Fertigkeiten freigeschaltet werden. Hinzu kommen die Begleiter, die im Kampf indirekt gesteuert werden können. Atreus beispielsweise verfügt über verschiedene Pfeile, die sich je nach Gegnertyp und Kratos' Waffe zu tödlichen Kombos verbinden lassen. Ausserdem haben Begleiter einen eigenen Superangriff, sozusagen das Equivalent zu Kratos’ «Spartan Rage». Mit der aktivierten Wut schlägt er kurzzeitig mit seinen Fäusten alles kurz und klein.

Kratos’ Waffen- und Fähigkeitenauswahl ist noch mal deutlich gewachsen.
Kratos’ Waffen- und Fähigkeitenauswahl ist noch mal deutlich gewachsen.

Bereits im letzten Teil fand ich die Auswahl an verschiedenen Waffenskills erschlagend. «Ragnarök» setzt noch einen drauf. Jede Waffe hat einen leichten und einen schweren Schlag. In Kombination mit der L1-Taste ergeben sich zwei weitere Angriffe. R2 in Verbindung mit L1 und L2 aktiviert die Spezialangriffe – oder ist es umgekehrt? Auch nach 20 Stunden drücke ich in der Hektik regelmässig die falschen Tasten. Dann können Waffen auch noch aufgeladen werden, was alle Angriffe beeinflusst. Und eine Taste, mit der verschiedene offensive oder defensive Talente angewandt werden können, gibt es auch noch.

Das alles muss ich mir merken, wenn ich perfekt auf die verschiedenen Gegnertypen reagieren will. Blaue Ringe beim Angriff kontere ich mit zweimaligem Antippen von L1, rote Lebensbalken knacke ich erst mit Frostangriffen und einige fliegende Wesen muss ich zwingend mit Pfeilen schwächen. Da kommt es mir entgegen, dass das Spiel nicht übermässig schwer ist. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad sterbe ich nur, wenn ich unkonzentriert spiele, oder mich ein Boss auf dem falschen Fuss erwischt. Trotz der übertriebenen Komplexität machen die Kämpfe Bock. Gegner mit einer Reihe perfekt getimter Kombos zu überrumpeln und mit einem Finish Move wortwörtlich zu zerfetzen, ist schwer zu toppen

Bei Bosskämpfen wie hier gegen Thor muss ich etwas konzentrierter spielen. Das Game bleibt aber immer fair.
Bei Bosskämpfen wie hier gegen Thor muss ich etwas konzentrierter spielen. Das Game bleibt aber immer fair.

Trotzdem hat das Spiel für meinen Geschmack etwas zu viele Kämpfe und gerade normale Gegner stecken zu viele Schläge ein, was das Ganze repetitiv macht. Darum habe ich einen Grossteil des Spiels auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad gespielt. Der einzige Unterschied im Vergleich zum mittleren Schwierigkeitsgrad, der mir aufgefallen ist: die Gegner gehen schneller kaputt. Das finde ich für den Gott des Krieges nur angemessen. Nichts nervt mich an Spielen mehr, als wenn ich eine übermächtige Kriegsmaschine sein soll, die aber für den kleinste Hosenscheisser 15 Schläge braucht,.

Muss jedes Spiel ein Rollenspiel sein?

Im letzten «God of War» habe ich mit Begeisterung jede Herausforderung angenommen, um bessere und ausgefallenere Rüstungen für Kratos und Atreus zu finden. In «Ragnarök» fehlt mir dieser Antrieb. Das liegt nicht zuletzt am unübersichtlichen Menü. Die Navigation ist ein Graus und überhaupt nicht intuitiv. Es gibt unzählige Rüstungsteile, Waffenaufsätze, Amulette und Relikte auszurüsten, zu verbessern und mit magischem Firlefanz zu erweitern. Wie soll ich da noch den Durchblick bewahren? Bei den Amuletten habe ich erst am Ende des Spiels herausgefunden, dass ich die Boni erhalte, indem ich drei gleichfarbige Anhänger anziehe. Dann gibt es auch noch Perks und und und. Vieles davon muss ich auch für meine Begleiter machen.

Die Menüs sind überladen und unübersichtlich wie zuweilen auch das Gameplay.
Die Menüs sind überladen und unübersichtlich wie zuweilen auch das Gameplay.

