«Hardspace: Shipbreaker» – Der gefährlichste Job der Galaxis
30.5.2022
Über zwei Jahre konnte «Hardspace: Shipbreaker» im Early Access reifen. Am 24. Mai ist die Sci-Fi-Simulation jetzt endlich für den PC erschienen. Wir haben uns den Raumanzug übergestreift, den Schweißbrenner geschnappt und angeschaut: Macht der Job als Weltraum-Schrottsammler Spaß? Oder ist das Ding ein Kandidat für die Müllpresse?
Dies ist ein Artikel unseres Content-Partners «PC Games». Hier findest du den Original-Artikel von Autor David Benke.
Eine Eins mit neun Nullen, zehntausend mal einhunderttausend oder ganz einfach: ein ordentlicher Haufen Kohle. So tief steckt ihr zu Beginn von «Hardspace: Shipbreaker» in den Miesen. Und die kommenden 100 Spielstunden ist es eure Aufgabe, diese Summe bei euren Gläubigern wieder abzuarbeiten – in schweißtreibender, zermürbender Plackerei. Klingt nach jeder Menge Spaß, oder?
Jetzt kann man natürlich sagen: «Hey, ich verbringe schon meinen Alltag damit, arbeiten zu gehen, Geld zu verdienen und aus den roten Zahlen herauszukommen. Das brauche ich nicht auch noch nach Feierabend in Gaming-Form!» Aber die Entwickler von Blackbird Interactive (bekannt für ihre RTS-Reihe Homeworld) verpacken das endlose Rennen im kapitalistischen Hamsterrad dermaßen ansprechend, dass wir im Test Maus und Tastatur gar nicht mehr beiseitelegen wollten. Ihr sitzt nämlich nicht an der Supermarktkasse, putzt Klos oder versucht, euch im Großraumbüro einen lustigen Spieletest aus den Fingern zu ziehen. Ihr macht ihr den gefährlichsten Job des gesamten Universums, den des Weltraum-Schrottsammlers! Ein Beruf so hart, dass er problemlos eine eigene Serie auf DMAX füllen könnte, neben King of Trucks und Goldrausch am Yukon.
Aschenputtel in Space
«Hardspace: Shipbreaker» spielt in einer fernen Zukunft, in der große Teile des Sonnensystems komplett industrialisiert wurden und die Erde immer mehr zur galaktischen Müllhalde verkommen ist. Da braucht es natürlich Menschen, die sich um den ganzen Schrott kümmern. Und da kommt ihr ins Spiel! Als neuester Mitarbeiter der riesigen LYNX Corporation ist es eure Aufgabe, mit hochmoderner Bergungstechnologie alte Schiffe in ihre Kleinteile zu zerlegen, wertvolle Rohstoffe zu ergattern und die dann für Gewinn zu verkaufen.
Klingt in der Theorie eigentlich ganz einfach, ist aber tatsächlich schon fast eine Wissenschaft für sich: Bevor es losgeht, müsst ihr jedes Wrack erst mal mit dem Scanner analysieren, um zu sehen, woraus es eigentlich besteht und wo sich mögliche Schwachpunkte befinden. Denn in den seltensten Fällen lässt sich so ein Kahn einfach ruckzuck filetieren wie eine Weihnachtsgans.
Ihr müsst euch von innen nach außen vorarbeiten, mit eurem Laser Schweißpunkte am Grundgerüst lösen, die Hülle abnehmen, sie in ihre Kleinteile schneiden, das Interieur behutsam herausnehmen und das alles dann je nach Zustand und Wiederverwendbarkeit in den Schmelzofen, die Verwertungsanlage oder den bereitstehenden Frachter schmeißen. Ganz nach dem Motto: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.
Bei alledem hilft euch euer treuer Handwurfhaken, eine Art Hightech-Lasso, mit dem ihr Gegenstände durchs All ziehen könnt. Dank des eingebauten Stoßmoduls dürft ihr Dinge aber auch mit Bums von euch weg schleudern. Oder ihr nutzt sogenannte Verbinder, um mehrere Schrottteile aneinander zu binden. Das klappt aufgrund der gelungenen Physik-Simulation hervorragend!
Völlig losgelöst von der Erde
Zu Beginn ist die Physik gleichzeitig aber auch euer ärgster Widersacher. Ihr bewegt euch ja schließlich immer noch in der Schwerelosigkeit, habt also einen 360-Grad-Bewegungsradius. Das heißt, ihr treibt manchmal wild rotierend durchs Vakuum, während ihr doch eigentlich nur ein Stück Metall durchsäbeln wolltet. Dann müsst ihr euch mit euren Schubdüsen erst wieder richtig in Position bringen. Oder ihr hängt mit verdrehtem Kopf vor dem Bildschirm, als würdet ihr gerade versuchen, ein Hochkant-Video im Querformat anzuschauen.