Früher habe ich mich gefreut, als immer mehr Games Rollenspiel-Elemente aufgegriffen haben. Mittlerweile wünsche ich mir, dass sich Studios das Sprichwort «weniger ist mehr» zu Herzen nehmen würden. Das gilt für einen weiteren Bereich des Spiels noch stärker.

Zu viel Fleissarbeit

Ich weiss, dass Rätsel schon immer ein Teil der «God of War»-Reihe waren. Leider sind sie der einzige Teil, der nicht mit der restlichen Entwicklung Schritt gehalten hat. Wieso muss Kratos an jeder Ecke einen Kran ausrichten, Tore einreissen oder Sträucher verbrennen? Das ist ein Job für den Stadtgärtner, aber nicht den Gott des Krieges. Im Vergleich zum Vorgänger sind zwar ein paar Interaktions-Elemente dazugekommen, wie das Gefrieren von Wasser mit der Axt. Den Begriff Rätsel würde ich trotzdem nur in Anführungszeichen verwenden.

Der Kran, an dem sich dieses Monster festhält, ist eines meiner grössten Ärgernisse des Spiels.
Der Kran, an dem sich dieses Monster festhält, ist eines meiner grössten Ärgernisse des Spiels.

Das Spiel ist vollgestopft mit solch unnötigen Mini-Aufgaben. Die wenigsten davon machen Spass. Einzig für die kurzen Kistenrätsel habe ich mir meistens Zeit genommen. Dort muss ich jeweils drei Schalter finden und aktivieren. Anfangs sind sie kaum versteckt und ein Axtwurf reicht, um weiterzukommen. Später muss ich die Umgebung genau absuchen, um sie zu finden und meine Fähigkeiten richtig einsetzen. Diese Rätsel sind kurzweilig und belohnen mich mit Beute wie Upgrades für die Lebensleiste.

Fazit: Packend bis zum Schluss, trotz Ballast

«Ragnarök» ist die direkte Fortsetzung eines der besten Spiele-Reboots überhaupt. Wer aber eine erneute Revolution der «God of War»-Franchise erwartet, wird enttäuscht. Studio Sony Santa Monica hat wenig am Spielprinzip verändert und das ist grundsätzlich auch gut so. Das Kampfsystem ist wuchtig und erlaubt verschiedene Spielweisen. Die Präsentation gehört zum Besten, was Spiele derzeit zu bieten haben. Und wie schon vor vier Jahren hat mich die Geschichte um Kratos und seinen Sohn Atreus von der ersten Minute an in ihren Bann gezogen. In den rund 20 Stunden konnte ich die beiden Götter auf einem monumentalen Abenteuer begleiten. Alleine, um all die fantastischen Welten zu erleben, lohnt sich das Spiel. Was «God of War Ragnarök» aber auf den Spiele-Olymp katapultiert, sind die Charaktere. Sie sind mit Liebe und Überzeugung geschrieben. Ich habe mit ihnen getrauert, gelacht und gefeiert. Besonders Kratos hat mich immer wieder damit überrascht, wie viele Emotionen er mit so wenig Worten rüberbringt. Da verzeihe ich es auch, dass Gegenspieler Odin am Ende etwas eindimensional ausfällt.

Auch bei optioaneln Dialogen dachte ich nie ans Überspringen.
Auch bei optioaneln Dialogen dachte ich nie ans Überspringen.

Wirklich gestört hat mich am Spiel einzig der viele Ballast. Die unverständlichen Menüs, das überladene Kampfsystem und die eintönigen Rätsel würde ich radikal zusammenstreichen. Doch selbst das kann mein Spielerlebnis nicht entscheidend trüben. «God of War Ragnarök» ist ein unvergessliches Abenteuer, das ich nicht nur Action-Fans ans Herz legen kann.

«God of War Ragnarök» erscheint am 9. November für PS5 und PS4 und wurde mir von Sony zur Verfügung gestellt.

Sony God of War: Ragnarök (PS5, Multilingual)
Game

Sony God of War: Ragnarök

PS5, Multilingual

Sony God of War: Ragnarök (PS4, Multilingual)
Game

Sony God of War: Ragnarök

PS4, Multilingual

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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