Habt ihr die anfangs etwas fummelige Steuerung aber schließlich gemeistert, dann entfaltet «Hardspace: Shipbreaker» seinen ganz besonderen Reiz und versetzt euch in einen wunderschönen, fast meditativen Flow: Ihr schwebt durch euer Dock, macht so euer Ding und vergesst ein wenig den Trubel der Welt um euch herum. Die Schrottsammlerei ist ungemein entspannend und entschleunigend. Dazu trägt auch der geniale Soundtrack bei, der gitarrenlastige Americana-Musik mit futuristischen Synth-Elementen mischt und sich sogar dynamisch dem Spielgeschehen anpasst – beispielsweise, wenn ihr euch den Kopf anschlagt.
Der Ernst des (Ab-)Lebens
Ewig hält diese idyllische Harmonie aber nicht an, denn irgendwann kommt die unsanfte Erkenntnis: Das war bis hierher ja nur das entspannte Tutorial! Ihr hattet also die ganze Zeit Welpenschutz. Sobald die Stützräder ab sind, gestaltet sich «Hardspace: Shipbreaker» plötzlich merklich anspruchsvoller und konfrontiert euch mit einer stetig steigenden Lernkurve.
Ihr erfahrt etwa, dass ihr nicht unendlich lange an einem Schiffswrack herumtüdeln dürft, sondern nur 15 Minuten pro Schicht habt, um möglichst viel Arbeit erledigt zu bekommen. Also besser flott ran ans Werk! Außerdem müsst ihr jederzeit eure Gesundheit, euren Anzugzustand sowie eure Treib- und Sauerstoffversorgung im Blick behalten. Gerade die Atemnot nervt ein wenig, weil man alle paar Minuten eine neue 0²-Kartusche braucht und dafür seine Arbeit unterbrechen muss.
Ihr findet zwar manchmal Consumables in den Trümmern versteckt, meistens müsst ihr aber zu einem nahegelegenen Shop-Terminal fliegen und da händisch Nachschub kaufen, auf eigene Kosten versteht sich.
In «Hardspace: Shipbreaker» bekommt ihr nahezu alles in Rechnung gestellt, eure immensen Schulden kommen ja nicht von irgendwoher: Wenn ihr versehentlich ein Stück Carbon verbrennt, statt es zu recyceln, wird euch der Materialwert vom Lohn abgezogen. Ihr müsst täglich Miete für eure Ausrüstung blechen.
Ja, sogar euer eigener Tod kostet bares Geld! Dann erstellt die LYNX Corporation nämlich einen Klon von euch, der für sie weiterschuftet!
Dead in Space
Und dieser Klonprozess kann echt häufig vorkommen, denn das Leben als Shipbreaker ist meist ein gefährliches und kurzes: Ihr rast mit zu viel Karacho gegen einen Stahlträger? Tot. Ihr wurdet versehentlich von einer der Recycling-Maschinen eingesaugt? Wieder tot. Ihr habt vergessen, den Treibstofftank eines Schiffswracks zu leeren, sodass der unter eurem Schneidbrenner in die Luft geht? Nun, ihr kennt ja sicher die Antwort.
Im Standard-Schwierigkeitsgrad ist euer Ableben immerhin kein Problem. Dank des EverWork-Körperersatz-Programms bekommt ihr unendlich oft einen neuen Körper spendiert. Auf den höheren Stufen sind eure Respawns aber auch mal auf knappe 30 Stück begrenzt oder es herrscht sogar Permadeath. Wenn ihr also einmal draufgeht, ist jeglicher Kampagnenfortschritt futsch.
Stichwort Kampagne: Die umfasst drei Akte, die euch für etwa 30 Stunden beschäftigt halten werden. In deren Verlauf versucht ihr unter anderem, im Geheimen eine Gewerkschaft für fairere Arbeitsbedingungen zu organisieren, was eure Chefs natürlich gar nicht gerne sehen. Neben ein paar vereinzelten Cutscenes bekommt ihr die Geschichte leider nur in E-Mails und kurzen Konversationen via Funk erzählt. Die sind zwar voll vertont, viel mehr als ein paar Textboxen mit zugehörigen Charakterbildern am unteren Bildschirmrand gibt es aber nicht zu sehen. Aber hey, die Story ist, trotz einer ordentlichen Prise Humor und Kapitalismuskritik, ja ohnehin eher nebensächlich.
Abwrackprämie
Die große Motivation, die Karotte vor der Nase bleibt die schwarze Null auf eurem Konto. Um die irgendwann zu erreichen, schaltet ihr im Spielverlauf neue, effizientere Werkzeuge wie Sprengladungen frei. Außerdem könnt ihr an einer Werkbank in eurem bescheidenen Heim bereits bestehendes Equipment reparieren, mit Stickern dekorieren oder verbessern. Durch Upgrades an eurem Laserschneider lassen sich auch robustere Materialien durchtrennen. Wer seinen Anzug ausbaut, hat im Vakuum einen größeren Luftvorrat.
Jegliche Anpassungen kosten euch dabei LYNX-Münzen, die ihr fürs Erfüllen bestimmter Bergungsziele und für Level-Ups bekommt. Je mehr Schiffe ihr verschrottet, je mehr Erfahrung ihr sammelt, desto weiter steigt ihr im Rang auf, was euch wiederum auch Zugriff auf neue Ausrüstung und Schiffe verschafft. Die Weltraumkreuzer werden dabei immer größer und warten mit immer mehr Gefahren auf. Wer sich instabilen Fusionsreaktoren, Druckunterschieden oder bösen Bord-KIs stellt, sackt im Gegenzug aber auch mehr Kohle ein.
Euren eigenen Kontostand könnt ihr übrigens in einem globalen Highscore mit dem anderer Spieler vergleichen und schauen, wie viel des absurd hohen Schuldenbergs sie schon abarbeiten konnten. Die Zahlen sind allerdings ziemlich ernüchternd. Selbst der Führende in unserer Rangliste war immer noch mit guten 700 Millionen Dollar in der Kreide, war also nicht mal zur Hälfte durch.
Quo vadis?
Das ist tatsächlich auch einer der wenigen Kritikpunkte in Hardspace: Shipbreaker: die Langzeitmotivation. Habt ihr irgendwann mal Maximallevel 30 erreicht, alle Werkzeuge und alle Schiffstypen freigespielt, fehlt es an triftigen Gründen zum Weiterspielen.
Das Ziel, auf das man hinarbeitet, scheint einfach vollkommen unerreichbar. Dazu kommt, dass es gerade mal 13 verschiedene Schiffstypen gibt. Die werden zwar für jeden Auftrag neu zufällig generiert, sie schauen aber immer relativ gleich aus. Am Einheitsbrei aus Gelb, Grau und Schwarz, der schon zu Beginn nicht der allerschönste ist - die schicken Effekte für Schneidbrenner und Explosionen lassen wir mal außen vor - hat man sich schnell sattgesehen.
Dann wird die Schrottsammelei etwas eintönig und repetitiv. Daran ändern auch alternative Modi wie Freies Spiel oder Cutter S.P.U.R.T. nichts, in dem ihr möglichst flott ein Schiff zerlegen und eure Bestzeit mit der Welt teilen dürft.
«Hardspace: Shipbreaker» bräuchte so etwas wie Mod-Support oder einen Koop-Modus. Das wird es laut Entwickleraussagen aber wohl nicht geben. «Die komplexe Physik-Simulation, die das Herzstück unserer Schiffsabwrackung bildet, würde erfordern, dass wir Hunderte von physikalisch simulierten, freischwebenden Objekten und die dazugehörigen Kollisionsnetze zwischen den Clients synchronisieren. Das ist ein ziemlich schwieriges Problem», heißt es auf Steam. Oder kurz gesagt: Die Technik macht nicht mit.
Das ist unfassbar schade, denn ansonsten ist «Hardspace: Shipbreaker» eigentlich eine runde Sache. Das unkonventionelle Spielkonzept, das entspannte Gameplay, die Ingame-Physik, der tolle Soundtrack und die saubere technische Umsetzung machen den Titel zu einem Spielerlebnis, in dem wir eigentlich sehr gerne noch mehr Zeit verbracht hätten.
Mein neuer Traumjob!
Die Faszination von «Hardspace: Shipbreaker» ist schwer zu erklären, manche Leute werden sie vielleicht auch gar nicht verstehen. Aber schwerelos durchs Weltall zu segeln und mit seinem Schneidbrenner riesige Raumschiffe zu zerlegen, während im Hintergrund ein atmosphärischer Soundtrack der Marke Firefly läuft: Das hat einfach etwas unglaublich Entspannendes. Es ist wie in vielen anderen Job-Simulationen der Marke Mudrunner oder Flight Simulator. Das Spielerlebnis per se ist nicht unfassbar spannend, herausfordernd oder abwechslungsreich. Aber es ist super, um für ein paar Stunden einfach mal den Kopf auszumachen und sich vom Alltag abzulenken. Da kann ich persönlich über kleinere Makel wie das etwas repetitive Design oder die magere Langzeitmotivation locker hinwegsehen.
Hardspace: Shipbreaker ist am 24. Mai 2022 für den PC erschienen. Auf Steam kostet der Titel knappe 35 Euro / 36,9 Franken, Game-Pass-Nutzer können ihn im Rahmen ihres Abonnements kostenlos zocken. Für die Zukunft haben die Entwickler von Blackbird Interactive auch noch Versionen für Playstation 5 und Xbox Series S|X geplant.
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